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Ein Frankenschatz und anderes

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Über dem Regierungswechsel in Ungarn waltet eine merkwürdig schlechte Regie. Da ist einmal ein Ministerpräsident, dessen Demission einen Tag eher als vollzogen gemeldet wird, bevor sie wahr ist. Diese Demission wird damit begründet, daß er ein Verschwörer gewesen und also gegen seine eigen Regierung ich verschworen hätte. Und schließlich vernimmt man, daß man diesem Verschwörer-Ministerpräsidenten nicht nur in aller Fürsorglichkeit seinen kleinen Sohn in die Schweiz - nachgeschickt habe, sondern auch allen Schmuck und 400.000 Schweizer Franken, einen privaten Reichtum an kostbaren Auslandsvaluten, von dem niemand weiß, wann und woher er ihn erworben hätte. Diese liebevolle Fürsorge für das künftige Wohlergehen eines in das Ausland noch rechtzeitig verschwundenen Staatsverschwörers wäre ohne Beispiel in der neueren Geschichte.

Haben die Regisseure dieses ungarischen Staatsstreiches etwa ihre Rampenlichter nicht falsch aufgedreht? Anstatt die Szene ins Rätselhafte zu verdunkeln, haben sie grelle Widersprüche in ihrer Darstellung gehäuft.

Die erkennbaren Tatsachen sind sehr nüchtern. Seit Monaten ist die kommunistische Partei, die nur ein Fünftel der Wahlstimmen auf sich vereinigt hat, bestrebt, die politische Vormachtstellung der Kleinen Landwirte-Partei, der stärksten Parlamentsfraktion, aufzuspalten. Schon bisher arbeiteten dafür zahlreiche Faschisten- und Verschwörerprozesse, die immer neue Ausschlüsse aus der Majoritätspartei zur Folge hatten. Die Öffentlichkeit hat keinen Einblick in die Verhandlungen und Verhöre, die in einem in Budapest mit scheuer Furcht genannten Hause in der An-drassy-ut 60 vor einer kommunistisch verwalteten Amtsstelle stattfinden. Man kann es verstehen, daß Herr Nagy kein Verlangen trug, derzeit Budapest wiederzusehen und lieber seine Demission gab, kompromittiert, wenn möglich — vor seinem Lande als angeblicher Verschwörer und angeblicher Eigentümer eines wundervollen Schatzes- von 400.000 Schweizer Franken. Man versteht, welch ein Vorspiel diese Geschichte für die von den Linksparteien für den Herbst dieses Jahres geforderten Neuwahlen sein soll. Das Wahlrecht soll bis dorthin überdies empfindlich eingeschränkt werden; den zwei jüngsten Jahrgängen wird das Wahlrecht genommen und ebenso nicht nur verurteilten „Volksfeinden** sondern auch ihren Verwandten in gerader und Seitenlinie. Also Konstruktion einer Kollektivschuld, wie sie bisher nur in blutigen Diktaturen geübt wurde. Dies alles überkreuzt sich mit einer wirtschaftlichen Aktion. Rußland hatte alle deutschen Guthaben in Ungarn, rund 55 Millionen Pfund im Wert, eingefordert, ohne jedoch eine Kompensation mit den überaus namhaften Forderungen zu gestatten, die Ungarn an Deutschland zu stellen hat. Ungarn hatte im letzten Kriegsjahre gegenüber Berlin eine Clearingspitze von mehr als einer Milliarde. Den ungarisdien Firmen, die der Zahlungsverpflichtung aus einer deutschen Forderung nun nicht nachzukommen in der Lage wären, sollte ein durch Wechsel zu deckender Kredit bei der russischen Staatsbank eröffnet werden. Diese Forderung wurde vorgebracht, als sich der ungarische Finanzminister R o n a i und der Handelsminister Nyärady zu wirtschaftlichen Besprechungen nach Moskau begaben, wo sich diese beiden Funktionäre zur Zeit noch befinden. Die Regierung Nagy war nicht bereit, diese Forderung zuzugestehen. Nunmehr fordert die kommunistische Fraktion die Verstaatlichung der Banken und in diese Verstaatlichung seien alle Unternehmungen einzu-beziehen, an denen eine Bank mit mehr als einem Fünftel des Kapitals beteiligt ist. Hier ist ein Spiel um großen Einsatz im Gange. Ein gefährliches Spiel. Nicht einmal das Zuschauen ist eine angenehme Unterhaltung.

Die architektonischen Pläne für die Wolkenkratzersiedlung, die die UNO am Ufer des East River in Manhattan berherbergen soll, sind fertiggestellt. Ein neues „Brobdingnag“, eine Stadt der geistigen Riesen, zum Unterschiede der körperlichen der Gullivererzählungen — soll entstehen. Um die Grundsteinlegung besonders feierlich zu gestalten und dem Fundament — im Hinblick auf die dem Bau gestellte Aufgabe — eine ungewöhnlich Tragfähigkeit zu geben, wurde vorgeschlagen, ein gewaltiges Stück des P 1 y m o u t h-f e 1 s e n in USA als Eckstein zu verwenden. Denn der Plymouthfelsen wird traditionsgemäß auch als Materia! für die Büsten und Standbilder großer amerikanischer Staatsbürger verwendet. Als aber — wie die amerikanische Wochenschrift „Time“ berichtet — die Nachricht kam, daß der Felsen sich auf schwerem Lastgestell gegen New York wälze, wurde ihm kein freundlicher Empfang zuteil. Denn die Kritik stellte gleich fest, daß es kein echter Plymouthfelsen sei, sondern ein ganz gemeiner Steinblock aus dem Staate Massachusetts. Immerhin wog er fünfzehn Tonnen. Der Bürgermeister von New York erklärte grimmig, daß er den schweren Reisenden bei Eintritt in die Stadt sofort in den East River werde werfen lassen. Sein Sekretär, weniger grimmig, aber mehr geschäftlich, fügte beruhigend hinzu: „Schicken können sie, was sie wollen. Aber wenn der Stein den Verkehr behindert, wird das viel Strafe kosten.“ Währenddessen zerbrachen sich die Funktionäre der UNO den Kopf, wer wohl der Spender dieses Danaergeschenkes gewesen sein mag. Im Trubel des Weltregierens war das nämlich vollkommen in Vergessenheit geraten. Nach längerem Forschen stellte es sich heraus, daß der Stifter ein Millionär namens Charles Henry Davis war, der schon früher einmal die Öffentlichkeit mit etwas ausgefallenen Vorschlägen begeistert hatte. Einer davon betraf eine dreißig Meter hohe Churchill-Statue, die in Dover aufgestellt und deren berühmt „Churchill-Zigarre“ als Leuchtfeuer dem Standbild eingebaut werden sollte. Diesem stürmischen Projektanten ist jedoch die Welt scheinbar nicht hold. So wie damals überwältigen ihn auch diesmal die Schwierigkeiten. Als er hörte, wie sehr man seinen guten Willen verkannte, und daß niemand die Verantwortung für den Felsen übernehmen wolle, ließ er ihn verstimmt vom Traggestell auf irgendein Feld rollen. Breit und wuchtig bohrte der Block sich in die weiche Erde. Dort erwartet er schweigend, was der Generalsekretär der UNO über ihn bestimmen und der Bodeneigentümer dazu sagen wird.

Vielleicht wird sich im Ablauf der Jahrhunderte die Sage des Steines bemächtigen. Wie der Riese Atlas war er dazu ausersehen, die Organisation der Welt auf seinem breiten Rücken zu tragen. Aber das Malheur beginnt schon beim Fundament.

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