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PROF. DR. h. c. ERICH DEUTSCH / FRANZ SCHUBERTS „KOCHEL”

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Das Spezialistentum hat vor der Musikwissenschaft nicht Halt gemacht. Der Name eines Gelehrten ist auch auf diesem weitverzweigten Gebiet in den meisten Fällen mit einem bestimmten, von ihm behandelten Objekt quasi identisch geworden: So etwa Pohl mit Haydn, Köchel und später Einstein mit Mozart. Für jeden, der Schubert liebt und kennt, sind die Buchstaben OED ein Begriff von ähnlicher Bedeutung, die Initialen von Otto Erich Deutsch, der am 5. September seinen 80. Geburtstag begeht.

Der seit 1952 wieder in Wien ansässige , Privatgelehrte hat, wie so viele der besten Köpfe Österreichs, seine wichtigsten Schriften während des Krieges im Ausland publiziert,

im gegenständlichen Fall in England. Die dort 1946 erstmals mit Kommentar erschienene dokumentarische Biographie Schuberts hat geradezu eine neue Art der Musikgeschichtsforschung inauguriert, eine exakte Wissenschaft, die ausschließlich auf Dokumente der Zeit zurückgreift, auf Briefe, Zeitungsnachrichten, Erinnerungen von Zeitgenossen und natürlich auf die Autographen selbst. Die vielen Querverbindungen, die sich bei dieser vergleichenden Musikforschung ergeben, ermöglichen eine wirklich objektive Betrachtung des Gegenstandes, eine echte Beurteilung der Quellen, die Eliminierung des Zweifelhaften und somit ein wahrhaftes, von aller Legendenbildung gereinigtes Bild des betreffenden Meisters. Wie sehr diese Betrachtungsweise gerade für Schubert wesentlich ist, wird jeder einsehen, der mit dem durch zahllose Anekdoten und Histörchen verbrämten Schubertbild des 19. Jahrhunderts aufgewachsen ist und dessen Gegensatz zu des Meisters Musik instinktiv empfindet. Ebenfalls in England entstand der thematische Katalog der Schubert- Werke.

So wie ja der Buchstabe K für die Orientierung in Köchels Katalog der Werke Mozarts verbindlich wurde, so der Buchstabe D für das ebenfalls chronologisch angeordnete Schubert-Werk-Verzeichnis. Die beiden grundlegenden Schubert- Bücher von Prof. Deutsch werden in Kürze auch in deutscher Sprache zugänglich sein.

Mit dem Kapitel „Schubert” ist freilich die Leistung dieses Musikhistorikers noch keineswegs abgeschlossen. Seine umfassende Kenntnis der Wiener Klassik hat ihn auch für Mozart zum kompetentesten Forscher gemacht, so daß die Leiter der neuen Mozart-Gesamtausgabe sowohl für eine dokumentarische Biographie nach dem Muster der Schubert-Dokumentensammlung als auch für einen Band „Mozart und seine Welt in zeitgenössischen Bildern” an ihn herantraten. Für Ikonographie bringt Prof. Deutsch ein Spezialwissen mit, das Musikern im allgemeinen fremd ist, hat er doch seinerzeit in Wien und Graz Kunstgeschichte studiert. Seine Studien und Erfahrungen auf dem Gebiet der Literatur — die auch zu einem ,,Gastspiel” als Buchhändler und Verleger führten — haben ihn in gleicher Weise befähigt, den allzu eng gesteckten Rahmen der Musikgeschichte auszuweiten und das Bild des 18. Jahrhunderts und des Vormärz in jenen größeren zu stellen, der die gesamte Kulturgeschichte der Zeit einzufassen vermag.

Das Bild einer Epoche entsteht aus Hunderten von Einzelarbeiten. Das Werkverzeichnis von Otto Erich Deutsch umfaßt heute mehr als 350 Nummern, die in Zeitschriften und Tageszeitungen erschienen, wo Prof. Deutsch — auch den Lesern der „Furche” in dieser Funktion bekannt — geradezu eine neue Art des wissenschaftlich fundierten Feuilletons begründet hat. Für den ungeheuren Fleiß des Gelehrten zeugen auch Umfang und Inhalt von Publikationen, die dem Kreis der Wiener Klassik fernstehen und daher zwangsweise zum Studium ganz anderer Kulturkreise führen müßtent die in England entstandene dokumentarische Biographie Handels sei als das eine Extrem dieser peripheren Arbeiten genannt, die in zahlreichen Aufsätzen niedergelegte Frucht seiner Beschäftigung mit der Operette als das andere.

Die letztgenannte Vorliebe hat zu einer künstlerischen Schöpfung geführt, zu einer neuen deutschen Übersetzung von Sullivans „Mikado”. Auf dem eigentlichen musikhistorischen Gebiet des Gelehrten sei noch seine im Stillen wirkende, aber richtunggebende Mitarbeit an manchen Publikationen anderer Autoren erwähnt: sein handschriftliches Verzeichnis über das Repertoire der Wiener Oper von 1641 bis 1938 ist ein Schatz für jeden Forscher auf diesem Gebiet, und die im Entstehen begriffene neue Auflage des Köchel kann natürlich auf den Rat des Gelehrten ebensowenig verzichten wie irgendeine Schubert- Biographie.

Otto Erich Deutsch, im Schubert- Jahr 1928 zum Professor ernannt, wurde 1960 mit dem Titel eines Ehrendoktors der Universität Tübingen ausgezeichnet. Österreich hat ihn durch die Verleihung des Ehrenkreuzes für Kunst und Wissenschaft I. Klasse geehrt. Kein Ehrenzeichen aber kann die Verdienste aufwiegen, die Otto Erich Deutsch durch sein Wirken und Schaffen der Wissenschaft, der Kunst und seiner Heimat geleistet hat.

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