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Diokletian in China

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Peking und Moskau eint der Wille, sich vom Westen abzuheben. In den Mitteln der Umsetzung hat China sich vom russischen Stamm emanzipiert. Gretta Palmers Buch "Chinas große Prüfung" geht darauf ein.

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Peking und Moskau eint der Wille, sich vom Westen abzuheben. In den Mitteln der Umsetzung hat China sich vom russischen Stamm emanzipiert. Gretta Palmers Buch "Chinas große Prüfung" geht darauf ein.

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Man begegnet häufig der Ansicht, daß sich der chinesische Zweig des Weltkommunismus wesentlich von seinem russischen Stamm unterscheide. Mao Tse-tung und seiner Gefolgschaft sei es viel weniger um die ideologische Durchdringung des Landes zu tun als um die Durchführung eines umfassenden Reform- und Aufbauprogramms auf nationalökonomischem und vor allem landwirtschaftlichem Gebiet. Selbst bei der Verfolgung dieser Ziele gingen sie behutsamer zu Werke, und in religiösen Fragen mit weit größerer Toleranz, als dies unter der kommunistischen Herrschaft sowjetischer Marke je der Fall gewesen sei. Diesen Gedanken brachte kürzlich auch Mr. Clement Attlee zum Ausdruck, als er nach Absolvierung seiner Chinareise an der Spitze einer Labour- Party-Delegation erklärte, der chinesische Kommunismus sei entschieden milder als der sowjetische, und die Ausweisung fremdländischer Missionäre — von den eingekerkerten und ermordeten sprach er nicht —- eher auf nationalistische als auf antireligiöse Motive zurückzuführen.

Es ist schwer zu entscheiden, ob einer solchen Auffassung mehr die Unkenntnis dessen zugrunde liegt, was in China tatsächlich vorgeht, oder mehr der Wunsch, Peking auf einem Wege zu sehen, der allmählich zu seiner völligen Emanzipation von Moskau und damit zur Möglichkeit einer wirklichen Verständigung mit der nichtkommunistischen Welt führen könnte. Wie immer dem sei, es handelt sich hier um eine Theorie, die kein reales Fundament besitzt. Dem Gelingen des Kampfes, den der materialistische, die Existenz der menschlichen Seele leugnende Kommunismus paradoxerweise auf seine Fahne geschrieben hat, des Kampfes um die Seele des Menschen, gilt in China genau - wie im moskowitischen Herrschaftsbereich die erste Sorge und die höchste Anstrengung des Regimes.

Und so wie da und dort das Ziel das gleiche ist, den Menschen seines Glaubens an Gott und seines Vertrauens" auf das Walten einer ewigen Gerechtigkeit zu berauben, um ihn, entwurzelt und entwürdigt, in die stumpfe Masse blind-gehorsamer Untertanen einreihen zu können, so sind die Mittel die gleichen, mit denen versucht wird, dieses - Ziel zu erreichen. Wenn in dieser Hinsicht überhaupt von einem Unterschied gesprochen werden kann, so liegt er lediglich in der Akzentuierung.

Die Gotteshäuser moskowiticher Observanz halten, zur Zeit wenigstens, die Verbreitung dieser „wissenschaftlichen Erkenntnisse" für wirksamer bei der Bekämpfung religiösen Glaubens, als offenen Terror, wogegen ihre chinesischen Kollegen nach wie vor .gewaltsamen Methoden den Vorzug geben; immer darauf .bedacht allerdings, den Eindruck zu erwecken, daß ihre Religionsverfolgung — nach Lage der Dinge bedeutet das in erster Linie die Verfolgung des Christentums — gar nicht gegen einen religiösen Glauben als solchen oder dessen Ausübung gerichtet sei, sondern gegen den „Mißbrauch religiöser Einrichtungen durch die fremden Imperialisten''.

Wie sie dabei vorgehen und schon lange vor Kriegsende vorgegangen sind; wie viele Jahre und Jahrzehnte selbstloser Hingabe im Dienst- der chinesischen Armen und Siechen und Waisen keinen Missionär und keine Ordensschwester ausländischer Geburt davor geschützt haben, als „imperialistischer Spion und Saboteur" behandelt zu werden; wie sich der Haß der Machthaber mehr noch gegen die chinesischen Christen richtet, und vor allem gegen die chinesischen Bischöfe, Priester und Laienmitglieder der katholischen Kirche, aus deren Reihen bis heute schon ungezählte Blutzeugen für den Glauben erstanden sind — davon gibt Gretta Palmers Buch, zusammengestellt aus sorgfältig überprüften Tatsachenberichten, ein erschütterndes Bild.

Es übertreibt nichts; die Wirklichkeit ist, wie heimgekehrte Missionäre einstimmig erklären, unaussprechlich brutaler. Um so überwältigender die Anklage, die dieses Bild gegen den Westen erhebt; gegen das „christliche Abendland", welches mit seiner Uneinigkeit, Gleichgültigkeit und Unentschlossenheit verantwortlich geworden ist für das namenlose Unglück des chinesischen Volkes, und dann noch die weitere Schuld auf sich geladen hat. Indochina dem gleichen Schicksal zu überlassen. Und um so eindringlicher die Warnung: was in China geschehen ist. kann überall geschehen. Woran sich die bange Frage knüpft: sind die Christen überall in den heute' noch freien Ländern darauf gerüstet, einer Verfolgung ebenso opfermutig standzuhalten wie ihre chinesischen Glaubensgenossen?

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