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Und nach der Hochkonjunktur?

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Es gehört nicht zu den Gewohnheiten des Oesterreichers, sich mit fremden Federn zu schmücken. Doch die Versuchung dazu ist uns kaum jemals so nahe gekommen wie jetzt, da uns die Bilanzen der Wirtschaftsführer und die wissenschaftliche Kontrolle des Wirtschaftsverlaufes die außerordentlichen Veränderungen vor Augen bringen, die sich in der österreichischen Privat- und Staatswirtschaft innerhalb weniger Jahre vollzogen haben; sie werden in unserem ganzen ökonomischen, aber auch schon in unserem sozialen Organismus sichtbar. Angesichts der glücklicheren Gegenwart möchten uns die schweren Erlebnisse der Kriegs- und der ersten Nachkriegsjahre, diese unseligen Häufungen von Hunger, Elend und tiefer Demütigung wie Traumgeburten schrecklicher Nächte erscheinen. Sind sie uns nun weggezaubert worden? Wuchsen uns die Kornfelder auf der flachen Hand? Schon ist das Wort von dem „neuen österreichischen Wunder“ aufgeklungen. Es sollte nicht zur banalen Phrase werden. Wie auch das christliche Oesterreich nicht vergessen will, daß die große Liebestat, die unser Volk und sein Gemeinwesen in den Hilfswerken des Auslandes empfingen, auch im tiefsten Grunde den undefinierbaren Quellen der „anima naturaliter christiana“ entstammt.

Kaum ist sich bei uns die große Menge auch des regelmäßig zeitungslesenden Publikums darüber klar geworden, in welchen Riesenausmaßen der unserem Lande in den Jahren 1946 bis 1954 zuteil gewordene Beistand des Auslandes sich vollzog. Der Leiter des Oesterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Dr. Franz Nemschak, gibt in einer soeben erschienenen Schrift „Zehn Jahre österreichische Wirtschaft 1945 bis 1955“ Zeugnis für ein Geschehen, vor dem man mit Respekt und Dankbarkeit stillhalten muß. Anspielend auf gewisse rechnerische und politisch-tendenziöse Auslegungen sagt der Autor, „wir sollten uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, welche .undurchsichtigen' und .selbstsüchtigen Motive hinter dieser einzigartigen Hilfsbereitschaft stehen mögen. Sicher ist, daß wir in einer für unser Gemeinwesen äußerst gefahrvollen Entwicklungsphase Nutznießer eines großartigen Konzeptes waren. Ohne die großzügige Hilfe des Auslandes wäre Oesterreich für unabsehbare Zeit in tiefstes Elend gestoßen worden, aus dem wir uns, wenn überhaupt, nur langsam, unter großen Entbehrungen und Mühen hätten herausarbeiten können. Oesterreich hat vom Mai 1945 bis April 1955 Auslandshilfe in der Höhe von 1585 Millionen Dollar erhalten.“ Der Verfasser verzeichnet, daß dieser Dollarbetrag, umgerechnet auf Schilling im Werte von 1955, nicht weniger als 41 Milliarden Schilling darstellt.

Von den Oesterreich bis Ende April 1955 zugekommenen Auslandshilfen stammten rund 13 80 Millionen Dollar aus den Vereinigten Staaten, rund 200 Millionen Dollar steuerten mit ihren Leistungen Dänemark, England, Kanada, Schweden, die Schweiz und einzelne private und internationale Beistandsunternehmungen bei. Diese an Oesterreich gelangten Summen waren nicht Darlehen, sondern Zuwendungen, die der Regierung unter der Verpflichtung zweckgemäßer Verwendung zukamen. Schöpfend aus einem reichen, sorgfältig organisierten Quellenmaterial, das dem heutigen Stand österreichischer statistischer Wirtschaftsforschung Ehre macht, durchmißt die Untersuchung Dr. Nemschaks die Hungerperiode 1946 bis 1948 unserer Wirtschaft, zeigt dann in Diagrammen das mutige Anpacken des Wiederaufbaues iri den folgenden vier Jahren, und dann aufsteigend von 1952/53 das Gelingen der Währungsstabilisierung durch eine strenge Budgetpolitik, sparsame Kreditwirtschaft und Steti-gung der Preise, eine kluge und energische Oekonomie, der 1953 der Triumph gegönnt war, zum ersten Male in den Annalen der Republik eine aktive Zahlungsbilanz zu verzeichnen und den Goldschatz der Nationalbank, der 1938 Hitler unwiderstehlich angelockt hatte, wieder auf die unter dem Regime Dr. Kienböck erreichte Höhe gebracht zu haben.

Eine Fülle von Details aus vielen Teilen der Wirtschaft beleuchtet den Wandel der Entwicklung. Hier nur einige Spitzenbeispiele: Das Aluminiumwerk von Ranshofen, das, heute stark erweitert, zu den größten und modernsten Werken Europas zählt, erzeugte 1954 dreizehnmal soviel Aluminium als 1937. Unsere Eisenindustrie hat ihre Produktion allein an Preß- und Hammerwerkzeugen im vorigen Jahr um 443 Prozent gegenüber 1937 erhöhen können; 1937 standen in unserer Wirtschaft nur 234 Traktoren in Verwendung. Nach 20 Jahren waren es 43.400. Die Erzeugung an Düngemitteln hat durch die Stickstoffwerke in Linz eine Bereicherung erfahren, die zum Beispiel statt 525 Tonnen Kalkammoniaksalpeter der Produktion von 1938 im Jahre 1954 der Landwirtschaft 47.000 Tonnen zur Verfügung stellte.

Die Vorgänge in unserer Wirtschaft erhalten eine besondere Bedeutung noch durch die Verschiebungen, die sich in dem Lebensstandard der Bevölkerung äußern, wenn auch nicht in ihrer sozialen Auswirkung genau feststellbar. Es hat einiges zu sagen, daß in den letzten Jahren die Ausgaben der einkaufenden Bevölkerung für qualifizierte Verbrauchsgüter, für Teppiche, Photoapparate, Küchenausstattungen, Waschmaschinen usw. außerordentlich gestiegen sind, so wurden 1952 43.000 Elektrogeräte für Haus und Wirtschaft (Herde, Heißwasserspeicher, Oefen, Kühlschränke, Waschgeräte, Futterdämpfer) gekauft, und zwei Jahre später waren es 102.000.

Man wird sich allerdings vorhalten müssen, daß die durchschrittene Konjunktur einem gemäßigteren Tempo Platz machen wird. Man wird auch dann noch von der Wirtschaftsentwicklung einen sozial ausgleichenden Einfluß erwarten dürfen, vorausgesetzt, daß sowohl Produzenten wie Konsumenten in ihren Ansprüchen das rechte Maßhalten bewahren. Welche Erfolge damit errungen werden können, haben wir in den letzten Jahren erlebt.

Leider ist auch das Licht im Bilde der Wirtschaft nicht ohne Schatten. Der Zug zur Werkstatt und Fabrik, der heute von Industrie und Gewerbe ausgeht, ließ die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in dem Zeitraum von 1937 bis 1954 um 167.000 absinken, ein Verlust, der noch dadurch verschärft wird, daß unter den der Landwirtschaft verlorengegangenen Arbeitskräften auch 82.000 selbständige Landwirte gewesen sind. Hier ist unserer Sozial-und Wirtschaftspolitik noch eine sehr ernste Aufgabe gestellt.

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