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Bonn in der Zange?

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Die Offenherzigkeit der Pressekommentare, und zwar sowohl derjenigen Zeitungen, die den Flirt mit Moskau gutheißen, als auch der kritisch eingestellten Organe, ist recht bemerkenswert: Fast alle äußern ihre Überzeugung, daß nun Bonn in die Zange genommen werden soll, nachdem es dem Staatschef in jahrelangem Bemühen nicht gelingen konnte, die Bundesrepublik von den USA zu trennen. Bundeskanzler Erhard soll nun in aller Brutalität klar gemacht werden, daß Frankreich auch eine „andere Politik“ betreiben kann und daß Bonn auf Frankreichs Unterstützung bei seiner Wieder-vereinigungspolitik nur unter der Bedingung rechnen kann, daß es sich den europäischen Absichten de Gaulles bedingungslos unterwirft.

Der „Express“ sieht in einem Kommentar des Informationsmini-ters Alain Peyrejitte nach einem Ministerrat eine klare Drohung, wenn er feststellt: „Der Gemeinsame Markt kann auf die Dauer ohne eine organisierte Zusammenarbeit (.Cooperation') seiner Mitglieder nicht bestehen.“ Das Blatt fährt fort: „Zusammenarbeit bedeutet Ausrichtung der Europäer auf die französische Politik. Der Gemeinsame Markt ist gut, wenn er dazu benützt wird, den Amerikanern Widerstand zu leisten; er ist schlecht, wenn er zu einer atlantischen Assoziierung führt. Jedenfalls ist er für de Gaulle ein Instrument, das zu jeder Zeit in Frage gestellt werden kann.“

Andri Frangois-Poncet hat in einem meisterhaften Kommentar die Ausrichtung des Generals auf Moskau als gefährlichen Einsatz („placement hasardeux“) bezeichnet und damit wohl allen Diplomaten der alten Schule aus dem Herzen gesprochen. Er sieht in der Annäherung Frankreichs an die Sowjets einen Ersatz für die von Paris enttäuschte und schließlich entmutigte Freundschaft mit Amerika, die heute praktisch tot sei. Eine entscheidende Folge dieses Sterbens sei die Paralysierung der europäischen Konstruktion gewesen, da sich das Fortschreiten des Aufbaues Europas in einer Atmosphäre der Feindschaft gegenüber den Vereinigten Staaten als unmöglich erwiesen habe. Ohne einer Abhängigkeit von den USA das Wort zu reden, sieht der alte Diplomat für Europa keine andere Alternative: Es könne nur atlantisch sein — mit der NATO als Wirbelsäule. Was könne aber die Freundschaft mit Moskau den Franzosen bieten? Zunächst stellt Francois-Poncet fest, daß sie auf tönernen Füßen stehe, da sie in den Augen der Sowjets fraglos dem Hauptzweck diene, Frankreich von seinen Verbündeten zu entfernen und damit bewußt die Gegensätze im westlichen Lager zu vertiefen. Dabei dürften die Franzosen jedoch nicht aus den Augen verlieren, daß die Organisierung der friedlichen Koexistenz mit Amerika das Hauptziel der Sowjets bleibe, dem sie im geeigneten Augenblick die Entente mit Frankreich ohne Bedenken opfern würden.

Die Möglichkeit einer Druckanwendung Frankreichs auf die Kreml-Führer mit dem Ziel einer größeren Konzessionsbereitschaft bei ihnen in der deutschen Wiedervereinigungsfrage schließt Frangois-Poncet aus, da keine Anzeichen für eine Änderung der grundsätzlichen sowjetischen Thesen hinsichtlich der Zweistaatentheorie beständen. Überdies würde das französisch-sowjetische Tete-ä-tete nur dazu beitragen, bittere Gefühle und Besorgnisse in Bonn zu wecken, nachdem bereits die vorgesehene Zusammenarbeit Frankreichs mit der UdSSR im Bereich des Fernsehens — das französische Verfahren konkurriere überdies mit einem deutschen — nicht gerade ein freundliches Echo in der Bundesrepublik gefunden habe.

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