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Die Sünde der Sorge
Ich mag den nicht, der nicht schlaft, spricht Gott.
Der Schlaf ist des Menschen Freund.
Der Schlaf ist Gottes Freund.
Der Schlaf ist vielleicht meine schönste Schöpfung.
Und ich selbst habe mich ausgeruht am siebenten Tag.
Wer ein reines Herz hat, schlaft. Wer schlaft, hat ein reines Herz.
Das ist das große Geheimnis, unermüdlich zu sein wie ein Kind.
Und wiederzubeginnen alle Morgen, immer neu wie die junge, wie die neue
Hoffnung. Nun sagt man mir aber gibt es Menschen, die recht gut arbeiten und die schlecht schlafen.
Die nicht schlafen. Welch ein Mangel an Vertrauen zu mir.
Das ist fast ärger, als wenn sie schlecht arbeiten, aber gut schlafen.
Als wenn sie nicht arbeiten, wohl aber schlafen; denn die Trägheit ist keine größere Sünde als die Sorge, ja ist sogar die geringere Sünde als die Sorge und als die Verzweiflung und der Mangel an Vertrauen zu mir.
Ich rede nicht, spricht Gott, von den Menschen, die nicht arbeiten und die nicht schlafen.
Diese sind Sünder, das versteht sich. Es geschieht ihnen recht. Große
Sünder. Sie sollen nur arbeiten. Ich rede von denen, die arbeiten und die nicht schlafen. Sie tun mir leid. Ich rede von denen, die arbeiten und die also hierin mein Gebot befolgen, die armen Kinder. Und die andererseits den Mut nicht haben, nicht das Vertrauen haben, nicht schlafen. Ich bedaure sie. Ich nehme es ihnen übel. Ein wenig. Sie vertrauen mir nicht.
Wie das Kind unschuldig in den Armen der Mutter ruht, so ruhen sie eben nicht unschuldig in den Armen meiner Vorsehung
Sie haben den Mut, zu arbeiten. Sie haben nicht den Mut, nichts zu tun.
Sie haben die Tugend, zu arbeiten und nicht die Tugend, nichts zu tun.
Sich zu entspannen. Auszuruhen. Zu schlafen. Die Armen wissen nicht, was gut ist. Sie führen ihre Geschäfte gut während des Tages. Aber sie wollen mir deren Führung während der Nacht nicht anvertrauen.
Als ob ich nicht imstande wäre, die Zügel zu führen durch eine Nacht Wer nicht schlaft, der betrügt die Hoffnung. Und das ist der größte Betrug. Denn es ist der Betrug an dem größten Glauben. Arme Kinder, tagsüber verwalten sie ihre Geschäfte mit viel Klugheit.
Aber wenn der Abend kommt, können sie sich nicht entschließen, finden sie sich nicht bereit, ihre Führung abzutreten an meine Weisheit.
Für die Spanne einer Nacht mir die Führung zu überlassen. Und die ganze Lenkung und die Verwaltung Als ob ich nicht imstande wäre, vielleicht mich ein wenig darum zu kümmern.
Alles zu lenken und zu verwalten und was sonst dazugehört.
Ich verwalte noch ganz anderes: ihr armen Wichte, ich lenke die Schöpfung, das ist vielleicht doch noch schwerer.
Ihr könntet vielleicht ohne großen Schaden eure Geschäfte mir übergeben, ihr klugen Menschen.
Ich bin vielleicht ebenso klug wie ihr.
Ihr könntet sie mir vielleicht überlassen für die Spanne einer Nacht.
Für die Spanne, da ihr schliefet.
Endlich.
Und am anderen Morgen fändet ihr sie vielleicht nicht ganz verdorben.
Am nächsten Morgen stünde es vielleicht nicht schlimmer um sie. Vielleicht bin ich doch noch imstande, sie ein wenig zu lenken. Ich rede von denen, die arbeiten, und also hiemit mein Gebot befolgen. Und die nicht schlafen, und also hiemit mißachten, was gut ist in meiner Schöpfung — den Schlaf.
Arme Kinder, sie folgen ja nur der menschlichen Weisheit.
Die menschliche Weisheit sagt — Verschiebe nicht auf den morgigen Tag, was du noch heute besorgen kannst.
Und ich sage euch — Der imstande ist, hinauszuschieben auf den anderen Tag, jener ist Gott wohlgefällig.
Wer schlafen kann wie ein Kind, der schlaft wie meine liebe Hoffnung.
Und ich sage euch — Verschiebt auf morgen all die Sorgen und die Ängste, die heut an euch nagen und heute euch verzehren könnten.
Verschiebt auf morgen dieses Schluchzen, das euch erstickt, wenn ihr das heutige Elend seht.
Verschiebt auf morgen diese Tränen, davon euch voll sind Augen und Kopf.
Die euch überfluten. Die niederfallen. Diese Tränen, die euch fließen. Denn von heut auf morgen werde ich, Gott, vielleicht vorbeigegangen sein.
Wahrlich, ich sage euch, jener kränkt meine liebe kleine Hoffnung, der mir nicht anvertrauen will die Führung seines Lebens. Während er schliefe.
Der mir nicht anvertrauen will die Führung seiner Nacht. Als hätte ich mich nicht bewährt.
Der mir nicht überlassen will die Führung einer seiner Nächte. Als ob denn nicht schon mehr als einer, dessen Geschäfte im Argen lagen, als er abends schlafen ging, sie ganz in Ordnung gefunden hätte, als er sich morgens erhob — denn vielleicht war ich vorübergegangen.
Ubertragen von Brigitte von Leitmeier
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