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Canossa oder Attentat?

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Im Zusammenhang mit dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß ist jetzt eine Episode an die Öffentlichkeit gebracht worden, über der noch ein gewisses Dunkel schwebt. Selbst unter den Ungeheuerlichkeiten, die in diesem Gerichtsverfahren am laufenden Band zum Vorschein' kommen, vermögen die wirklichen oder angeblichen Tatsachen dieses Zwischenspieles aus dem Jahre 1943 noch besonders aufzufallen und nach genauerer Aufhellung für die künftige Geschichtsschreibung zu verlangen.

Nach einem Reuterbericht ist die Anklagevertretung im Nürnberger Prozeß im Besitze eines Dokumentes, das sie jedoch nicht als Beweismittel zu verwenden gedenkt, obwohl es von einem Plane Hitlers Zeugnis gebe, in die Vatikanstadt — es sei dies nach der Kapitulation Italiens gewesen — deutsche Truppen einbrechen und die Akten des Vatikans beschlagnahmen zu lassen. Dies würde bedeutet haben, daß die deutsche Kriegführung zu ihren Verbrechen gegen das Völkerrecht auch noch das bedeutungsschwerste zu häufen gedacht hätte. Man kann nicht beurteilen, inwieweit die Anklagevertretung jenem Aktenstück Zuverlässigkeit und Echtheit beimißt, da sie es nicht ins Treffen bringt. Wenn es echt ist, würde es erkennen lassen, bis zu welch wahnwitzigen, der Verzweiflung entsprungenen Einfällen schon damals die Berliner Diktatur bereits gelangt war, dieselbe Diktatur, die noch zwei Jahre lang Millionen Menschen auf die Schlachtbank eines aussichtslosen Krieges schleppte. Denn' nur Verzweiflung hätte eine solche neue Herausforderung des Rechtsbewußtseins der ganzen zivilisierten Menschheit gebären können.

Die vatikanische Diplomatie ist eine schweigsame Verwahrerin ihres Wissens um den Gang der Welt. Ihre Archive stehen der ernsten wissenschaftlichen Forschung zur rechten Zeit mit großer Liberalität offen, aber auf dieser uralten Weltwarte einer den menschlichen Leidenschaften entrückten Weis-heit ist kein Platz für Sensationen. Und man hat Zeit. Immrhin gibt es Anhaltspunkte, von denen aus das Verhältnis der nazistischen Politik zum Vatikan, ihre Einschätzung der Stellung des Papsttums während des Krieges und ihre darauf gerichteten Berechnungen erkennbar sind.

Früh schon, als die Ungewißheit des Kriegsendes führenden Männern des Berliner Auswärtigen Amtes und der Heerführung aufzudämmern begann, beschäftigte diese Stellen der Plan, eine Friedensvermittlung des Papstes zu erreichen. Allerlei Unternehmungen, die man begann, sollten die Möglichkeiten dafür auskundschaften. Eine offizielle Verantwortung sollte vermieden, die Initiative dem Vatikan zugeschoben werden. Man würde dann trachten, das Beste aus der vorzufindenden Lage der Dinge herauszuholen. Eine ganze Reihe solcher austastender Versuche wurde unternommen. Es ist anzunehmen, daß sie alle ausnahmslos jene dilettantischen Züge hatten, die der grobknochigen Berliner Diplomatie dieser Jahre anhafteten.

Einer dieser Versuch e lief über Österreich. Mitte September 1941 erschien in Wien, ausgestattet mit entsprechenden Papieren, ein Vollmachtsträger der Nachrichtenstelle des VII. deutschen Wehrkreiskommandos München mit dem Auftrag, in unauffälliger Art mit einer im Kar-dinal-Staatssekretariat eingeführten Persönlichkeit Fühlung herzustellen und die Aussichten zu erkunden, die für die E r ö f f n u n g v e r-traulicher Gespräche mit dem VatikanüberdieHerbeiführung eines Friedens gegeben wären. — Der österreichische Mittelsmann sollte, mit einem Diplomatenpaß versehen, unter Umgehung jeder Zwischenstelle, unmittelbar dem Papste oder dem Kardinal-Staatssekretär die vertrauliche Anfrage vorlegen. Dem Verlangen der als Mittelsmann ausersehenen Persönlichkeit nach einer präzisen Aufstellung der Berliner Vorschläge wurde Erfüllung in Aussicht gestellt. In den folgenden Wochen kam die Angelegenheit in Lauf. Im Berliner Auswärtigen Amt schien alles zur Ausführung gereift. Oberste Stellen hatten sich mit ihr befaßt. Da riß plötzlich der Faden ab. Inwieweit der gewaltsame Tod eines hohen Offiziers der Nachrichtenstelle des Münchener Generalkommandos und die Flucht eines an der Vorbereitung beteiligten Beamten damit zusammenhing, ist nicht aufgeklärt worden. Wahrscheinlich ist, daß man schließlich begriffen hatte, wie wenig Ernsthaftigkeit in Rom den Unternehmungen der Berliner Staatsführung zugetraut werden könne, die das von ihr selbst geschlossene Konkordat mit frivoler Bedenkenlosigkeit zerrissen und mit ihren Sünden gegen Treu und Glauben auf sittliche Würde und Vertrauen verzichtet hatte.

Trotzdem ist der Versuch, die höchste kirchliche Autorität vorzuschieben, um sich noch dem eigenen mörderischen Abenteuer zu entwinden, wiederholt gemacht worden.

Jeder dieser Versuche, so verdeckt er auch sein sollte, bedeutet einen Canossagang der nazistischen Kirchenstürmer. Sie, die ihre Gefängnisse und Zwangslager mit tausenden eingekerkerten Priestern füllten, in ihrem Machtbereich unzählige christliche Kulturstätten beraubten und dem religiösen Leben entrissen und der Welt den Wartegau als das Musterland ihrer Ausrottungspolitik gegen die Kirche vorzeigten, hatten ihre schwachen Stunden, in denen die majestätische Größe der von ihnen verfolgten Kirche sie auf die Knie zwang und sie gerne zu ihrer eigenen Rettung bei ihr Anleihen gemacht hätten.

Ob sie nach der Kapitulation Italiens, wie das in Nürnberg hervorgekommene Dokument, wenn es echt ist, verraten würde, schon an solcher Hoffnung verzagt hatten? Sicher ist, wie auch in Österreich zurückgebliebene Akten erkennen lassen, daß die Anstifter des Weltbrandes einmal planten, an ein siegreiches Kriegsende einen Kulturkampf nach ihren dämonischen Methoden zu knüpfen. Sie sind gestürzt. Aber für immer denkwürdig wird es bleiben, daß auch sie, die grimmigsten Hasser der Kirche, wiederholt daran dachten, bei ihr, der großen Hüterin des Ideals einer friedlichen, unter das Zeichen des Christentums gestellten Weltordnung, Hilfe und Rettung zu suchen.

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