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Der Verwaltungsumbau in der Tschechoslowakei

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„Wenn wir uns in der ersten Republik den Luxus von einer Million Arbeitsloser leisten konnten, so können wir es uns heute leisten, um hunderttausend Staatsbedienstete zuviel zu haben“, schrieb im Jahre 1947 ironisch eine slowakische Zeitung. Gegenüber dem Vorkriegsstand hatte die Zahl der öffentlichen Beamten und Angestellten in der Tschechoslowakei um ein volles Viertel zugenommen, berücksichtigt man aber die Bevölkerungsabnahme durch Aussiedlung und Gebietsabtretung, dann ergibt sich, daß sich die Zahl der Beamten im Verhältnis zur Einwohnerzahl genau verdoppelt hat.

Die reichliche personelle Besetzung unmittelbar nach der Wiedererrichtung der Tschechoslowakei zeigte sich schon an der Spitze der Staatsverwaltung? es gab 26 Minister, darunter 5 stellvertretende Ministerpräsidenten; rechnet man die in finanzieller Hinsicht gleichgestellten Staatssekretäre und Beauftragte für die Slowakei hinzu, so erhöht sich diese Zahl auf 43. Die Zahl der Sektionschefs hat sich gegenüber dem Vorkriegsstand verdreifacht, in einigen Ressorts sogar verfünffacht!

Der Drang nach einem Platz hinter dem Schreibtisch blieb nicht auf die Staatsverwaltung im engeren Sinn beschränkt, er fand vor allem in der verstaatlichten Industrie ein ergiebiges Betätigungsfeld. Währ rend zum Beispiel in der Privatindu- strie auf 5,3 Arbeiter ein Angestellter entfiel, war das Verhältnis in der verstaatlichten Industrie 4:1.

Die Überführung aller überzähligen Staatsbediensteten in Industrie, Bergbau und Landwirtschaft sollte das Gesetz über die „Mobilisierung der Arbeiskräfte" erreichen; man wollte damals 150.000 Beamte auskämmen. Besondere Schwierigkeiten bereitete natürlich die Frage des Definitivums, die man durch eine langfristige Zwangsbeurlaubung unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Pensionsanspruches, beziehungsweise durch Zusicherung einer hohen Abfindung im Falle des freiwilligen Verzichtes zu lösen beabsichtigte. Die Erfolge des neuen Gesetzes in der Praxis waren kläglich. So berichtete die Wochenschrift „Svobodny zftrek" über seine Anwendung im Sommer 1947: Im Juli wurden 403 Staatsbeamte entlassen und in die Privatwirtschaft überstellt. Damit jedoch keine Stockung in der Staatsverwaltung eintritt, wurden im gleichen Monat 886 Beamte neu in den Staatsdienst aufgenommen. Im August verrringerte sich der Stand um 136 angeblich überflüssige Bedienstete; sie wurden durch 657 neu eingestellte Kräfte ersetzt,

Größere Erfolge ließen sich durch die „politische Säuberung“ des Beamtenappa- rates von „Kollaboranten und asozialen Elementen" erreichen, die dann im Februar 1948 wieder auflebte. Immerhin gab es um die Jahreswende 1948 49 noch 65.000 überzählige Beamte, deren zwangsweise Überführung in die Industrie nunmehr energisch angeordnet wurde. Sie erhalten im Falle der freiwilligen Meldung für einen neuen Arbeitsplatz eine Abfindung in der Höhe zweier Monatsgehälter, andernfalls nur einen.

Einschneidender noch sind die Wandlungen, die der Beamtenkörper nach dem Februar 1948 infolge der politischen Umgestaltung des öffentliche en Lebens erfuhr. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei hat in seiner Sitzung vom 17. November 1948 der Verwaltung neue Ziele gesteck, die — wie Innenminister Nosek erklärte — der Arbeiterklasse eine erhöhte Sorge um den Staatsapparat und vor allem die Aufgabe auferlegte, einen neuen Beamtentyp zu schaffen. Die Beamten müssen, so erklärte der Minister, „alles abstreifen, was an die Zeit des Kapitalismus, der Okkupation und der Herrslchaft reaktionärer Kreise nach 1945 erinnert; das bedeutet eine völlige Umgestaltung der gesamten im Behördendienst beschäftigten Intelligenz". Vor allem werde vom Beamten verlangt, daß er nicht nur die Details seines eigentlichen Berufes beherrsche, sondern auch Einblick in die großen Perspektiven der gesellschaftlichen Entwicklung gewinnt, sich die Prinzipien des Marx- Leninismus als der einzigen richtigen Welt-anschauung aneignet und politisch zuverlässig ist.

Diese politische Zuverlässigkeit wurde either dem tschechischen Beamtentum von maßgeblicher Seite bescheinigt: Slansk , der Generalsekretär der KPČ, hat festgestellt, daß der Großteil der Beamten aus loyalen Leuten besteht. Zahllose Schulungslehrgänge — turnusweise, in Kurzlehrgänge oder Spezialschulungen, fachlich oder gebietsweise gegliedert — vermitteln und vertiefen die politische Bildung.

Trotz aller Anpassung konnte das Berufsbeamtentum seine Verdrängung von den wichtigen Posten nicht verhindern. Nicht nur die Vorsitzenden, auch die Referenten aller Bezirks- und Kreisnationalausschüsse werden in Hinkunft aus Wahlen hervorgehen, der eigentliche Beamtenapparat hat sich lediglich auf die Durchführung der Beschlüsse zu beschränken, eine selbständige Entscheidungsbefugnis steht ihm nicht zu. „Wir bereiten die Eingliederung fähiger Arbeiter und Landwirte in die Verwaltung vor" — erklärte kürzlich der Innenminister — „und werden die Schlüsselposten mit ihnen besetzen.“ Der Vorsitzende des Kreisnationalausschusses in Brünn hob hervor, in wie unzureichendem Maße die Behörden bisher mit „Arbeiterkadern" besetzt sind. Zur Beseitigung dieses Mangels wird in Brünn am 1. September 1949 eine gesamtstaatliche einjährige Verwaltungsakademie für Arbeiter eröffnet, deren Absolventen sodann die Schlüsselstellungen der Verwaltung einnehmen sollen. (Auf dem Gebiet der Justiz haben ähnliche Schulungen bereits Ende vorigen Jahres begonnen. Die Besucher dieser einjährigen Schulungslehrgänge sind sodann Richtern und Staatsanwälten gleichgestellt.)

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