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Das französische Exempel

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Die französische Gesellschaft zur Steigerung der Produktivität (staatlich) verlieh in feierlicher Form den „Oscar” der Produktivität 1957 an die Firma Studier, die seit Jahren durch ein System des Leistungslohnes eine beachtliche Steigerung der Produktivität erzielen konnte. Dabei muß besonders unterstrichen werden, daß in der genannten Firma eine große Anzahl Algerier beschäftigt sind. In den überaus gespannten politischen Verhältnissen zwischen Franzosen und Nordafrikanern und in einer Zeit, da sich der Terror unter den Algeriern immer stärker bemerkbar macht, ist es in der Firma Studier trotzdem nie zu einem Zwischenfall gekommen.

Die. Firma Studier & Co. ist ein Werk, das MetaWverkleidungen auf elektrolytischem Wege durchführt. ie beschäftigt derzeit 250 Arbeiter (150 Männer, 100 Frauen). Die Konkurrenz ist außergewöhnlich stark. Allein im Raume Paris befinden sich 150 bis 200 ähnliche Firmen, in ganz Frankreich 800. Der Betrieb arbeitet nur auf Bestellung. Eine Planung auf längere Sicht ist daher unmöglich.

Das soziale Klima muß bis 1950 als außergewöhnlich schlecht bezeichnet werden. Um es zu verbessern und ein echtes Vertrauensverhältnis herzustellen, wurde im gleichen Jahr ein kollektives Prämiensystem eingeführt. Man entschied sich, die drei letzten Jahre als Referenzjahre heranzuziehen und stellte bei 1000 Francs Umsatz 400 Francs Lohn, einschließlich der sozialen Lasten, fest. Die Betriebsleitung erklärte sich nun bereit, jenseits dieses Verhältnisses 400/1000 weitere Gewinne nicht allein abzuschöpfen. Gelingt es durch Anstrengung der Arbeiter, an Stelle von 1000 Francs beispielsweise 1200 Francs zu fakturieren, so gehen an das Personal 480 Francs (400 und 80 Francs Prämie). Die 80 Francs werden wie folgt aufgeteilt:

20 Prozent werden an einen Kompensationsfonds abgeführt, der dem Betrieb den finanziellen Schaden ersetzt, falls die Produktivität eines Monats sinkt.

5 Prozent werden einem Solidaritätsfonds zugewiesen (Sterbefälle, Eheschließungen, langanhaltende Krankheiten). Der Solidaritätsfonds wird ausschließlich von der Arbeiterschaft verwaltet, der Kompensationsfonds gemeinsam vom Betriebsrat und der Direktion.

75 Prozent erhält das Personal, entsprechend der Höhe des Grundlohnes. Zusätzlich werden die Einsparungen an Rohstoffen zur Hälfte zwischen dem Betrieb und dem Personal verteilt.

Eine eigene Produktivitätskommission wurde gegründet, die das Personal jährlich erwählt. Diese Kommission diskutiert sämtliche mit dem Prämiensystem zusammenhängende Fragen mit der Direktion und unterrichtet laufend die Belegschaft von den monatlichen Ergebnissen.

Zu Beginn des Versuches erklärten sich 30 Prozent des Personals mit dem Prämiensystem einverstanden, 50 Prozent zeigten sich indifferent und der Rest verhielt sich absolut negativ, ja vielfach feindlich. Vergessen wir nicht, daß der Betrieb in einer Gegend von Paris liegt, in der sich der kommunistische Einfluß besonders stark bemerkbar macht. Die nach 14 Monaten einsetzenden Erfolge haben die Belegschaft fast zur Gänze vom Wert des Prämiensystems überzeugt. Die Ausschüsse, die bisher in der Höhe von 15 bis 20 Prozent üblich waren, fielen auf ein Prozent und sind seit der Zeit nicht mehr gestiegen. Durch eine sichtbare Initiative sucht das Personal seine eigene Wirksamkeit zu erhöhen. Der Produktivitätsrat versammelt sich einmal im Monat und läßt sich die Papiere und Bücher des Betriebes vorlegen. Er erhält damit alle Unterlagen, um sich ein. Bild über den Umsatz, die steuerlichen Belastungen, die Hausse auf dem Rohstoffmarkt zu machen und ist dadurch in der Lage, die Prämie selbst zu errechnen. Gleichzeitig verteilt die Direktion monatlich einen Brief an sämtliche Angehörige des Werkes, in dem der Vormonat untersucht, die Fehler herausgestrichen und die Perspektiven für den kommenden Monat gezeigt werden. Schließlich finden wöchentlich Besprechungen zwischen dem Generaldirektor und jeweils zehn Arbeitern statt. In dieser Aussprache wird jedes Belegschaftsmitglied mit den Problemen des Betriebes, soweit sie auf das Prämiensystem Einfluß haben, vertraut gemacht. So wird die Gestaltung der Gestehungskosten besprochen, und die Direktion verlangt die Meinung der Befragten, ob dieser oder jener Auftrag angenommen werden soll. Dies ist notwendig, um die Belegschaft durch ein Verlustgeschäft in der Prämie nicht zu schmälern.

Der mittlere Durchschnitt im vergangenen Jahr, der als Prämie ausgeschüttet wurde, schwankt zwischen 17 und 25 Prozent des Grundlohnes. Gleichzeitig konnten auch die Verkaufspreise gesenkt werden, und zwar in einer Höhe von ungefähr 20 Prozent. Wäre diese Senkung nicht durchgeführt worden, hätte die Belegschaft eine entsprechend höhere Prämie beanspruchen können.

Mit großer Aufmerksamkeit wird von beiden Seiten die Steigerung der Qualität studiert. Die bisherigen sehr zeitraubenden Qualitätskontrollen konnten wesentlich eingeschränkt werden und erfolgen durch Sondagen. Die Arbeiter haben es sich angewöhnt, in einer sehr wirkungsvollen Weise die einzelnen Stücke selbst zu prüfen.

Besonders hervorzuheben ist das ausgezeichnete Betriebsklima. Die Arbeiter haben wirtschaftlich denken gelernt. Sie begreifen die Probleme, die von der Direktion zu lösen sind. LIm jedem einzelnen den Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz und der Verantwortung kenntlich zu machen, wurde eine graphische Darstellung ausgearbeitet, die plastisch zeigt, daß auch der unwichtigste Arbeitsplatz im Gesamtablauf der Produktion seine Bedeutung besitzt.

Das Personal wurde nicht nur durch den zusätzlichen materiellen Gewinn angesprochen. Es begreift, daß es nicht nuf Stunden zu verkaufen hat, sondern daß einer erhöhten Arbeitsleistung ein korrespondierender Lohn entspricht und die Interessen des Personals mit denen der Direktion übereinstimmen: Besser und billiger zu produzieren und mehr zu verkaufen.

R. L

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