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Schlafen scheint das Natürlichste der Welt zu sein. Genauso wie die Tiere tun es auch die Menschen. Und die Medizin weiß genau, was normaler Schlaf ist. Abweichungen davon werden als Schlafstörungen begriffen. Dem gegenüber verstehen Kulturwissenschafter den Schlaf auch als kulturelle Errungenschaft. Japaner etwa schlafen überall und zu jeder Zeit. Und in den USA wird zunehmend der Arbeitsplatz zum Schlafplatz. Unterschiede sind oft vielsagend. So beleuchtet die dunkle Seite des Lebens den Alltag der Menschen. Für keine andere Sache wenden wir soviel Lebenszeit auf, wie fürs Schlafen. Doch wozu, warum und überhaupt.

Rund ein Drittel unseres Lebens schlafen wir - oder anders ausgedrückt: etwa acht Stunden pro Tag. Alles ganz normal, oder? Ein Vergleich mit anderen Säugetieren mag da verblüffen. Koalabären schlafen rund fünfzehn Stunden pro Tag; Pferde hingegen nur drei. Auch pflegen die meisten Säugetiere - so auch unsere liebsten Haustiere: Hunde und Katzen - einen polyphasischen Schlaf. Das heißt: Sie haben mehrere Schlafperioden, die von Wachphasen unterbrochen sind.

Der Mensch ist da anders. Zumindest einige, wie ethnologisch arbeitende Schlafforscher wissen. So hat sich die Japanologin Brigitte Steger angeschaut, wie Menschen in verschiedenen Ländern schlafen und dabei drei Schlafkulturen entdeckt: monophasische, biphasische und polyphasische. Österreich etwa hat eine monophasische Kultur. Geschlafen wird einmal und das in der Nacht. Ein typisches Beispiel für eine biphasische Schlafkultur wäre Spanien, wo in der Nacht geschlafen und nach dem Mittagessen Siesta gehalten wird. Eine polyphasische Schlafkultur pflegen die Japaner. Sie schlafen nachts und genießen mehrmals am Tag ein kurzes Nickerchen. Das Auffinden von verschiedenen Schlafgewohnheiten in unterschiedlichen Ländern macht deutlich, dass beim Menschen der Schlaf nicht mehr etwas rein Natürliches ist, sondern Teil einer spezifischen kulturellen Praxis. Verbunden mit dieser Praxis sind bestimmte Wertvorstellungen und diese können sich im Laufe der Zeit wandeln. Als Folge davon verändern sich auch die Schlafgewohnheiten. So findet zurzeit in den USA das Nickerchen am Arbeitsplatz in gewissen Sektoren zunehmend Verbreitung. Gleichzeitig verschwindet der in China traditionelle Mittagsschlaf, das Xiuxi, langsam. Als treibende Kraft hinter diesen Veränderungen sieht Steve Kroll-Smith (siehe Interview S. 23) sich wandelnde Wirtschaftssysteme.

Wozu schlafen?

Offensichtlich ist die kulturelle Prägung nicht beliebig dehnbar. Delphine etwa können mit einer Hirnhälfte schlafen, während die andere wach ist. Dem Menschen wird eine solches Verhalten nie möglich sein. Die Biologie setzt hier klare Grenzen. Doch worin besteht eigentlich die biologische Funktion des Schlafes?

Eine These besagt, dass Schlafen hilft, Energie zu sparen. "Je nach Spezies stimmt das auch", meint Irene Tobler von der Universität Zürich, die dort den Schlaf von Tieren erforscht. Mäuse etwa haben einen schnellen Stoffwechsel. Und Elefanten, die stundenlang durch die Savanne wandern, brauchen auch viel Energie. Durch entsprechende Ruhephasen können diese Tiere also durchaus Energie sparen. Doch wie sieht das beim Menschen aus? Nach einer neueren Hypothese benötigt der Aufbau von Synapsen im Gehirn ebenfalls sehr viel Energie. Und dies geschieht vor allem tagsüber. Nachts könnte sich wieder eine Balance einstellen. Wenig gebrauchte Synapsen würden im Schlaf abgebaut.

Eine andere These geht dahin, dass der Schlaf dazu beitragen kann, gelerntes Wissen zu konsolidieren. Tatsächlich lernen wir andauernd und nicht bloß in der Nacht. Jedoch sind in der Nacht Störungen durch andere Informationen am niedrigsten. Es sollte deshalb nicht verwundern, dass wir uns an Dinge, die wir am Vorabend gelernt haben, am Morgen noch erinnern können. Dass der Schlaf selbst zum Lernen einen aktiven Beitrag leistet, ist durchaus möglich, aber experimentell nicht leicht zu zeigen.

Schließlich wird dem Schlaf eine restaurative Funktion zugeschrieben. Das scheint ein nahe liegender Gedanke, fühlen wir uns doch besser, wenn wir gut geschlafen haben. Doch was sich dabei auf molekularer Ebene abspielt, versteht die Wissenschaft noch nicht so genau.

Biologisch notwendig

Eins scheint jedoch gewiss: Die hyperaktive Gesellschaft, in der wir leben, wird auch in Zukunft schlafen müssen. Auch mit angeblichen Wundermitteln wie dem neuen Wachhaltemittel Modafenil lässt sich die menschliche Natur nicht austricksen. Dazu Frau Professor Tobler: "Ich habe Modafenil an Ratten getestet. Ihr Schlaf ist nachher anders; sie brauchen mehr Tiefschlaf. Ich weiß nicht, wie lange man das Einnehmen kann, ohne negative Effekte zu haben. Ich warne aber davor." Es macht eben einen Unterschied, ob man ein Medikament als Lifestyle-Droge einwirft oder sie unter Anleitung eines Arztes gegen eine Schlafstörungen einnimmt.

Vielleicht leiden die Menschen heute mehr wie früher an Schlafstörungen (siehe "Ruhe in Frieden" S. 22). Doch bereits im Mittelalter war so mancher Rittersmann mürbe vom fehlenden Schlaf, wie die junge Germanistin Gabriele Klug weiß: "Die Ursachen waren damals ähnlich wie heute: Liebeskummer und Leidenschaft, Aufregung und Sorgen, sowie die Last großer Verantwortung." Interessanterweise wurde die Minne (Liebe) als ernsthafte Krankheit eingestuft und die damit einhergehende Schlaflosigkeit galt als ein eindeutiges Symptom. Der schlaflose Herrscher hingegen war eine Art Ideal. Wer niemals schlief (und mancher Herrscher hielt sich angeblich durch Meditieren stets wach), war immer für Land und Leute da. Zumindest haben wir heute eine Sorge weniger. Wir glauben nicht mehr, dass die Seele im Schlaf von fremden Mächten in Besitz genommen werden kann. Es bleiben andere Geister.

BUCHTIPP:

WOL C6UF, WIR SULLEN SL C6AFEN G C6AN!

Von Gabriele Klug

Peter Lang Verlag, Frankfurt 2007

227 Seiten, brosch., E 39,-

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