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Man spricht von Gewerkschaften

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Das Madrider Gericht für öffentliche Ordnung, vor dem trotz der bei anderen spanischen Behörden herrschenden Sommerruhe fast täglich politische Prozesse abrollen, fällte in dem seit fast einem Jahr anhängigen und besonders im Ausland mit Spannung erwarteten Prozeß gegen einige Mitglieder des Madrider Führungsgremiums der sogenannten ASO, der Gewerkschaftlichen Arbeiterallianz, ein auffallend mildes Urteil. Der Hauptangeklagte, der Anwalt Manuel Fernandez Mon- tesinos, ein Neffe Garcia Lorcas, erhielt sechs Monate Gefängnis, die drei anderen Angeklagten Quesada, Nuero und Nogues je vier Monate. Gegen drei weitete Spanier, die ihren Wohnsitz in Perpignan haben und „in Rebellion“ abgeurteilt werden sollten, wurde die Anklage während der Verhandlung fallengelassen.

Das Urteil erstaunt um so mehr, als der Staatsanwalt wegen unerlaubter Assoziierung Strafen von dreizehn, fünf und drei Jahren beantragt hatte. Das Gericht für öffentliche Ordnung zeichnet sich seit seinem kürzlichen Präsidentenwechsel durch sanfte Prozeßführung und verhältnismäßig geringe Strafen aus. Doch so glimpflich wie die ASO- Leute sind bisher keine Angeklagten, für die ein derart hohes Strafmaß angesetzt war, davongekommen. Die Erklärung dafür könnte bei der Resonanz liegen, die die ASO in Deutschland, Großbritannien und Belgien findet, und bei der Anwesenheit von Gewerkschaftsfunktionären aus diesen drei Ländern bei dem Prozeß in Madrid. Es ist unübersehbar, daß Spanien, das sich in einem durch Tourismus, handelspolitischer Ausweitung und dem Erwachen des eigenen Volkes aus einer jahrzehntelangen politischen Apathie bedingten Liberalisierungsprozeß befindet, Gelegenheiten wahmimmt, um diesen Vorgang optisch vergrößert ins Ausland zu projizieren.

Erklärungen zündeten nicht

Nur so scheint es erklärlich, daß die von dem Belgier Mark Kock, der sich als Vertreter des Internationalen Verbands Freier Gewerkschaften in Madrid aufhielt, und von SPD-Bun- destagsmitglied und Leiter der Abteilung Bildungswesen beim Vorstand der Industriegewerkschaft Metall, Hans Matthöfer, der beim ASO-Prozeß als Zeuge auftrat, in Spanien abgegebenen Erklärungen keine Reaktion innerhalb des Landes hervorriefen. Diese Erklärungen, die man ohne weiteres als bisher schärfsten, innerhalb des Landes von in offizieller Mission entsandten Vertretern erfolgten Angriff auf staatliche Institutionen ansehen kann, hätten normalerweise einen Entrüstungssturm entfachen müssen. Mark Kock sagte, daß der Internationale Verband Freier Gewerkschaften und die christlichen Gewerkschaften Schritte unternommen haben, um sich gegen Spaniens Assoziierung an die EWG zu wenden, solange in diesem Land keine Gewerkschaftsfreiheit besteht. Hans Matthöfer ging noch weiter. Er bezog sich auf die den Angeklagten zur Last gelegte Teilnahme am vorjährigen Amsterdamer Gewerkschaftskongreß und behauptete, daß man sicher nicht vom Deutschen Gewerkschaftsbund erwarten könne, die von Spanien so oft gewünschte Studienkommission in ein Land zu entsenden, in dem es als Verbrechen angesehen wird, mit dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften Kontakt aufzunehmen. „Welchen Zweck hätte eine Studienmission, wenn die Leute, die Kontakte aufnehmen, anschließend ins Gefängnis gesteckt werden?“

Das Chaos der illegalen Gewerkschaften

Ähnliche Erklärungen, wie die uns gegenüber gemachten, gab Matthöfer vor Vertretern der in Madrid akkreditierten Auslandspresse in einer eigens einberufenen Pressekonferenz ab. Bedenkt man, daß sechs französische und belgische Gewerkschaftsführer, die sich vor kurzem wegen der Verhaftung von spanischen Arbeiterführern der „Arbeiterkommissionen“ in Madrid aufhielten, polizeilich an der Abhaltung einer Pressekonferenz gehindert wurden, so könnte man leicht irreführende Schlüsse ziehen. Gegen diese spricht jedoch die Tatsache, daß die spanischen Behörden der ASO innerhalb des Landes wenig Bedeutung zumessen. In der Urteilsbegründung gegen die ASO-Leute wird dem Umstand, daß die Verurteilten nach ihrer Festnahme weiterhin der Organisation angehörten, keine „Wichtigkeit“ zugeschrieben, da diese „geringes Interesse“ findet. Richtigkeit ist diesem richterlichen Wort nicht abzusprechen. Die ASO setzte sich ursprünglich aus dissidenten Gruppen der CNT, UGT und STV (Solidarität der baskischen Arbeiter) zusammen. Die UGT sonderte sich kürzlich ab und die STV scheint die gleichen Absichten zu hegen. Neben der ASO bestehen weiterhin die UGT, die CNT — die sich in zwei Gruppen in ihrer Haltung zur staatlichen Ge-werkschaft gespalten hat —, die STV, die gewerkschaftliche Allianz des Baskenlands, die SOCC (Solidarität Christlicher Arbeiter Kataloniens), die Arbeiterbruderschaften der Katholischen Aktion, die apolitischen Arbeiterkommissionen usw. Kein Wunder, daß bei dieser Vielzahl der meist zersplitterten und einander in herzlicher Feindschaft zugetanen illegalen Gewerkschaften das offizielle Spanien keine ernsthafte Konkurrenz für das Staatssyndikat befürchtet. Internationale Gewerkschaftsorganisationen scheinen allerdings entschlossen zu sein, ihm das Fürchten vor der Legalisierung freier Gewerkschaften beizu bringen: Sie wollen ihre Unterstützung zum Aufbau eines spanischen Gewerkschaftsbunds nach britischem oder deutschem Muster verstärken. Dieser Entschluß scheint als Folge des ASO-Prozesses gereift zu sein, der dadurch eine unerwartete internationale Tragweite erhalten hat.

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