"Sind denn die anderen gerecht zu uns?"

Werbung
Werbung
Werbung

Muslime im "christlichen" Land: Wie Schülerinnen und Schüler islamischen Glaubens die Karikaturendebatte empfinden. Ein Wiener Stimmungsbild.

Nächstes Mal noch General Franco. "Und dann sind wir fertig mit dem Krieg." Gottfried Matejka wischt die letzten Kreidespuren des "Zweiten Weltkriegs" von der Tafel - und macht sie frei fürs nächste Gefecht. Eines, das nicht trocken in den Geschichtsbüchern schlummert. Sondern ein Konflikt, der den 14-Jährigen selbst unter den Nägeln brennt. Auch und besonders hier, im "Josef-Haydn-Bundesrealgymnasium" in Wien-Margareten.

"Karikaturenstreit", malt der Geschichte-, Englisch-und Ethiklehrer Matejka auf die verschmierte, grüne Tafel. "Was wissen wir?" schreibt er darunter. "Wo? Warum? Welche Folgen?" So richtig feurig sind die 19 Halbwüchsigen noch nicht bei der Sache - auch nicht, als es darum geht, die Fragen in Kleingruppen zu diskutieren. "Es ist eine eher untypische Klasse", murmelt Matejka, während er die neun Katholikinnen und Katholiken, drei Bekenntnislosen, drei Muslime, zwei Evangelischen sowie den Buddhisten und den Sikh beim Diskutieren beobachtet. "Normalerweise ist der Anteil der muslimischen Schüler höher." Wie viele es insgesamt sind, kann auch Direktor Hans Rudolf nicht beziffern. Er weiß freilich, dass es "keine Probleme" gibt. Und dass 67 der 475 Schülerinnen und Schüler den islamischen Religionsunterricht besuchen, der seit wenigen Jahren angeboten wird. Die Mehrheit der muslimischen Kinder diskutiere religiöse Fragen aber im Fach Ethik.

"Was ist schlimm daran?"

Oder auch im Geschichtsunterricht, wie in der 4C, in der gerade die Murmelphase zu Ende geht. "Was ist passiert?", wiederholt Matejka seine Frage. "Ein Mensch hat den islamischen Gott nicht schön gezeichnet", erklärt der blonde Bub aus der zweiten Reihe. "Nein, der Prophet der Moslems, Mohammed, wurde abgebildet", korrigiert ihn sein Klassenkollege. "Und: Was ist so schlimm daran?" "Weil es im Islam verboten ist, Mohammed abzubilden!" Die Debatte kommt langsam in Fahrt. "Die Dänen haben kein Recht, so etwas zu zeigen", wirft Pius ein, "aber wenn die Moslems 100 Kilo Gold für einen Mord zahlen, ist das auch kindisch."

Schließlich stellt Matejka die Gretchenfrage: "Soll sich der dänische Regierungchef entschuldigen?" "Ja, weil er sonst einen Krieg verursachen kann", antwortet einer. "Ja, weil man nicht andere Religionen auslachen soll, höchstens die eigene", ergänzt Dagcan. Nur Markus schmettert ein "Nein" in die Klasse: "Er soll sich nicht entschuldigen, weil man in einer dänischen Zeitung zeichnen kann, was man will." "Buuh", rufen die anderen. Und einer setzt nach: "Was würden die Christen machen, wenn wir Christus verarschen würden?" "Wir würden alle Döner-Stände anzünden!", schreit Martin - und sorgt mit seinem Sager für Gejohle.

"Diese Fragen sind alle sehr heikel", klagt Gottfried Matejka nach dem Läuten auf dem Weg ins Konferenzzimmer. Hier könnten nur offene Debatten helfen. "Nur einen Standardsatz akzeptiere ich nicht", verrät der Ethik-Professor: "Das steht im Koran ..."

"Auch Maria ist heilig!"

Drei Räume weiter hat Gürsel Dönmez gerade "Die Propheten im Koran" an der Tafel verewigt. "Für Moslems sind alle 25 Propheten heilig", erklärt der Islam-Lehrer und promovierte Handelswissenschafter den 15-Jährigen. "Auch Maria ist heilig - wie Mohammed". Entsprechend geärgert habe er sich über einen Artikel im türkischen Massenblatt Hürriyet: "Ein Journalist hat darin gefragt, was denn wäre, wenn die Muslime Maria als schlechte Frau - ihr wisst schon - darstellen würden", erzählt er seinen Schülerinnen und Schülern. "Ich habe ihm daraufhin ein böses Mail geschickt."

Auch in der Klasse herrscht darob Ärger - allerdings kaum mehr als über die dänischen Karikaturen. "Meine Eltern versuchen die dänische Regierung zu boykottieren", meint eine Schülerin mit Kopftuch. "Man soll auch demonstrieren, aber ohne Gewalt." Auch Simon ist empört. "Das ist eine Frechheit", ärgert sich der Katholik, der "aus intellektuellem Antrieb" den Islam-Unterricht besucht. "Man darf ja auch nicht sagen, dass es den Holocaust nicht gegeben hat". Hier gebe es in Österreich eben das Verbotsgesetz, wirft eine Mitschülerin ein. Doch Simon kontert: "Warum kann man es dann nicht auch gesetzlich regeln, dass man andere Religionen nicht beleidigen darf?" Außerdem findet er es "auch blöd, dass ein Kreuz in der Klasse hängt". "Das ist für mich kein Problem", beteuert ein muslimischer Kollege.

Gürsel Dönmez versucht es mit einem neuen Aspekt: "Das Problem ist, dass es nicht nur um religiöse, sondern auch um politische Fragen geht.". Es herrsche vielleicht weniger ein "Kampf der Kulturen" als ein "Krieg zwischen Euro und Dollar" ums Öl. Ein Schüler greift das Thema dankbar auf: "Wenn die Amerikaner für Öl im Irak töten, ist es OK. Aber wenn Muslime töten, sind wir gleich Terroristen." "Das ist Blödsinn", erwidert Dönmez. "Moslems dürfen nicht töten." "Aber haben Sie das Video mit den britischen Soldaten im Irak gesehen? Wir werden immer als zweitklassig betrachtet." "Trotzdem", lautet das Mantra des Lehrers: "Der Koran lehrt uns, dass wir gerecht sein müssen." "Aber", fragt einer, "sind denn die anderen gerecht zu uns?"

Dönmez seufzt. Das Thema sei eben "ein heißes Eisen", sagt er beim Hinausgehen. Er lasse die Kinder deshalb "einfach ausreden" - und versuche es selbst mit einer der größten muslimischen Tugenden: Geduld.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung