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Die Erben der Macht

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Seit ungefähr sieben Jahren ist die erste Generation der Zweiten Republik im Abtreten begriffen. Wenn dieser Prozeß auch noch weit länger als ein Jahrzehnt dauern wird, so ist es doch nicht uninteressant, sich mit einigen der Wirkungen auseinanderzusetzen, die er hervorruft. Dazu aber muß man sich wenigstens in großen Zügen darüber im klaren sein, wer hier die Macht übergibt — und wer sie übernimmt.

Die „1945er“! Wir verstehen darunter — man verzeihe die sachliche Klassifizierung — eine bestimmte Anzahl österreichischer Frauen und Männer, die vom nationalsozialistischen Regime drangsaliert wurden — ein Wort, das so wenig wie jedes andere geeignet ist, das Ausmaß des Erlittenen wiederzugeben.

Vor dem großen Grauen waren diese Österreicher in zwei feindlichen Lagern gestanden. Über diesen beiden Gruppen schlug die Welle des Terrors zusammen. Und siehe — es zeigte sich, daß sie einander hinter Stach“ idraht allmählich verstehen lernten. ~:twas, was am politischen Parkett unmöglich geschienen hatte, vollzog sich beinahe selbstverständlich in t*?h Lagern der Gewalt und in den Zel'en des österreichischen Widerstandes. Diese Frauen und Männer h-iben damals eine sehr konkrete Vorst Uung davon bekommen, wie das Österreich aussehen sollte, das sie nach dem Ende des Dritten Reiches aufzubauen gedachten. Der große Monent kam wirklich. Quer durch di- wiedererstandenen Parteien lief die Linie derjenigen, die ihre Vision des Rechtsstaates verwirklichen wollten.

Die Angehörigen dieser Generation standen im Jahre 1945 — grob gerechnet — im Alter von 30 bis zu 60 Jahren.

Seither sind achtzehn Jahre vergangen. Wer im Jahre 1941 — als ein großer Teil der österreichischen Patrioten bereits verhaftet oder emigriert war — zur Welt kam, der ist bei den letzten Nationalratswahlen bereits an die Urne getreten. So rasch vergeht die Zeit, so schnell wechseln Generationen...

Hier begegnen wir einem fundamentalen Unterschied gegenüber sonstigen Generationswechseln. Denn

• die Macht wird von einer politischen Generation übergeben, die am eigenen Leib die Auswirkungen der Undemokratie erlebt hat und die deshalb wie ein gebranntes Kind davor zurückschreckt, den Boden des Rechtsstaates zu verlassen;

• übernommen wird die Macht von einer anderen Generation, die zwar sehr viel von den Leiden der vorigen gehört und gelesen hat, für die diese Erfahrungen aber doch immer mittelbare Erfahrungen bleiben müssen. ,

Wenn nun mit gutem Recht behauptet werden kann, daß das gemeinsam Erlittene zu den Hauptfaktoren beim Aufbau und der Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit zählt — und das kann niemand anzweifeln, der Reden und Schriften der „ersten demokratischen Generation“ kennt — so erhebt sich die Frage, was es denn bei den „Erben der Macht“ sein soll, da es ihnen ermöglicht pfiä gebietrt. den ei“ge-. schlagenen Weg unbeirrt weiterzuschreiten.

Geben wir uns einen Stoß: Bei manchen ist es ein profundes Wissen um die tiefe Nacht, in der sich zuerst ganz winzig das Lichtlein der demokratischen Zusammenarbeit entzündete — mit gebieterischer und doch demütiger Einsicht in die Konsequenzen, die das Geschehene hervorgebracht hat.

Und doch: Bei vielen anderen ist es nicht mehr als die Erinnerung an eine Vergangenheit, von der lästigerweise auch noch des öfteren behauptet wird, sie sei „unbewältigt“, und die schon fast vage Reminiszenz, daß irgendwann in Österreich eine Republik zugrunde gegangen ist. So erschreckend das klingt — es ist leider nicht übertrieben.

Wir folgern daraus: Die Erinnerung an den praktischen Umgang mit der Undemokratie verliert mit den Jahren an Intensität. An ihre Stelle muß etwas anderes treten. Und dieses andere kann eben nur alles das sein, was den Erben der Macht von der ersten republikanischen Generation mitgegeben wurde an Rechtsempfinden, Toleranz und — nennen wir das Kind bei seinem Namen — persönlicher Wertschätzung für eine Staatsform, von der Churchill sagte, sie sei „die schlechteste mit Ausnahme aller übrigen“.

Wenn in einer politischen Partei diese Weitergabe demokratischen Bewußtseins organisch vonstatten geht, so kann ein Generationswechsel dieser Partei keine ernstlichen Konflikte bringen.

Was aber, wenn aus mancherlei Gründen diese Weitergabe nicht oder nur mangelhaft erfolgt? Wenn die politischen Väter die bittere Erfahrung machen müssen, daß sie nicht in der Lage gewesen sind, ihren Söhnen das republikanische Erbe ungeschmälert zu vermitteln?

Dann werden die alten Warner und Mahner immer lästiger. Denn sie sind so kleinlich in der Auslegung darüber, was Recht ist, so penibel hinsichtlich politischen Hasards.

Man sollte sich darüber Gedanken machen, ob diese Schilderung für Österreich Wirklichkeitswert besitzt, und wenn ja, ob diese Entwicklung gesteuert werden kann.

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