Entscheidend ist Verteidigung von Menschlichkeit

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"Ja, die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt“, pflichtet die Autorin Ulrich Körtner (FURCHE Nr. 1) bei. Und mahnt eine zivilgesellschaftliche Gesinnung ein. - Eine SPÖ-Stimme gegen die (neue) SPÖ-Parteilinie.

Seit vielen Wochen werde ich - SPÖ-Mitglied seit 1967 (vorher VSM 1955, VSStÖ 1962) - mit Mails des SPÖ-News-Service belästigt, die mir suggerieren, wie ich denken soll. Wenn ich von meiner Praxis in Wien nach Hause nach Matzen fahre, springen mir die suggestiven SPÖ-Plakate in die Augen "Sie sagt: …“, und meine Reaktion ist jedesmal: Solche Subliminalwerbung gehört eigentlich verboten - denn seit Goebbels sollte gezielte, individuell nicht bestellte (wie z. B. Mentaltraining oder auch Psychotherapie) und besonders kollektive Gehirnwäsche eigentlich verboten sein.

Der Geist der Achtundsechziger

Ich kann mich aus der Zeit, in der ich Mandatarin der SPÖ war (1973-1987) noch gut erinnern, wie die damalige Personalstadträtin Friederike Seidl nach einer "verlorenen“, d. h. nicht wunschgemäß ausgegangenen Personalvertretungswahl in unserem Klub der Mandatare als einzige Lösung gegen die Unzufriedenheit der städtischen Mitarbeiter/-innen die Kreation einer internen Zeitung einfiel - um besser zu kommunizieren, wie gut die Stadtverwaltungsmehrheit ohnedies arbeite. Da ich damals bereits psychotherapeutisch d. h. gesundheitsfördernd ausgebildet war, wusste ich: Die einzig richtige, nämlich wertschätzende Lösung wäre gewesen, sich persönlich den Gründen dieser Unzufriedenheit zu stellen.

Ich kann mich aber aus der Zeit vor meiner Berufung ins Mandat, als "nur“ "Alibifrau“ der Wiener Jungen Generation in der SPÖ (Obmann Rudolf Edlinger, Stellvertreter Albrecht K. Konecny, Bundesobmann Charly Blecha), auch noch gut erinnern, wie im Zuge der Kampagne "6 Monate sind genug“ - mit den Waffenübungen waren es dann exakt aber 8 Monate - in der Partei argumentiert wurde: Wir " jungen“ 68er debattierten soziologisch, ganz in der Gedankenwelt der Frankfurter Schule, gegen Glorifizierung von Militarismus und Kriegsheldentum (die damals - und nach wie vor - in US-Filmen unterschwellig betrieben wurde), aber auch ganz auf dem Boden des Staatsvertrags mit der Verpflichtung zur Landesverteidigung und Neutralität, daher ohne in ein Militärbündnis (NATO) hineingesogen zu werden. Demokratie, Mitbestimmung war uns wichtig. Die sollte es überall geben.

Die "alten“ Genossen, von denen heute nur mehr wenige leben - Freiheitskämpfer, Gestapo-Häftlinge, KZ-Überlebende - warnten vor einem Berufsheer: aus ihren Erfahrungen aus dem Jahr 1934, dem "Österreichischen Bürgerkrieg“: Es dürften nie wieder beamtete Soldaten und beamtete Polizisten als befehlsempfangender Block von "Ordnungskräften“ der Zivilbevölkerung gegenüberstehen, deswegen wäre unbedingt auf einer allgemeinen Wehrpflicht im Rotationsprinzip zu bestehen. Und sie schilderten auch, welche Männer - denn 1933 war ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit! - im Sinne der von Jörg Haider so genannten "ordentlichen Beschäftigungspolitik“ sich zu den "Ordnungsberufen“ drängten. Wenn man weiß, wie leicht erlebter Statusverlust mit Brutalität kompensiert wird, wenn eine passende Ideologie und Hierarchisierung dies nahe legt, dürfen die Rahmenbedingungen von "Ordnung“ nicht entdemokratisiert werden.

"Entmündigung durch Experten“

Ja, die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt - es sind die Fragen der Geisteshaltung: denkt man nur an angebliche Kostenersparnisse - die ja selbst von Insidern in Frage gestellt werden - und Entlastung des Arbeitsmarkts. An den Sinn und die Gesinnung von Landesverteidigung, der heute weit über das Befehligen von "Landsern“ hinausgeht, denkt man nicht. Denn heute brauchen wir alle, egal wie alt, egal welchen Geschlechts, egal welcher ethnischen Herkunft, eine Gesinnung der präventiven wie interventiven Gefahrenbegegnung - und die Gefahren heißen Terrorismus auf der Straße oder im Nebenhaus, Erntediebstähle, Stilllegung der Verkehrsverbindungen durch Kupferkabeldiebstähle, Hacking von Ministercomputern. Da braucht es das Mitdenken und Mithandeln; man sollte sich nicht der "Entmündigung durch Experten“ (Ivan Illich) anheimgeben.

Und es braucht eine Gesinnung der Friedfertigkeit: Gewalt wird ohnedies zu viel verherrlicht, nicht nur medial. Das heißt nicht, als Schwächlinge herumzuschleichen, sondern selbstbewusst Gefahren zu antizipieren und mitzuhelfen, dass Leid verhindert bzw. gemildert wird - egal ob im "zivilen“ Einsatz oder im körperintensiven, auch im planenden, im kommunikativen. Das wäre alles dringend ausbaufähig - und ein Zusammenwirken der einschlägigen Ministerien sinnvoll. Landesverteidigung ist ein Bildungsproblem - nicht nur eines der Finanzen oder des Arbeitsmarktes! Und: Landesverteidigung sollte immer Verteidigung von Menschlichkeit sein.

Die Autorin

Die Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner hat auch mehrere Jahre an der Landesverteidungsakademie unterrichtet.

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