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Demontage des Mittelstandes

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Autoritäre Regime . brauchen immer einen Popanz, auf den sie in unangenehmen Situationen ablenken können und den sie für auftretende Schwierigkeiten und Mißstände verantwortlich machen können. In der Tschechoslowakei ist dies das „Ueberbleibsel der kapitalistischen Klasse“, der Mittelstand oder das, was vom Mittelstand überhaupt noch vorhanden ist.

Der an sich bereits völlig bedeutungslos gewordene Kleinhandel wird systematisch weiter eingeengt. 1958 waren in der ganzen Tschechoslowakei zum Beispiel nur noch 77 Lebensmittelgeschäfte, 269. qqdere . Verkaufsläden, 20 Gemischtwarenhandlungen, 242 Gasthöfe und 105 Kioske und fahrbare Läden in privater Hand. Allein gegenüber 1957 war der Kleinhandelsumsatz privater Geschäftsleute und privater Gastwirte von der an sich schon lächerlichen Summe von 160 Millionen Kronen auf 50 Millionen Kronen (!) gesunken. Handelsminister Barak hat aber diese für manche noch nichtssagenden Zahlen entsprechend illustriert, indem er Vergleichszahlen aus dem Jahre 1948, als dem Jahr der kommunistischen Machtübernahme, anführte: Damals gab es in der

Tschechoslowakei noch 382.000 private Betriebe, die noch 904.000 Unselbständige beschäftigten. Bis 1956 waren aber nicht einmal mehr 15 Prozent, nämlich rund 47.000, übriggeblieben, die nur noch 50.000 Unselbständige

— also je Betrieb im Durchschnitt eine Person! — beschäftigten.

Wie in manchen anderen Dingen ist auch hier die Tschechoslowakei innerhalb der Volksdemokratien führend. Ihr Anteil der Privaten am Kleinhandelsumsatz erreicht gerade noch 0,2 Prozent gegenüber 0,4 Prozent in Bulgarien, 1,4 Prozent , 2,3 in Rumänien, 4,2 Prozent in Polen und schließlich 4,3 Prozent in Ostdeutschland.

Nicht ganz so kraß ist die Situation beim Gewerbe, obwohl in letzter Zeit auch hier radikale Maßnahmen ergriffen wurden. Entscheidend für diese Entwicklung wurde vor allem der Parteikongreß vom Jahre 1958. So gab es Ende 1957 immerhin noch 39.850 private Gewerbetreibende, Anfang 1959 waren es weniger als die Hälfte, nämlich 16.512.

Am deutlichsten ist die heutige Situation in der Großstadt Prag zu erkennen, die übrigens bei der Liquidierung von Handel und Gewerbe

— vor allem gegenüber dem Grenzgebiet und der Slowakei — „nachhinkt“. Hier hatte es noch 1957 4917 private Gewerbetreibende gegeben, von denen Anfang 1959 nur noch 2811 übriggeblieben sind. Diese „privaten Unternehmer“ beschäftigten 1957 „noch“ 536 Unselbständige (auf jeden zehnten „Unternehmer“ entfiel praktisch ein Arbeiter oder Angestellter!), heute nur noch 101 (also ein Beschäftigter für jeden dreißigsten „Privatunternehmer"!). Wie aber sieht die Gruppe der „selbständigen Unternehmer“ aus? Eine Teilzahl zeigt folgende Beruf sgruppen auf: ein Baumeister, ein Maurer meister, 95 Taxiunternehmer und 41 Fuhr- werker

1948 z. B. gab es in Prag noch 16.000 Privatgeschäfte, denen nur 410 verstaatlichte Geschäfte gegenüberstanden. Heute sind nur noch 261 private Geschäfte übriggeblieben. Um welche Geschäfte es sich aber handelt, ersehen wir, wenn trir feststellen müssen, daß mehr als die Hälfte, nämlich 140, Tabaktrafiken sind. Aber nicht genug damit, daß man alle größeren privaten Geschäfte einfach verstaatlicht. Die übriggebliebenen, geführt fast ausschließlich vom:-alten,-’ alleinstehenden Reiften, hat man 1958- zwahgs’weise aus - den Hauptstraßen um-’ gesiedelt, so daß sie heute nur noch in kleinen Seitenstraßen ihr Lebeji fristen dürfen, wo sie auch in wenigen Jahren restlos verschwunden sein werden. Mit Zwang hat man mehr als das erreicht, was man bereits zum Parteitag 1958 verkündete, daß auf der Straße, die zur Kongreßhalle des XI. Parteikongresses führt, keine Privatgeschäfte mehr zu sehen sein werden.

In der Landwirtschaft hat man — wieder sehr zum Unterschied von Polen und teilweise auch Ungarn — ebenso radikale Maßnahmen, zum Teil schon weit früher, ergriffen, ohne daß man hier allerdings schon zu einem vollständigen Abschluß gekommen wäre. In Böhmen und Mähren gibt es bereits in 81,9 Prozent aller Gemeinden Kollektivwirtschaften, in der Slowakei nur in 73,4 Prozent aller Gemeinden, die zusammen allerdings bereits 85,6 Prozent des ganzen landwirtschaftlichen Bodens umfassen. Immerhin konnte man im ersten Halbjahr 1959 weitere „Fortschritte“ machen: von 265 neuen Kollektivwirtschaften entfallen 85 auf Böhmen und Mähren und 180 auf die Slowakei, so daß jetzt insgesamt 12.405 Kollektive mit 912.000 Mitgliedern auf dem Gebiet der Republik bestehen. Die „Erbfolge" des ersten Halbjahres 1959 bedeutete gleichzeitig das Ende von 54.053 bisher selbständigen Bauern.

Zur Liquidierung des bisher selbständigen kleinen Mittelstandes hatte man natürlich gleich eine Reihe von Maßnahmen zur Hand: in erster Linie waren es steuerliche Druckmittel; nicht minder wirkungsvoll war die Handhabung der Warenzuteilung. Heute erhalten z. B. private Geschäftsleute nur dann eine Ware zugeteilt, wenn sie entweder Invalide oder älter als 60 Jahre sind! Schließlich versuchte man, Privatgeschäfte dadurch zu diskriminieren, daß man ihnen verbot, ähnliche Abkürzungen für ihre Geschäfte zu verwenden, wie sie bei Staatsbetrieben üblich sind. Auch einen Wettbewerb zwischen verstaatlichten Gewerbezweigen und Privaten verhinderte man dadurch, daß man die Weisung gab, private Gewerbetreibende dürfen nur noch Reparaturen durchführen. Als wirksamste Waffe aber setzte man Abschreckungsprozesse gegen „Kulaken" oder die übrigen „Ueberbleibsel der kapitalistischen Klasse" ein, die sich im Irrgraten der Steuer- und Bewirtschaftungsgesetze eines „Verbrechens“ schuldig gemacht hatten.

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