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Mensch im Räderwerk der Kolchose

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Seit drei Jahren gibt es nun in der Tschechoslowakei Kolchosen. Sie reihen sich unter den Sorgenkindern des Regimes gleich hinter dem Bergbau und der Schwerindustrie ein. Aber nicht vom Arbeitermangel in der Landwirtschaft, über den Rückgang der Emteziffem seit Einführung der Kolchose, über die neuerliche Rationierung der Lebensmittel oder die Entfernung des Landwirtschaftsministers soll hier die Rede sein, sondern vom zweifachen Gesicht der tschechischen Kolchose, so wie sie sich gemäß den gesetzlichen Bestimmungen, den offiziellen Berichten, Verlautbarungen und der Propaganda darstellen, und so, wie die Kolchose in der Praxis ist und wie sie das Volk sieht. Dieses Mosaik, aus einer Reihe von Detailberichten zusammengestellt, ist ein aufrüttelndes Zeitdokument.

Der erste Einbruch ins Dorf gelang durch die Errichtung von Traktor- statdonen, von denen man bereits 1949 264 aufgebaut hatte; bis 1952 wollte man über insgesamt 45.000 Traktoren verfügen. Bald schon mußten höchste Parteikreise feststellen, daß die Traktorenführer lind Techniker, die .Apostel des Sozialismus auf dem Land fachlich wie politisch .versagt“ hatten. Das mag in vielen Fällen zutreffen, im ganzen gesehen aber hat sie das Regime selber im Dorf unmöglich gemacht. Den ersten Grundstock dieser Traktorenstationen und der später ins Leben gerufenen landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften

— des Decknamens für die tschechischen Kolchosen — bildeten nämlich nicht etwa die Traktoren der zahlreichen ausgezeichneten böhmischen und mährischen Maschinenfabriken — die konnten sich mit solchen Dingen nicht abgeben und hatten ihre Rüstungsaufträge zu erfüllen —, sondern jene Traktoren und Dreschmaschinen, die man den Bauern „abkaufte“. Der Großteil hat hiefür bis zum heutigen Tag keinen Heller bekommen.

Nun hat man derzeit drei Typen der gemeinsamen Feldbearbeitung, die sämtliche allerdings noch nicht das kommunistische Ideal darstellen. Die erste sieht gemeinsame Feldbestellung, gemeinsame Benützung der genossenschaftlichen Maschinen und Zugmittel bei Beibehaltung der Feldgrenzen vor; die zweite die gemeinsame Feldarbeit bei Beseitigung der Feldraine und Verteilung der Ernte entsprechend der Größe der eingebrachten Grundstücke und der geleisteten Feldarbeit. Die dritte Gruppe sieht schließlich die völlige Übergabe des Grundes an die „Einheitsgenossenschaft“ vor.

Insgesamt berichtet man derzeit von rund 8000 solcher „Einheitsgenossenschaften“ mit fast 450.000 Arbeitskräften. Das alles steht jedoch nur auf dem Papier. Die einzigen „echten" Kolchosen, die man hat, sind die, die man aus beschlagnahmtem Kirchengrund, Gemeindebesitz und dem Grund verhafteter Staatsfeinde zusammengestellt hat, aber auch hier ähnelt das neue Gebilde eher einer Staatsdomäne mit landwirtschaftlichen Hilfsarbeitern. Zur Zeit der Ernte entstehen hier allerdings gewaltige Schwierigkeiten, es muß alles darangesetzt werden, die Ernte einzubringėm. So verkündeten dann Ortslautsprecher, daß nur jene Familien für ihre Lebensmittelkarte Zucker erhalten, deren Mitglieder sich an der Ernte beteiligten; es müssen dann auch sämtliche Geschäfte und Schulen schließen und .Arbeiter“ stellen. Wenn ein Tag nicht ausreicht, so treibt der Lautsprecher, der nur noch „Kontingent“ genannt wird, neuerlich die Bevölkerung zusammen. In einem Ort, wo die Bevölkerung auf solche Aufrufe hin nicht mehr reagierte, sandte man den Burschen und Männern eine Einberufung zur Wehrmacht, faßte sie beim Ortsnationalausschuß in Gruppen zusammen, und ab ging es im Marschtritt auf die Felder.

Es ist verständlich, daß diese wenig sachgemäße Arbeit nicht imstande war, das Plansoll zu erfüllen. Die Folge waren die ungewöhnlichsten Zwangsmaßnahmen gegen Kleinbauern und Häusler. Ein kleiner Bauern in der Slowakei hatte vier Hektar Grund, darunter einen Weingarten mit einem Hektar. Als Lieferbedingungen wurden ihm vorgeschrieben: 30 Zentner Korn, 14 Zentner Hafer, Fleisch, Eier usw. Auf seinen Hinweis, daß er dies nicht erfüllen könne, diktierte ihm der Bezirksagronom weiter 14 Zentner Korn. Als er wieder protestierte, wurde er verhaftet, für drei Monate in ein Arbeitslager eingewiesen und zu einer Strafe von 20.000 K5 verurteilt, was praktisch den Verlust seines Hofes bedeutet. In einem anderen Fall wurde eine Witwe, die nur über eine Ziege, nicht aber über Hühner verfügte, vorgeschrieben, neben Fleisch auch noch 60 Eier zu liefern. Da sie in einer Fabrik arbeitete, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Eier zum teueren Schwarzmarktpreis von 10 Kronen zu kaufen und dann abzuliefern. Ähnlich erging es einem Häusler in der Mittelslowakei, der mit einem Hektar Boden 180 Eier abzuliefem hatte. Um das Kontingent erfüllen zu können, mußte er die Eier selbst für 940 Kronen kaufen und erhielt dann hiefür auf der Kontingentstelle ganze 260 Kronen. Es gibt noch tragischere Fälle: einem Bauer bei Altsohl beschlagnahmte man die ganze Ernte, weil er sein Kontingent nicht erreicht hatte; in einem Wahnsirmsanfall erschlug er ßeine beiden Kinder, die er dem Hunger preisgegeben sah. Seine Frau beging hierauf Selbstmord.

Aber man kann die revolutionäre Umgestaltung des landwirtschaftlichen Gefüges nicht nur auf Grund von Beschlagnahmen durchführen und versucht es auch mit anderen Mitteln. So inszenierte man in den Dörfern — vorwiegend unmittelbar vor der Ernte oder wenigstens vor dem Drusch — sogenannte „Gespräche mit dem Volk“, in denen mit dem nötigen Nachdruck für die Einheitsgenossenschaften geworben wurde. In der Praxis spielt sich ein solches Gespräch so Sb: Nach dem Referat eines „Herrn aus der Stadt" herrschte immer eisiges Schweigen, niemand von den Anwesenden spricht dafür oder dagegen. Nur einmal fand in einer Gemeinde ein 70jähri- ger Bauer den Mut und bemerkte herausfordernd: „Ich sehe, daß sich niemand rührt, alles fürchtet sich, und ihr Bezirksfunktionäre sitzt oben auf dem Podest wie die Engel bei Gottes Gericht.“

In einem Dorf wurde die Zusammenlegung aller Grundstücke und die Errichtung einer Einheitsgenossenschaft befohlen; Grund: Nichterfüllung des Plansolls im Dorf. In dieser trostlosen Stimmung vernahmen sie durchs Radio: „Sämtliche Bauern des Ortes beteiligten sich an der feierlichen Umackerung ihrer Feldrainel“ So sind die Potemkinschen Dörfer, die einst entlang der Wolga aufgebaut waren, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges westwärts gewandert — hohle Kulissen, hinter denen Unfreiheit und Versagen — und ergreifende menschliche Tragödien stehen.

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