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Die Kirche in der Sowjetunion

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Die Kirche in der Sowjetunion. Von John Shelton Curtils. Isar-Verlag, München. Deutsche Uebersetzung des amerikanischen Originals (The Russian Church and the Soviet State) von Josef Hahn. 360 Seiten

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Die Kirche in der Sowjetunion. Von John Shelton Curtils. Isar-Verlag, München. Deutsche Uebersetzung des amerikanischen Originals (The Russian Church and the Soviet State) von Josef Hahn. 360 Seiten

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Der Verfasser, Professor an der Duke University, der russischen Sprache kundig und mit den Verhältnissen in der UdSSR gut vertraut, hat auf Grund eines sehr umfänglichen Materials, das sich in der einschlägigen Literatur und in gedruckten Quellen, vornehmlich in Broschüren, Zeitschriften und Zeitungen, findet, ein sehr wertvolles Bild der Kirchengeschichte der Sowjetunion zwischen 1917 und 1930, ein auch in den engeren Umrissen beachtliches der Periode von 1930 bis 1950 gegeben. Der Epilog, bis 1956 reichend und speziell für die deutsche Ausgabe verfaßt, bringt nur unzureichende Angaben. Zum Vergleich sei erwähnt, daß für die erste Periode je 18 Seiten pro Jahr zur Verfügung standen, während die jüngste Vergangenheit jedem lahr nur je eine Seite widmet. Damit ist schon ein Konstruktionsfehler des, wie die Einleitung mitteilt, wesentlich 1941 fertig gewesenen und 1941/42 bis 1950 fortgeführten Werkes genannt. Ein zweiter liegt in der Unklarheit des Gesamturteils, in einem unablässigen Schwanken zwischen verniedlichendem Optimismus und resignierendem Pessimismus. S. 306 endet der aus dem Original übernommene Text. „Weil die Frage der Religion und der Kirche wichtigeren Problemen untergeordnet wurde, ist die sowjetische Politik der russischen Kirche gegenüber geschmeidig geblieben und hat im letzten Jahrzehnt zur Gewährung beachtlicher Begünstigungen für die Kirche geführt. Da eine blühende Kirche die Interessen der UdSSR nur fördern konnte, half man der Kirche, ihr theologisches Schulwesen auszubauen und zu entwickeln und enge Kontakte mit der orthodoxen Kirche des Auslandes herzustellen . .. Obwohl jedoch der ideologische Gegensatz zur Religion und zur russischen Kirche zurückgestellt wurde und zuzeiten verstummte, hat er doch nicht aufgehört. Der kommunistische Widerstand gegen die Religion ist ein konstantes Element. Die Religion muß früher oder später ausgerottet werden, und vor allem darf sie die jüngeren Generationen nicht für sich gewinnen. Daher der wachsende Drang, die Jugend mit einer materialistischen, gottlosen Weltanschauung zu durchdringen, obwohl die russische Kirche ermutigt wird, ihre Tätigkeit zu erweitern... Man kann der russischen Kirche und anderen religiösen Gemeinschaften ruhig erlauben, dahinzusiechen, denn i n einer Generation wird es fast nur noch Atheisten und Materialisten geben.“

S. 312 (Epilog): „Die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Regierung wurde fortgesetzt und scheint sogar etwas enger geworden zu sein. Dank diesem günstigen Klima bleibt die Kirche ziemlich stark, und es sind auch keine Anzeichen einer direkten Gefährdung wahrzu-

nehmen. Das höchste Ziel der Regierung dagegen bleibt das restlose Aussterben der Religion, und zu diesem Zweck führt sie einen ununterbrochenen antireligiösen Propagandakrieg.“ In einem und demselben Buch wird also zugleich die Meinung vertreten, die Kirche sei ziemlich (?) stark und sie sieche dahin, in einer Generation (das heißt, aus dem unbeholfenen Deutsch des Uebersetzers ins Deutsche übersetzt: nach Ablauf eines Menschenalters) werde es fast nur Atheisten und Materialisten geben — das ist eine prophetische Aussage —, und das Ziel der Regierung sei restloses (o wie schön!) Aussterben der Religion — das ist eine, an sich zutreffende Mitteilung über Absichten der Regierung, doch nicht das Feststellen eines unvermeidbaren Sachverhalts. Einheitlichkeit herrscht in John Shelton Curtiss' Ergebnis allein bei der Formulierung der beiden Endsätze auf S. 306 und 313: „Nur die Zeit wird erweisen, ob- diese Annahme richtig ist“ und „Erst die Zeit wird erweisen, ob sie (nämlich nicht: die Zeit, sondern die in einem vorangehenden Satz erwähnte antireligiöse Propaganda) dieses Ziel erreicht.“ Dem psychologisch angehauchten Rezensenten offenbart derlei ob ihrer Aehnlich-artung an eineiige gemahnende zweieiige Stilzwillinge die Flüchtigkeit, mit der ein Autor dem längst abgeschlossenen und in sich geschlossenen Buch eine scheinbar bis zur Gegenwart geleitende Fortsetzung aufgepappt hat. Dieses betrübliche Phänomen reiht sich aber auch in die Gesamtleistung des Uebersetzers ein, der, abgesehen von einem besonderen Unvermögen des sprachschönen Ausdrucks, eine hervorragende Ahnungslosigkeit auf dem Gebiet der Religionswissenschaft mitbringt. So zitiert er von Drews, den er offenbar für einen Angelsachsen hält, ,.The Myth of Christ“, er heißt einen Patriarchatsverweser „amtierenden Patriarchen“, erzählt von einem „Karlovacky Sobor“, nämlich von der Karlo-witzer Synode, Jurisdiktion, Emigrationskirche (oder wie immer man auf Deutsch dieses Gebilde heißen mag).

Es ist jammerschade, daß dem Werk des amerikanischen Gelehrten so viele Mängel anhaften, die in der deutschen Ausgabe noch stärker hervortreten. In der Beschränkung auf die Zeit bis 1946 oder sogar bis 1950 hätte es ein erfreulicheres Niveau gewahrt. Insbesondere aus der Epoche der Kirchenverfolgung breitet der Autor eine Fülle von Tatsachen vor uns aus. die in ihrer Nüchternheit einen tieferen Eindruck wecken als geschwätzige Propaganda in diesem oder jenem Sinn. Der Fleiß, die Einsicht und die milden Absichten des Historikers, der zugleich dem Religionswissenschafter und dem Politiker schätzbarsten Stoff zugänglich macht, erheischen dankbare Anerkennung.

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