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Im Zeichen des werdenden Europa

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Die Frage ist gestellt: Wird Europa 2u einer höheren Einheit seiner Völker und Staaten hinfinden und für diese Neuexistenz aus Ver-fassungs-, Wehr- und Wirtschaftspakten den dauernden Bestand sichern können, wenn dieser nicht verankert wird in einer besseren sittlichen und sozialen Ordnung? Denn dieses neue Europa muß doch mehr sein, um seinem großen Vorhaben entsprechen zu können, als ein Geschöpf aus Platzangst, Utilität und einem nach einer Weltkatastrophe sich verspätenden sentimentalen Humanismus.'

Wenn auch nicht so streng formuliert, so entsprang doch offenbar verwandter Erkenntnis der Aufruf, mit dem die „Gesellschaft katholischer Publizisten Deutschlands“ die katholischen Berufsgenossen aus den europäischen Ländern für die letzte Aprilwoche zu einer Werktagung nach Meran einlud. Sie erinnerte daran, daß „gerade ihnen es zufalle, vom gemeinsamen religiösen und geistigen Standpunkte aus Wesentliches zum Reifen einer echten europäischen Einheit beizutragen, ihrem Gefüge würde „die Seele fehlen, wenn nicht besonders die Christen ihre spezifische Kraft einsetzten“. In der Meraner Tagung trafen sich mehr als ein halbes Hundert Zeitungs- und Rundfunkleute, Verleger, Wissenschaftler aus Westdeutschland mit Publizisten aus 15 anderen europäischen Staaten in lückenloser Reihe von Skandinavien bis Spanien, es fehlte auch nicht das Saarland und als östlichster Posten des freien Mitteleuropas Oesterreich. Im ganzen gesehen, eine eindrucksvolle Repräsentanz internationaler katholischer Verwaltung der öffentlichen Meinung unter der gastlichen Obhut des ergrauten südtiroler Zunftgenossen Kanonikus Ganipcr, des verehrungswürdigen Pioniers seines Volkes. Dem Titel der Tagung „Europa und die Nationen“ entsprachen fünf große Referate, um die sich eine lebendige Diskussion gruppierte. Das erste Thema „Die Nationen in der Geschichte Europas“ behandelte aus meisterlicher Schau Universitätsprofessor Dr. Georg Stadtmüller, München. Die nächsten Beratungstage beschäftigten sich mit den Themen: „Die Entstehung der Nationen und der Zerfall der europäischen Einheit“ (Referent Dr. von Borodajkiewycz, Wien); „Die Integration der abendländischen Volkstümer als die Fülle Europas“ (Referent Prälat Dr. Grosche, Köln); „Die Ueberwindung des souveränen Nationalstaates“ (Referent Minister a. D. Professor Dr. Adolf Süsterhenn, Koblenz); die Krönung bildete das Referat: „Die politische Organisation Europas“, gehalten von dem Präsidenten des europäischen Verfassungsausschusses Dr. Heinrich von Brentano, Darmstadt. Mit Ausnahme des letzten Vortrages, einer lichtvollen, von wohltuendem Optimismus getragenen Kommentierung der bekannten Anträge des Verfassungsausschusses des Europarates über den strukturellen Aufbau einer künftigen europäischen Einheit, geboten von dem berufensten Sprecher, waren die Referate zumal dem geschichtlich Geschehenen und den gewonnenen grundsätzlichen Folgerungen zugewendet. Ueber-einstimmung gab es dabei in der Ablehnung jenes militanten Nationalismus, dessen Wesensmerkmale Universitätsprofessor Dr. Stadtmüller in zwei Aeußerungen erblickte: „In der Erklärung der Muttersprache zum alleinigen Kriterium der Nationalzugehörigkeit und in dem Verlangen, daß auch die kleinste Nation ihren eigenen souveränen nationalen Staat bilden solle.“ Man befindet sich nicht im Widerspruch zu Professor Stadtmüller, wenn man beifügt: Wohl aber gebührt auch der kleinsten Nation das Recht auf die größte mit dem bonum commune vereinbarte Autonomie innerhalb des größeren Lebensraumes, den ihr die Natur zugewiesen hat. Der übernationale Staat, der für die Lebensrechte der Großen und Kleinen Platz hat und vereinigt, was ohne ihn nicht zur gleichen Wohlfahrt gelangen kann, ist ja doch das Wesensprinzip des neuen Europa. Je näher die Ausführung ihm kommt, desto größer das Gelingen, je weiter abseits die Lösung, desto näher die Gefahr des Versagens. Der geistreiche Vortrag Prof. Süsterhenns verdeutlichte diese Sachlage.

Der österreichische Teilnehmer der Meraner Tagung hörte mit Genugtuung aus den Referenten die Erinnerung an die historische Leistung des alten Oesterreich aufklingen, an seine unbedankt gebliebene Hingabe an das Bemühen um den übernationalen Staat, ohne den die kleinen Völker des Donauraumes in Gefahr kommen, ihre Freiheit zu verlieren, so wie es in den sogenannten Nachfolgestaaaten fast ausnahmslos geschehen ist. Es wurde nicht nur die Tragik des alten Oesterreich, daß es für seine schwere Rolle unter den Großen des Westens eine zu geringe Wertung fand. An diesem schicksalsschweren Verkennen tragen heute alle Völker. Schon der erste Referent zu Meran sagte mit erfrischender Deutlichkeit: „D i e Zerschlagung des habsburgischen Völ kerreiches bedeutete den völligen Sieg des militanten Nationalismus.“ Daß dies 'ein ausgezeichneter Kenner des europäischen Südostens, dieses alten Erdbebenzentrums, sagte, machte die Feststeilung besonders dankenswert. Das Problem, das einer dauerhaften und übernationalen Lösung innerhalb der Donaumonarchie, entrissen wurde, ist zum scheinbaren Verstummen gebracht. E s wird sich gebieterisch dann wieder melden, wenn die Stunde da sein wird für ein großes, freies geeinigte s Europa. Ohne Ordnung im Donauraum bleibt das neue Europa, von dem gemeinhin die Rede geht, ein Torso.

Der Gesellschaft katholischer Publizisten Deutschlands muß man Dank wissen, daß sie die schweren Aufgaben, weiche weit über den Tag hinaus die europäischen Völker und Staaten umdrängen, mit eindringlichem Ernst vor eine verantwortungsbewußte Oef fentlichkeit gestellt hat. . f.

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