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Kraftprobe in Mississippi

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Der Fall Meredith, der auch in der. ausländischen Presse so großes, und, für die Vereinigten Staaten peinliches, Aufsehen erregte, hat einen vorläufigen Abschluß gefunden. Von einem endgültigen Abschluß kann man leider noch nicht sprechen. Selbst, wenn die düsteren Prophezeiungen, daß „Meredith nicht lange genug leben werde, um einen akademischen Grad zu erwerben“, nicht in Erfüllung gehen, hat er mit der Inskription erst eine Etappe seines dornigen Weges zurückgelegt.

Rekapitulieren wir den Fall kurz: Wie Unmengen anderer junger Amerikaner wollte James Meredith Mitte September inskribieren. Da Meredith aus Mississippi stammt, wollte er an der staatlichen Universität in Oxford, das auch der Wohnsitz des kürzlich verstorbenen Dichters William Faulkner war, studieren. Er leidet aber an „kongenitaler Pigmentstörung“ und bringt daher nicht jene elegante Blässe mit, die an dieser Universität bisher die Vorbedingung des Studiums war. Meredith ist schwarz.

Meredith ist der zielbewußte Sohn eines Bauern. Sein Großvater war noch Sklave. Der Vater kam nicht über die Volksschule hinaus, ermutigte aber seine Kinder, die beste Erziehung, die sie finden konnten, anzunehmen. Eigentlich könnte der Sohn sie eher anderswo als in Mississippi, dem ärmsten und rückständigsten Staat der Union erhalten. Auch das Schicksal der beiden. Neger, die vor ihm versuchten, dort zu studieren, hätte ihn abschrecken sollen. Der eine wurde zu sieben Jahre Zwangsarbeit verurteilt, weil er angeblich Hühnerfutter . im Wert von 500 Schilling gestohlen hatte: der andere kam auf 14 Tage ins Irrenhaus.

Meredith aber kommt es noch mehr darauf an, eine Bresche zu schlagen, durch die andere Neger hereinströmen können, als auf die beste Erziehung. Er trägt seine Haut ebenso bereitwillig zu Markt wie im Koreakrieg.

Die Universität wies ihn ab. Daraufhin befahl ihr ein Richter des Obersten Gerichtshofes, ihn einzuschreiben. Prompt erließen staatliche Gerichtshöfe Verordnungen, die die Inskription verboten. Der Gouverneur des Staates befahl allen Beamten, den Staatsgesetzen zu folgen, auch wenn sie gegen Bundesrecht verstießen.

Der Gouverneur, Ross Barnett, sah in Meredith eine „tödliche“ Gefahr für die weiße Rasse. Nachdem er feierlich erklärt hatte, „es gibt keinen Fall in der Geschichte, in dem die kaukasische Rasse gesellschaftliche Integration überlebt hat“, versprach er, „wir werden nicht durch Unterwerfung unter die Tyrannei der richterlichen Bedrückung aus dem Becher des Volksmordes trinken?. Prompt antwortete das Bundesgerieht mit der Drohung, jedem, der die Inskription Merediths verhinderte, wegen Contempt of Court (Mißachtung des Gerichtes) zu be- Der „tiefe Süden strafen.

Damit gerieten die Universitätsbehörden zwischen die Skylla des Bundes und die Charybdis des Staates. Der Gouverneur entlastete sie, indem er die Funktionen des Inskriptionsbeamten übernahm und frohen Mutes seine Bereitwilligkeit, sich einsperren zu lassen, ankündigte. Mit dieser schönen Geste frischte er sein verblassendes politisches Prestige auf. Als sich der von Bundespolizei beschützte Meredith einschreiben wollte, donnerte er ihn an „HinwegI“. Hinter dem Gouverneur hatten sich die Mitglieder der staatlichen Legislatur aufgepflanzt, die ihrerseits, wie ein Furienchor, den Petenten ankreischten „Verschwinde!“.

Schon fragte man sich, ob in dieser schwersten Krise zwischen dem Bund und einem Staat seit dem Bürgerkrieg der Präsident die nötige Entschlossenheit zeigen würde. Als Oberhaupt der Demokratischen Partei, der ja auch die südlichen Rassenfanatiker angehören, war Kennedy tatsächlich in einer schwierigen Lage.

In der Forderung gewisser konservativer Kreise, die Sache sollte erst vor das Plenum des Obersten Gerichtshofes gebracht werden, bevor man gegen Mississippi vorginge, hätte Kennedy einen, allerdings nicht ehrenvollen, Ausweg finden können. Daß der Präsident ihn verschmähte und seine Pflicht, die Wahrung der Bundesgesetze zu überwachen, rückhaltlos erfüllte, indem er die Universität mit ausreichenden Polizeiabteilungen besetzte, die Meredith einschleusten, wurde vom Land mit Erleichterung aufgenommen.

Der Gouverneur gab, entgegen seinen bombastischen Erklärungen, klein bei. Dies bewahrte ihn vor dem Gefängnis. Der Blamierte bei der Angelegenheit ist der tapsige Exgeneral Walker, der, wie schon bei seiner erfolglosen Kandidatur um das Amt des Gouverneurs von Texas, wieder auf die Politiker hereinfiel. Walker bereute tief, daß er seinerzeit die Truppen in Arkansas befehligt hatte, und eilte mit der Verkündigung: „Diesmal stehe ich auf der richtigen Seite und werde die antichristliche Kreuzigung des Südens bekämpfen“, nach Mississippi, wo ihn der Gouverneur vorsichtshalber nicht empfing. Das hielt den General nicht davon ab, die Studenten zu be-

fehligen, die nach der Besetzung der Universität blutige Unruhen entfachten, die zwei Menschen das Leben kosteten.

Der verzweifelte Widerstand Mississippis gegen die Integration ist sowohl durch seine Tradition als auch durch seine wirtschaftliche Lage erklärlich. Im Bürgerkrieg übertraf kein Staat Mississippi, das auch den ersten und einzigen Präsidenten der südlichen Konföderation, Jefferson Davis, stellte, an Begeisterung für die Sache des Südens. ^ Nach der Niederlage litt der Staat noch mehr als andere Südstaaten unter der Mißregierung durch korrupte nördliche Weiße, die sogenannten Carpetbaggers, und für irgendwelche Pflichten in keiner Weise vorbereitete Neger. Nachdem der Staat 1878 seine Selbstregierung zurückgewann, wurde rassische Demagogie die Garantie der Beliebtheit bei den Wählern.

Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1173 Dollar pro Jahr liegt Mississippi unter 53 Prozent des amerikanischen Durchschnittseinkommens. Die - Hälfte seiner mehr als 25 Jahre alten Bewohner war weniger als neun Jahre in der Schule. Die tatkräftigeren jungen Leute wandern aus dem Staat aus, und die Verbliebenen weinen einer verklärten Vergangenheit nach. Mit 43 Prozent der Bevölkerung von 2,178.000 Seelen stellen die Neger den größten Prozentsatz eines amerikanischen Staates.

Es gibt noch zwei Bundesstaaten, in denen auf sämtlichen Stufen des Schulsystems ausnahmslose Rassentrennung herrscht, Alabama und Südkarolina Die Zukunft wird zeigen, ob sie aus der Niederlage Mississippis eine Lehre gezogen haben.

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