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Gläubige Weltverantwortung

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Die Konfrontation des geistigen Lebens der Gegenwart mit dem alten Wahren, das die Kirche als ihren immer neu zu bewährenden Schatz durch die Zeiten trägt, die kritische Prüfung, Ordnung, Einordnung, Erfüllung in einer universalistischen Schau, ist nicht bloß das Thema der diesjährigen Salzburger Hochschul-wodien, sondern spiegelt sich auch in ihrem geistigen Gehalt wider. Ein betonter Optimismus —. „Unsere Lage ist glänzend“ (Alois D e m p f) — nährt sidi trotz des furchtbaren Ernstes der Weltsituation nicht aus einer „Hoffnung gegen die Hoffnung“, sondern aus der Erkenntnis und Erfahrung der wesentlichen geistigen Tendenzen unserer Zeit. Die eigentliche Wirklichkeit unserer Zeit, in der die Entscheidungen für das Morgen fallen, die in ihren positiven Ansätzen und Entwicklungen durchaus ermutigend ist, wird, wie Dempf am Eingang seiner Vorlesungsreihe ausführte, lediglich überdeckt durch ein „falsches Zeitbewußtsein“, das eben darum falsch ist, weil ihm das Ewigkeitsbewußtsein verlorengegangen ist und die Zeit nicht gesehen wird im Lichte der eigentlichen und höchsten Wirklichkeit Gottes, des Herrn der Geschichte. „Der großartige Selbstreinigungsprozeß der Wissenschaften“ hat einen Stand erreicht, der mit eiserner Logik die Kristallisation der universitas aus der multiversitas fordert und dessen Forderung sich im Salzburger Universitätsgedanken manifestiert, der hinter der Realisierung der Hochschulwochen als angestrebtes Ziel steht. Es darf als erfreuliches Zeichen für eine neue Phase in der Nachkriegsentwicklung gewertet werden, daß nicht nur der Fürsterzbischof von Salzburg in Anwesenheit des gesamten Episkopats der Salzburger Kirchenprovinz, des Bundesministers für Unterricht und des Landeshauptmannes von Salzburg, diese Forderung bekräftigte, sondern daß sich auch Dr. Paul Wolf, der Generalsekretär des Katholischen Akademikerverbandes Deutschlands, als Nachfolger Franz Xaver Münchs und als Schüler Dietrich von Hildebrands, dazu bekannte und ankündigte, daß sich der Katholische Akademikerverband Deutschlands in den kommenden Jahren wie vor 1933 — allerdings alternierend mit Bonn — an den Salzburger Hochschulwochen beteiligen werde.

Es ist aber unerläßlich, darüber hinaus einen weiteren Zukunftsaspekt ins Auge zu fassen, den einer der deutschen Dozenten selbst, nämlich der Justiz- und Kultusminister von Rheinland-Pfalz, Doktor Adolf Süsterhenn, dargestellt hat. Er wies in seinem Vortrag über die christliche Grundlegung des europäischen Staatenbundes auf die gemeinsame Kulturtradition der europäischen Völker hin, die auch dort weiterbestehe, wo sie als säkularisierter Humanismus nur noch die unbewußte christliche Substanz bilde. Er wies auf das christliche Erbe jener ethisch-naturrechtlichen Prinzipien hin, deren ein Staatenbund unerläßlich bedarf und zu deren Anerkennung sich die europäischen Staaten wieder erheben müssen. Er zitierte dabei die Rundfunkbotschaft Pius' XII, vom Heiligen Abend 1942, der schon damals sagte: „Das gegenwärtige Rechtsbewußtsein ist vielfach heillos zerrüttet durch die Verkündigung und Betätigung eines hemmungslosen Positivismus und Utilitarismus des Rechts im Dienste bestimmter Gruppen und Bewegungen, deren Aufstellungen der Rechtsfindung, Rechtsprechung die Wege weisen und vorschreiben. Die Heilung dieses Zustandes ist dadurch zu erreichen, daß das Bewußtsein einer auf Gottes höchster Herrschaft beruhenden, jedweder menschlichen Willkür entzogenen Rechtsordnung wieder erweckt wird, einer Rechtsordnung, die ihre schützende und rächende Hand auch über die “unverlierbaren Menschenrechte breitet und sie dem Zugriff jeder menschlichen Macht entzieht.“ Ein gleichfalls vom Christentum inspirierter Föderalismus, der auf dem Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip aufzubauen sei, müsse — so führte Süsterhenn weiter aus — zur Grundlage eines rasch anzustrebenden — denn die Zeit drängt! — und großzügigen europäischen Staatenbundes gehören.

Gerade die universalistische Tradition des Salzburger Universitätsgedankens verpflichtet die Hochschulwochen nicht nur. zu einer Ausweitung ihrer theoretischen Themen auf diese sozialethischen Postulate, sondern auch zu ihrer konkreten Unterbauung durch die Begegnung der geistigen Welten, aus denen die wesentlichen Impulse zur Neugestaltung Europas hervorgehen. Wir können und dürfen dabei nicht den Beitrag entbehren, den die romanische Welt, den vor allem Frankreich durch die gewaltige, klare und kühne Kraft seines Genius uns zu geben imstande ist. Dazu genügt jedoch nicht die Heranziehung der Literatur durch unsere Dozenten, sondern nur das Gespräch in der persönlichen Begegnung, jenes Gespräch, das Friedrich Heer als die europäische Form bezeichnet hat, die unseren geistigen Lebensraum und die geschichtliche Gestalt Europas bestimmen.

Die existentielle Gegebenheit unseres politischen Angewiesenseins auf die Vereinigten Staaten bedingt die geistige Begegnung mit dieser Welt in einer ganz neuen Weise. Die Bestrebungen in diesem Sinn sind seit dem Vorjahr im Gange. Die Brücke werden wie in der Vergangenheit jene Emigranten bilden müssen, welche die innere Beziehung zum Vaterland nicht verloren haben. Amerika hat Entwicklungen vorausgenommen, in die auch wir hineingeraten sind. Während wir vieles dankbar annehmen müssen, was uns die eigentümlich gefärbte Humanität der United States in den Ergebnissen ihrer Wissenschaft und Technik anbietet, können wir den Ausgang verhängnisvoller Entwicklungen dort viel deutlicher wahrnehmen, indem wir uns dadurch vor Konsequenzen bewahren, aus denen dort bereits Auswege gesucht werden.

Diese Ausblicke in die zu erwartende Zukunft soll unser Auge nicht ablenken von der erfreulichen Realität der Gegenwart. Ein gut gewähltes Programm (das Hauptverdienst daran gebührt Professor Betschart), eine Reihe von Dozenten, die sich fern nihilistischer Kompilatorik lebendig und weltoffen mit den brennendsten Zeitproblemen beschäftigen, die Beschränkung und Verdiditung des Programms auf zwei Wochen hat eine zahlreiche Hörerschaft angezogen. Der Kaisersaal der Residenz ist stets voll, er war bei einer interessanten Diskussion zwischen Betschart, Dempf, Gabriel und Viktor F r a n k 1 sowie bei dem Vortrag Sedlmayrs überfüllt.

Als Manko, das zu beheben die Planung der kommenden Hochschulwochen sein müßte, wird empfunden, daß die persönlichen Begegnungen zwischen den Hörern mit den Dozenten und untereinander weder durch Schaffung räumlicher Möglichkeiten noch durch die Methode der Tradierung begünstigt wird, Sicherlich haben die akademischen Wochen in Kremsmünster oder Seckau in ihrer zur Kontemplation einladenden Atmosphäre eine andere Mission als die Festspielstadt Salzburg. Trotzdem — heute genügt die traditionelle Methode der Vorlesung und des Vortrages nicht mehr. Auch ein Seminar wird durch den konzilianten Gesprächston seines Leiters nicht zu dem, was es methodisch sein sollte, wenn es wegen der mangelnden Auswahl eines dafür geeigneten Raumes (der Kaisersaal kann niemals die entsprechende Atmosphäre schaffen!), wegen des Marfgels an Auswahl, Beschränkung und Vorbereitung der Teilnehmer sich zwangsläufig auf Monologe beschränkt. Die Schuld lag nicht bei dem Seminarleiter, der eine vorgegebene Situation vorfand, die er in scharmanter Weise aufzulockern verstand. Es lag an der nicht sachgerechten „Placierung“ jener Form geistigen Aufnehmens, die sich in der aktiveren Form des klärenden, korrigierenden, gegenseitig abgrenzenden und ergänzenden Austausches vollzieht.

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