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Arbeiterparadies in der Dürre

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Eine Reutermeldung vom 30. Oktober berichtet über blutige Demonstrationen in der australischen Hauptstadt. Italienische Einwanderer erhoben sich tumultuierend, da sie, trotz des zwischen Italien und Australien geschlossenen Einwanderungsabkommens, keine Arbeit gefunden hatten. In ihrer Not Verlangten sie stürmisch Rückbringung in ihre Heimat. Der nachstehende Lagebericht, den die „Furche“ von einer sehr geschätzten Mitarbeiterin in Australien erhält, beleuchtet den großen ernsten Hintergrund des unmittelbaren Geschehens.

„Die Furche"

„Wir sind nur 7,500.000 Menschen, und 3,000.000 Quadratmeilen der Erdoberfläche befinden sich in unserem Besitz Australien ist in der Lage, seine Bevölkerung zu verdreifachen und nichtsdestoweniger Vollbeschäftigung sowie angemessenen Lebensstandard für alle seine Bewohner zu garantieren. Eine Bevölkerung von 15 Millionen würde die Produktionskraft des Landes zum mindesten verdreifachen."

Diese Worte schrieb der vormalige australische „Minister for Immigration" Arthur A. Calwell einleitend in seiner. Broschüre „Immigration, Policy and Progress", die im Jänner 1949 erschien..

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die australische Regierung offiziell für eine Einwanderungspolitik ausgesprochen, die dem Lande jährlich mindestens 70,000 Neuankömmlinge zuführen sollte, namentlich britische Emigranten. Man kam bereits im Dezember 1946 zu einem Übereinkommen mit Holland, niederländische Farmer, und landwirtschaftliche Arbeiter in Australien anzusiedeln. Im Juli 1947 traf die australische Regierung ein Übereinkommen mit internationalen Flüchtlingsorganisationen, das für 12.000 „dis- placed persons" jährlich die Einwanderung nach Australien ermöglichen sollte, Man muß sich die Nachkriegszustände in Europa und England vergegenwärtigen, um den Widerhall, den das Einwanderungsgesetz hervorrief, richtig abzuschätzen. Für Tausenile von Menschen aller Nationen, Rassen und Konfessionen, für Heimatlose, Flüchtlinge und unzählige Kriegsopfer bedeutete die Möglichkeit, in einem Land willkommen geheißen zu werden und Aufnahme zu finden, neue Lebenshoffnung.

Australien kennt dank seiner strengen Restriktion bezüglich der Ansiedlung asiatischer oder afrikanischer Völkerstämme oder deren Vertreter keine wie auch immer geartete Rassenfrage, ist reich an Rohmaterial und urbarem Land, klimatisch begünstigt und entging in zwei Weltkriegen vollkommen jeglicher Zerstörung. Abgesehen von den naturgegebenen Vorteilen des Landes, war Australien in den Nachkriegsjahren im wahrsten Sinns ein „Arbeiterparadies". Leider führten sozialpolitische Übersteigerungen ins Unglück, nahezu zum Ruin. Die australischen Gewerkschaften (Trade Unions) übertrafen ihre englischen Kollegen in ihren Forderungen bezüglich Arbeitszeit, Urlaubsvergütungen, Versicherungen und Unterstützungen. Die Unions erreichten den Gipfel ihrer Macht 1947 48 und hielten von diesem Zeitpunkt an ihre Machtstellung mit erstaunlicher Zähigkeit. Dank ihrem dominierenden Einfluß erhalten australische Hilfsarbeiter über 18 Jahre einen Wochenlohn von 11 £ (elf engl. Pfund = rund 760 S) und schwankt die wöchentliche Arbeitszeit zwischen 36 und 42 Wochenstunden, je nach Gewerbe. Der australische Sozialismus fand erfolgreich als Berechnungsbasis die Minimalleistung.

Doch trotz gerechtfertigter Kritik wäre esunangebracht, die australischen Gewerkschaften allein für die Wirtschaftskrise verantwortlich zu machen, in der sich das Land augenblicklich befindet.

Die Verwendung von 10 Prozent der Bevölkerung v ährend des letzten Krieges Im Heer, der Luftwaffe oder Marine, Reserve und Administration führte zu einer sozialen Umschichtung von größter Tragweite,; kriegsbedingter Materialmangel gab Anlaß zu illegalen Preiserhöhungen und Korruption, die selbst in Europa kaum ihresgleichen fanden; hohe

Exportpreise, welche die Ausfuhr unterbanden, erschöpften die Finanzen des Landes. Geldüberfluß auf der einen, Unproduktivität auf der anderen Seite führte der Inflation entgegen. Als Premierminister M e n z i e s im Dezember 1949 die Regierung übernahm, sah er sich einem ähnlichen wirtschaftlichen und finanziellen Chaos gegenübergestellt wie Churchill nach dem Sturz der Labour Party. Menzies, ein Konservativer der alten Schule, trat neuen Forderungen der Unions und den folgenden Streikdrohungen mit den harten Worten entgegen, die ihm von der Opposition so bitter verübelt wurden; „Wir brauchen ein gewisses Maß von Arbeitslosigkeit." Das klingt in der Tat hart. Wer australische Verhältnisse kennt, beziehungsweise in den letzten sieben Jahren selbst miterlebt hat, konnte aber die Zusammenhänge verstehen. Der australische Arbeiter war in den letzten zehn Jahren zum Nutznießer der Nation geworden. Es waren nicht in erster Linie die überhohen Löhne und kurzen Arbeitszeiten, die Menzies beanstandete, sondern die Tatsache, daß trotz Gewährung fast aller von den Unions gestellten Forderungen, keine wie auch immer gearteten Gegenleistungen aufgewiesen werden konnten. Streiks, neue Forderungen und Unzufriedenheit, das waren jetzt die Früchte im Arbeiterparadies.

Menzies war entschlossen, Australien, selbst gegen seinen Willen, von einem vernichtenden Schlag zu retten, indem er die drohende Inflation in eine künstlich herbeigeführte Deflation umwandelte.

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