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Die letzten Tage von Bernanos

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Während seiner Todeskrankheit kommunizierte Bernanos täglich. Bis zu seinen letzten Tagen betete er selbst, mit seltsamer Kopfstimme, lateinisch das Con- fiteor, wendete den Blick nicht von der heiligen Hostie, beendete seine Danksagung mit einem großen Kreuzzeichen. Noch ist er ganz er selbst: „Geben Sie mir die letzte Ölung.“ Während derselben unterbricht er den Priester mit Zwischenrufen: „Wie erschütternd!… Wie wunderbar!…“ Er entblößt die Füße, der Priester erklärt ihm, es sei nicht notwendig, diese Salbung werde heute zumeist unterlassen. Später sagte er zu seiner Frau, der Priester sei offenbar der Meinung gewesen, er habe durch seine schmerzvolle Lähmung seine Sünden genugsam gebüßt.

Da man ihm sagt, seine Werke würden für ihn bei Gott einstehen: „Ich bin für das, was ich geschaffen habe, nicht verantwortlich … Virtus de illo exibat… Verantwortlich bin ich für das, was ich nicht gewesen.“

Als er sich zur letzten Operation anschickte, bat er den ihm befreundeten Priester, sich am Ausgang des Operationssaales bereitzuhalten, für den Fall, daß man eine Leiche hinausführe. Als die Seinen ihn zum Saal begleiteten, sang er die Marseillaise.

Nach der Operation wußten die Ärzte, daß er verloren war. Er lebte noch einige Wochen, mit künstlichen Mitteln, die er verabscheute, und unter größten Schmerzen. Seine Gebete waren ganz einfach: sie bestanden mit Vorliebe aus Worten der Apostel: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ „Mein Herr und mein Gott.“ Oft wiederholte er den Satz von Bėrulle: S’offrir par des humiliations aux inspirations: durch Verdemütigun- gen sich den göttlichen Einsprechungen anbieten.

Er sinnt über das Leben Jesu nach, das er schreiben möchte. Man bietet ihm das „Leben Jesu’ von Bėrulle an: er liest es als erstes nach seiner Operation. Es enttäuscht ihn: „Wie künstlich ist das!.., Dieser Mensch zwickt sich den Geist, damit ihm etwas einfalle. Was ich schreiben möchte, ist gar nicht von dieser Art, es ist sogar das direkte Gegenteil. Ich möchte zu den Leuten ganz schlicht von Jesus Christus sprechen, den sie nicht mehr kennen, ich möchte von der Schwelle einer Kirche aus oder hinter einer Säule von ihm reden, der ein armer Mensch war, wie die anderen.“ Er legt Wert darauf, daß die Apostel bis zur Auferstehung wenig oder nichts von allem verstanden. „Ich werde zeigen, daß sie Menschen waren wie wir.“ Einem Exegeten, der ihn besuchen kam, stellte er viele Fragen über die Versuchung Christi. Schon früher hatte sie ihn beschäftigt. Seit seinem Sturz fühlt Satan die Menschwerdung Gottes voraus; vielleicht sogar hat er Adam versucht im Gedanken, er sei der Erwartete,- den ganzen Alten Bund hindurch hat die Gerechten aufs gräßlichste angefochten in der Vorahnung der kommenden Menschwerdung. Bernanos fragt sich: „Habe ich beim lieben Gott das Recht erworben, dieses Buch zu schreiben?“ Andere Pläne, eine „Enzyklika“ an die Franzosen, beschäftigten ihn. „Ich versichere Sie, es ist wichtig, trotz allem. Wer wird jetzt der Welt den Warnungsschrei zurufen?“ „Werden die Leute mein Leben Jesu überhaupt lesen? Sie sind nicht einmal so weit. Man muß sie bei den Eingeweiden packen …“ In den letzten Tagen, da der körperliche Zusammenbruch augenscheinlich war, sagt er mit Tränen in den Augen: „Es ist eine Eingebung… ich meinte, es sei eine Eingebung. Diese Nacht habe ich ja gesagt.“ Es ging darum, daß er alle übrigen literarischen und polemischen Pläne fallenzulassen und sich ausschließlich dem „Leben Jesu“ zu widmen versprochen hatte. „Ich glaube, der Herr verlangt von mir diese vollkommene Losschälung; … jetzt habe ich wieder Grund zu leben.“ „Es ist hart, es ist furchtbar hart…, aber ich bin entschlossen … Ich werde von nichts anderem mehr reden als von Jesus Christus.“ Man erinnert ihn an seine „Enzyklika“. Er bleibt dabei „nur noch mein Leben Jesu, übrigens, nach meinen Plänen, habe ich wohl für zwei Jahre Arbeit.“ Schwäche und Schmerzen nehmen zu; sein ganzes unmögliches, abgehetztes Leben rollt in Bildern an seinem Geiste vorbei. Auch noch im Sterben ängstigt ihn der Gedanke an die Unkosten der Krankheit. Er rechnet. „Wie soll ich aus- kommen? Und wenn ich sterbe, was soll aus den Meinigen werden?“ Die Zeit, da er das „Tagebuch eines Landpfarrers für 60 Franken die Seite schrieb, steigt ihm ins Gedächtnis: „Meine Frau, meine sechs Kinder… Wir hatten nichts mehr zu essen … Sie flehten mich an: Georges, deine Seiten … Papa, deine Seiten, deine Seiten, deine Seiten!… Noch klingt es mir in den Ohren wie ein böser Traum.“ Unzählige Menschen hatten ihm geschrieben, hingen an ihm. Er trägt dem Priester auf: „Diesem werden Sie das sagen müssen… Ich beschwöre Sie, kümmern Sie sich um jenen… Für den da können Sie augenblicklich nichts tun, weil…, aber ich bin voller Hoffnung. Beten Sie für ihn … Und jenen andern, lieben Sie ihn für mich, er hat so viel gelitten.“

Seine Freunde bestürmen den Himmel mit Novenen und Wallfahrten. Man gibt ihm Lourdeswasser zu trinken. Er schneidet eine Grimasse dabei und sagt freundlich von der Mutter Gottes: „Wie komisch muß ihr das Vorkommen, da droben.“ „Ich weiß nicht, wie man bittet; ich wage nicht zu bitten.“ In einer alten dominikanischen Litanei aus dem 13. Jahrhundert hatte er diese Anrufung gefunden, die ihn im tiefsten erschüttert. „Jungfrau, die du den Glauben des Karsamstags bewahrt hast, bitte für uns.“

Er wehrt sich gegen die Einspritzungen; er will wach sein und kämpfen. „Wenn ich schlafe, ist es zu Ende.“ Die Krankenschwester verabreicht ihm eine Spritze im Schlaf. Er strengt sich aufs äußerste an, wach zu werden. Man betet vor ihm das Vaterunser. Da er die Worte hört: „Erlöse uns von dem Übel“, ruft er laut: „Ja … Vater … Vater … durch Deinen Sohn Jesus Christus… tu mir kein Übel mehr an.“ Und am Ende seiner Kraft: „Glauben Sie, daß mir der liebe Gott meine Sünden vergeben wird?“ Am Vorabend seines Todes sagte er zu seiner Frau: „Nun gehe ich in die Agonie.“ Er bittet den Priester um seinen Segen. Er ruft: „Mama… Mama!“ Und da die Krankenschwester antwortet: „Vyarten Sie, sie ist im Gang“, ruft er ihr zu: „Ach natürlich nicht, sie ist ja tot… bald werden Sie sie droben Wiedersehen … ganz sicher finde ich sie dort droben wieder.“ Im Todeskampf in der Nacht wiederholt er den Seinen: „Geht, ruht euch aus, geht schlafen, ihr werdet sonst müde.“ Plötzlich, schon mitten im Röcheln: „A nous deuxl“ In der Morgenfrühe starb er.

„Wir sterben nicht jeder für sich“, hat er im letzten Jahr gesagt, „sondern wir sterben füreinander, oder vielleicht, wer weiß, sogar an Stelle des andern.“

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