Käpt'n Blaubär kämpft nicht mehr

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In anderen Freizeitparks kämpfen die schlagkräftigen Heroen der modernen Unterhaltungsindustrie um den Applaus der Besucher. Der jüngste Freizeitpark Europas bildet den Gegenpol: Das Ravensburger Spieleland hat sich dem Gewaltverzicht verschrieben.

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In anderen Freizeitparks kämpfen die schlagkräftigen Heroen der modernen Unterhaltungsindustrie um den Applaus der Besucher. Der jüngste Freizeitpark Europas bildet den Gegenpol: Das Ravensburger Spieleland hat sich dem Gewaltverzicht verschrieben.

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Der Name des am Wochenende vor Ostern eröffneten Freizeitparks verrät nicht nur die ungefähre Lage, sondern auch den Eigentümer: die hauptsächlich als Spiele- und Buchverlag bekannte Firma Ravensburger. "Unsere Ideen sind familienfreundlich und sorgen für Bildung von Geist und Herz. Dies schließt Gewaltverherrlichung aus", wird den rund 1.800 Mitarbeitern ins Stammbuch geschrieben. In der Tat: Nur ganz, ganz selten wurde in der Vergangenheit dieser Pfad der Tugend verlassen und haben Kritiker das berühmte Haar in der Suppe gefunden.

Eine halbe (Auto-)Stunde von Bregenz entfernt, brachte die Firma Saubermann der Spieleindustrie das Kunststück zuwege, einen Vergnügungspark zu errichten, der ohne die üblichen Action-Komponenten auskommt - und trotzdem Spaß macht. Zweites Kunststück: das "Spieleland" ist einer der ganz wenigen Parks, in denen man schon mit Zweijährigen etwas anzufangen weiß. "Videogames, wie es sie immer mehr in den Freizeitparks gibt, aber auch Filme und virtuelle Dinge, wo Figuren oder Besucher mit Laserkanonen aufeinander schießen, waren von vornherein ausgeschlossen", erläutert Karl-Heinz Horn, einer der beiden Spieleland-Vorstände (Betreiber ist eine eigene AG), die Philosophie. "Auch beim Sponsoring kämen für uns nie Zusammenhänge mit Alkohol oder Zigaretten in Frage!"

Aktuelle Partner sind beispielsweise Lego, Steiff, Mercedes Benz oder Coca Cola. Eine Firma Nintendo würde bei den Ravensburgern wegen ihrer oft kriegerischen "jump and run"-Spiele abblitzen, beteuert Horn. Freilich wäre es jetzt müßig, über die Laserkanonen zu lamentieren, mit denen auch kleine Lego-Technik-Figuren bestückt werden. Oder darüber, daß die Marke Mercedes ein Teil eines Konzerns ist, ein anderer sich aber der Rüstung verschrieben hat. Hier sponsert Mercedes eine Verkehrsschule. Nach kurzer Theorie erhalten die Kinder einen "Führerschein" und setzen sich in miniaturisierte A-Klasse-Autos, um sich im Verkehrsschilder-Wald zu bewähren. Die Autos sind kippsicher, betont Mercedes. "Jeder Parkphilosoph wird ihnen sagen: Warum macht ihr denn eine so bescheuerte Verkehrsschule! Man könnte die Kinder einfach in die Autos reinlassen, dann hätten wir einen höheren Durchlauf. Aber das ist eben typisch Ravensburger", sagt Horn. Die Kinder sollen dabei "wieder ein paar Regeln mehr fürs Leben mitnehmen".

Nicht zuviel Pädagogik Pädagogisch untermauertes Spielen, lautet die Leitlinie. Daß ein paar Stationen weiter in Anlehnung an ein Ravensburger-Spiel in schneckenförmigen Auto-Scootern schon die Zweijährigen mit Begeisterung gegeneinander stoßen, ist für den Parkmanager kein Widerspruch: "Zwischendurch braucht es auch solche Einrichtungen", ist Horn überzeugt, denn ein gutes Konzept lebe von einer "... gesunden Mischung. Wir haben auch ein paar Karussells im Park, aber wir würden etwas falsch machen, wenn wir auch noch hier etwas Pädagogisches hineinpacken!" Die obligatorische Achterbahn wird man auf der 23 Hektar großen Fläche im Schnittpunkt der Städte Lindau, Ravensburg und Friedrichshafen vergeblich suchen. Abgesehen vom Platzbedarf und den Kosten wäre eine Achterbahn ein rein passives Vergnügen, argumentiert man seitens der Spieleland-Verwaltung. Zur Überraschung findet sich der Besucher dann plötzlich doch in einer Achterbahn wieder: Der Unterschied ist, daß die Höllenfahrt nicht real, sondern virtuell in einem Kino stattfindet, in dem sich die Sitze synchron zum Film auf der Leinwand aufbäumen.

Zwei Argumente wirft Horn in die Waagschale, daß es ja nur ein halbherziger Verzicht sei: Die Fahrt mit der vorgegaukelten Achterbahn führe auf den Schienen einer Spielzeugeisenbahn durchs Kinderzimmer, außerdem wäre - mit Verweis auf die dahinterstehende Technik - die aufwendige Computeranimation im Themenbereich "Futureland" des Spielelandes trefflich situiert. Heiligt der Zweck also sämtliche Mittel, wenn es um das Argument von Verzicht auf Gewaltverherrlichung und übliche Attribute des organisierten Freizeitvergnügens geht? Nein, das wäre ungerecht gegenüber der Investition von umgerechnet mehr als 230 Millionen Schilling. Sie zeigt nur deutlich auf, daß man unterschiedliche Richtungen einschlagen kann. Anhand der einzelnen Beispiele aber auch, wie schwer die Grenzen zu ziehen sind.

So ist Wettstreit eben nicht gleichzusetzen mit Wettkampf. Dem Kräftemessen, eines der Hauptelemente des Spielens, widmet der marktführende Spielehersteller in seinem Erlebnisland viel Raum. Mit welcher Leichtigkeit, mit welchen, zum Teil kooperativen Ansätzen dieser Kern des Spielens hier umgesetzt wurde, macht die eigentliche Stärke des Spielelandes aus. Das beste Beispiel dafür ist der Memory-Flug. Vier zufällig zusammengewürfelte Mannschaften nehmen in einem hydraulisch gesteuerten Hubschrauber Platz und gehen in die Ausgangsposition vor einer vorerst noch leeren, riesigen Memory-Wand mit 20 Bildtafeln. Vom Cockpit aus werden einzelne Tafeln "umgedreht", bei Bildpaaren steigt der Hubschrauber, bei nicht zusammenpassenden Bildern verliert er an Höhe. Die vier Mannschaften müssen dabei einen Weg finden, sich zu koordinieren. Der kollektive Triumph, innerhalb einer gewissen Zeit alle Paare gefunden zu haben, steht am Ende wie selbstverständlich über dem Einzelerfolg. Bei praktisch allen Spielen bzw. Attraktionen können sowohl Kinder als auch Erwachsene gemeinsam und gleichberechtigt agieren. Auch das ist nicht selbstverständlich für einen Freizeitpark. Doch die Eigenwerbung heißt schließlich "Das größte Spielzimmer der Welt". Wenngleich sich alles im Freien abspielt - mit Ausnahme von Kino, Zaubern, Geschichten erzählen oder Beschäftigungsspielen und der Möglichkeit, selbst Spiele und Puzzles herzustellen.

Penetrante Mäuse Die "tragende Figur" des Parks ist Käpt'n Blaubär mit seinem Abenteuerland. Dieser sehr beliebte Fernsehheld ist, was wenige wissen, eine Entwicklung einer Ravensburger-Tochter, die TV-Sendungen produziert. Eigentlich sind selbst Insider der Spieleszene überrascht, welche fast schon unaufdringliche Rolle die Produkte aus dem Haus mit dem blauen Dreieck spielen. Der Penetranz von Micky und anderen Mäusen in einem Disney-Park kann selbst der ein Viertel der Fläche beherrschende Käpt'n Blaubär nicht im geringsten das Wasser reichen.

Das Ravensburger Spieleland ist für Familien mit Kindern von zwei bis zwölf Jahre konzipiert und von April bis Ende Oktober geöffnet. Der Eintritt beträgt 26 (Erwachsene) bzw. 24 DM (Kinder ab 3 Jahre), Gruppen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln Anreisende zahlen 20 DM. Der Freizeitpark liegt an der B 30 in Meckenbeuren, 12 km südlich von Ravensburg. In Kooperation mit der katholischen Stiftung Liebenau, die auch Grundverpächter ist, wird ein beträchtlicher Teil der 240 Teilzeitarbeitsplätze mit Behinderten besetzt.

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