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Aktuell ist klar, dass noch vieles unklar ist. Auf eine Kürzung der Mindestsicherung hat sich die Bundesregierung zwar ebenso geeinigt wie auf ein "Arbeitslosengeld neu", laut Regierungsdiktion eine "Zusammenlegung" von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Entscheidende Details sind aber noch in Verhandlung. Dazu gehört insbesondere die genaue Regelung des Vermögenszugriffes: Verliert ein Arbeitnehmer künftig seinen Job, kann der Staat bei längerer Arbeitslosigkeit bis zu einem Restvermögen von 5200 Euro auf dessen Eigentum zugreifen. Bislang hat Türkis-Blau allerdings nicht geklärt, welche konkreten Abfederungen es für diesen Vermögenszugriff geben wird.

So macht es etwa einen großen Unterschied, ob ein 30-Jähriger seinen Job verliert -der im Schnitt relativ gute Chancen hat, bald wieder beschäftigt zu sein. Oder ein 58-Jähriger -der sich im Regelfall selbst bei guter Qualifikation schwer tun wird, wieder eine Anstellung zu finden. Die Regierungsparteien betonten zwar, dass jene, die "jahrzehntelang" ins System eingezahlt hätten, bei

Arbeitslosigkeit nicht in die Mindestsicherung rutschen würden, ergo: kein Vermögenszugriff. Wie lange Menschen aber genau gearbeitet haben müssen, um etwa keine Pfändung ihres Eigenheims befürchten zu brauchen, lassen die Koalitionsparteien bis ins kommende Jahr hinein offen.

Verdrehter Diskurs

Das Schaffen von Anreizen, damit Arbeitslose möglichst schnell wieder auf den Arbeitsmarkt gelangen, ist so legitim wie sinnvoll. Problematisch ist dagegen, dass der öffentliche Diskurs -auch und gerade vonseiten der Bundesregierung - permanent geführt wird, als würde eine große Mehrheit der Mindestsicherungs-und Notstandshilfebezieher lieber ungerechtfertigt das Sozialsystem ausnützen, als arbeiten zu gehen. Das lässt sich anhand der existierenden Daten allerdings nicht verifizieren. Im Gegenteil: Unter den Beziehern haben große Teile schlechte Chancen am Arbeitsmarkt -häufig wegen ihres Alters oder Krankheit. Bei ihnen scheitert der neue Job also nicht an mangelndem Willen oder dem Zug zur "sozialen Hängematte"(O-Ton ÖVP-Klubchef August Wöginger).

Öffnen der sozialen Schere

Hinzu kommt: Die Kosten für die gesamte Mindestsicherung betrugen auch im vergangenen Jahr nur 0,9 Prozent der Sozialausgaben -und damit keine 0,5 Prozent am Gesamtbudget. Warum also hat das Thema Mindestsicherung für die Regierung so hohe Priorität? Während etwa über Steuerbetrug und -vermeidung, die sich auf Kosten der Allgemeinheit in unvergleichlich größeren finanziellen Dimensionen abspielen (wie zuletzt auch der Cum-Ex-Skandal wieder veranschaulichte), nicht einmal gesprochen wird? Vermutlich, weil sich der Kampf gegen eine angebliche "soziale Hängematte" besser verkaufen lässt als jener gegen real existierende, aber hochkomplexe Steuerbetrugssysteme mit unverständlichen Namen. Überlässt man wachsende Teile der Bevölkerung auch bei Schicksalsschlägen wie Arbeitsplatzverlust verstärkt sich selbst, produziert das aber hohe Folgekosten für eine Gesellschaft. Ebenso wie die Steuertricks am anderen Ende der Einkommens-und Vermögensskala, die die soziale Schere weiter öffnen. Wo die sozioökonomischen Unterschiede am geringsten sind, ist die durchschnittliche Lebenszufriedenheit der Bevölkerung am höchsten (auch jene in den oberen Vermögens-und Einkommensklassen). Das trägt, wie ausgeglichene ökonomische Verhältnisse an sich, zu geringerer sozialer Unruhe bei. Zu einem stabilen Umfeld für Unternehmen und entsprechend verlässlicherem Wirtschaftswachstum. Und ebendas -umgesetzt über die soziale Marktwirtschaft und einen gut ausgebauten Sozialstaat -war das Erfolgsmodell Österreichs seit 1945. An diese Erkenntnis sollte man auch im Jahr 2018 regelmäßig erinnern.

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