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Story und history

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AUFSTIEG UND FALL DES DRITTEN REICHES. Von William L Shirer. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin, 1961. 1174 Seiten. Preis 34.80 DM. - SPIEGELBILD EINER VERSCHWÖRUNG. Die Kaltenbrunner-Berichte an Bormann und Hitler über das Attentat vom 20. Juli 1944. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitsamt. Herausgegeben vom Archiv Peter für historische und zeitgeschichtliche Dokumentation. Seewald-Verlag, Stuttgart, 1961. 587 Seiten. Preis 38 DM.

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AUFSTIEG UND FALL DES DRITTEN REICHES. Von William L Shirer. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin, 1961. 1174 Seiten. Preis 34.80 DM. - SPIEGELBILD EINER VERSCHWÖRUNG. Die Kaltenbrunner-Berichte an Bormann und Hitler über das Attentat vom 20. Juli 1944. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitsamt. Herausgegeben vom Archiv Peter für historische und zeitgeschichtliche Dokumentation. Seewald-Verlag, Stuttgart, 1961. 587 Seiten. Preis 38 DM.

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Der Rezensent muß gestehen, daß er die Aufregung, die in einem Teil der deutschen Presse bei Erscheinen der beiden Bücher ausbrach — im ersten Fall aus Rücksicht auf die NATO-Nationalität des Verfassers etwas vorsichtig dosiert, im zweiten um so militanter — nicht recht begreift. Der deutschsprachige Leser des Shirer-Buohes — ein (unerwartet) phantastischer „Bestseller“ in den USA — hat vorerst einmal in der Einleitung Golo Manns eine Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten, daß er in der Darstellung die „Story“, nicht die „hi Störy“ des Dritten Reiches lesen wird, das heißt, die teilweise brillant geschriebene Kriminalgeschichte einer deutschen Geschichtsperiode, in der skrupellose Zyniker und Fanatiker, teilweise gestützt von „farbenblinden“ Idealisten und ignoranten „Durchschnittsbürgern“ es unternahmen,das Schicksal der Nation in der Hybiis ihres Machtrausches zu verspielen, dabei in ganz Europa Millionen Tote hinterlassend.

Man soll das ruhig noch einmal lesen. Golo Mann begründet das sehr klar. Er macht aber auch darauf aufmerksam, daß nicht alle „Analysen“, die der Autor seinem Bericht anschließt, der Weisheit letzter Schluß sind. Das Buch enthält Klischees (deutsche Offiziere sind für ihn grundsätzlich „monokelbewehrt“), er benutzt das immense Aktenmaterial, das ihm zur Verfügung stand, ohne wirklich in der Lage zu sein, sich in die atmosphärischen Imponderabilien, die ihm zugrunde liegen, einzufühlen (was zu einer mehr als oberflächlichen Beurteilung des Widerstandes führt); er ignor'ert merkwürdigerweise völlig alles vom Münchener Institut für Zeitgeschichte erarbeitet* wissenschaftliehe Material — und mehr als einmal drängt sich allem Bestreben zur Objektivität zum Trotz das ihm tief eingewurzelte Mißtrauen gegen „die Deutschen“ schlechthin an die Oberfläche. Golo Mann erwähnt das (und anderes) taktvoll und abgewogen. Mit seiner Einführung kann das Buch für den, der es kritisch liest, durchaus ein Gewinn sein.

Das gleiche gilt letztlich auch für die „Kaltenbrunner-Berichte“. Wenn es vielleicht auch besser gewesen wäre, einer breiteren Leserschaft eine kommentierte Ausgabe in die Hand zu geben (in Fachkreisen der Historiker pflegt man „Dokumente“, an deren Echtheit kein Zweifel besteht (Memoranden, Tagebücher, Briefwechsel usw.] im allgemeinen als unkommentierten Rohstoff den Fachgenossen zur Auswertung zur Verfügung zu stellen!): nur bewußte Voreingenommenheit kann die Beurteilung des 20. Juli durch Experten der Gestapo als „Wiederlegung“ der inzwischen ja recht umfassenden anderen Literatur über den Widerstand ansehen. Schaden kann hier kaum noch angerichtet werden. Wer die „Enthüllung“, daß Graf Stauffenberg nicht nur stets genügend Alkohol in seinem Büro hatte, sondern auch Sardinen und Spickaal, als Beweis für die Verlottertheit der „Junker-Clique“ anzusehen bereit ist, dem ist sowieso nicht zu helfen, ganz abgesehen davon, daß andere Stellen des Berichts fast bewundernd von der inneren Leuchtkraft des Attentäters sprechen. Überhaupt hat man den Eindruck, daß Kaltenbrunner Hitler mehr als einmal hat klarmachen wollen, er müsse die patriotische Staatsstreichbewegung vielleicht doch zum Anlaß nehmen, über seinen Weg einmal nachzudenken.

Wie dem auch sei: urteilsfähige Leser sollten auch Bücher, die teilweise zum Widerspruch herausfordern, in ihre Meinungsbildung einbeziehen können, ohne dabei Schaden an ihrer Seele zu nehmen.

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