Fides - © Foto: imago / piemags

Wie viel ist Treue heute noch wert?

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Als Teil einer Herrschaftsbeziehung hat die Treue in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und gleichberechtigten Gesellschaft hoffentlich ausgedient. Ein Essay von der Theologin Theresia Heimerl.

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Als Teil einer Herrschaftsbeziehung hat die Treue in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und gleichberechtigten Gesellschaft hoffentlich ausgedient. Ein Essay von der Theologin Theresia Heimerl.

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Ein treuer Diener seines Herrn, treu ergeben, meine Ehre heißt Treue, ein treuer Hund … Die Treue in Redewendungen und Phrasen verschiedener lebensweltlicher Kontexte der deutschen Sprache ist keine romantische Angelegenheit. Treue ist ein Begriff aus der Welt klarer Herrschaftsverhältnisse. Treue ist eine Form von Verhalten eines Subjektes (in seiner wörtlichen Bedeutung als Untergebener) gegenüber seinem direkten Herrn: Der Bauer oder Soldat gegenüber dem Grundherrn, dieser gegenüber dem Kriegs- und/oder Feudalherren, der gegenüber dem König und dieser gegenüber Gott. Die Treue jener Tage und Jahrhunderte changiert in ihrer Bedeutung zwischen Gefolgschaft aus Geburt und Loyalität.

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Treue ist nur bedingt eine freiwillige Angelegenheit: Der Leibeigene, aber auch der einfache Ritter können sich im Alltag kaum aussuchen, welchem Herrn sie treu sein müssen. Sie können diesem – bestenfalls in Konflikten mehrerer Herren – untreu werden und einem anderen die Treue schwören. Das allerdings ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden: Nicht nur kann der neue Herr im Konflikt unterliegen und der alte seine untreuen Subjekte bestrafen, der Treuebruch kann auch vom neuen Herrn als moralischer Makel mit praktischen Konsequenzen angesehen werden – wer einmal untreu wird, tut es wieder. Untreue beschädigt aber auch den Herrn, demgegenüber die Treue gebrochen wird, sie stellt seinen Herrschaftsstatus in Frage und das verletzt seine Ehre.

Fides bedeutet auch Glaube

Treue ist ein vertikaler Wert, der nur eine Richtung hat: von unten nach oben. Die Redewendung vom treuen Herrn gibt es nicht. Wohl aber ist die treue Frau bereits im Alten Testament ein Topos und bleibt es bis in Social Media. Die Treue als Sich-Verhalten in ehelichen und erotischen Angelegenheiten ist über weite Strecken der Sprach-, Kultur- und Sozialgeschichte nur eine besondere Form von hierarchischer Beziehung. Die Erfindung der romantischen Liebe im Mittelalter besteht zuerst einmal in der Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse: Nunmehr ist der minnesingende Ritter einer höher gestellten Dame treu, er macht sich in Vers und Bild zu ihrem Diener und die Angebetete zumindest in diesem lyrischen Dreieck zur untreuen Ehefrau. Der Wert der Treue bemisst in dieser hierarchischen Gesellschaft den sozialen Wert des Menschen, dem die Treue gilt.

Anders als die deutsche Treue weist das lateinische fides, von dem die entsprechenden Wörter im Englischen (fidelity) und Französischen (fidelité) abgeleitet sind, eine zwischen zwei Bedeutungsfeldern oszillierende Bedeutung auf: Fides bedeutet nicht nur die Treue, sondern auch den Glauben. Diese zweite Bedeutung drängt die erste durch ihren exzessiven christlichen Gebrauch sogar in den Hintergrund, was bei der Übersetzung klassischer lateinischer Texte in meiner Schulzeit zu leicht sinnbefreiten Stilblüten führten konnte. Die drei goldglänzenden Frauen, die viele Barockkanzeln in Österreich zieren, tragen die Titel Fides, Spes, Caritas – und niemand würde in diesem Kontext eine Personifikation der Treue vermuten, schon gar nicht als souveräne, in der Höhe thronende Frau. Wer im Internet nach bildlichen Darstellungen der deutschsprachigen Treue in der Kunst(geschichte) sucht, landet bei Bildern und Skulpturen von Hunden, die zu Herrchen oder Frauchen aufblicken, vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Fides eröffnet zwischen Treue und Glauben einen viel weiteren Bedeutungsspielraum und mögliche Wertigkeiten. Fides als Glaube trägt zwar noch den vertikalen Aspekt (vom Menschen hinauf zu Gott) in sich, doch ist dieser losgelöst von irdischen Hierarchien, er ist vor allem eine innere Überzeugung, die auf Vertrauen beruht, das zwar im Deutschen der Treue etymologisch verwandt ist, aber historisch keineswegs immer mit der Treue einhergeht.

Im Zwischenmenschlichen könnte man es mit dem Vertrauen probieren, das einer Beziehung auf Augenhöhe deutlich besser ansteht als eine feudale Verpflichtung.

Überhaupt hat die Treue in der deutschen Sprache nach 1945 einen seltsamen Beigeschmack. Einschlägiges Liedgut kreist um den Begriff der Treue, der Wahlspruch der SS, wo Treue in Kombination mit dem Ehrbegriff auftritt, sorgte Anfang des 21. Jahrhunderts für politische und juristische Aufregung. Der Treuebegriff dieser politischen Neigungsgruppe lässt sich auch als eine bedingungslose Gefolgschaft übersetzen, die über dem Gesetz steht. Diese wird gerne auch sehr genuin im Deutschen als Nibelungentreue bezeichnet, in Anspielung auf das mittelalterliche Epos, in dem der Burgunderkönig Gunther und seine Brüder dem Mörder Hagen die Treue halten und seine, von der Witwe des ermordeten Siegfried geforderte Auslieferung verweigern. Zumindest für das beschützte Mitglied einer solchen Gesinnungsgemeinschaft hat diese Treue zweifelsohne einen Wert, auch wenn sie dem modernen Rechtsstaat zuwiderläuft.

Beziehung auf Augenhöhe

Letzterer kennt die Treue in verschiedenen Bereichen, und ihr Gegenteil, die Untreue, als Delikt, dessen Wert sehr konkret bezifferbar ist, auch dort, wo es um die Ehe geht. „Untreue ist in einem Scheidungsverfahren nicht vorteilhaft“, heißt es dazu lapidar in einem Rechtsblog des Standard aus dem Jahr 2022. Die genaue Feststellung des Wertes der Untreue ist ein wertvolles Betätigungsfeld für Anwälte.

Und dann wäre da noch die im puritanisch geprägten Kontext gern eingesetzte Vermischung von ehelicher und politischer Treue, Stichwort Bill Clinton. Der Wert der Treue bemisst sich hier in Wählerstimmen. Im postkatholischen Europa gilt hingegen noch immer François Mitterrands Replik zum offenen Ehebruch, Monogamie sei nie Teil seines Regierungsprogamms gewesen.

Treue hat also einen oftmals bezifferbaren Wert, aber ist sie auch ein Wert jenseits des Materiellen oder Politischen? Treue als Teil einer Herrschaftsbeziehung hat hoffentlich in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und vor allem gleichberechtigten Gesellschaft ausgedient. In vielen Kontexten lässt sich die Treue heute durch den Begriff der Loyalität über- und ersetzen. Im Zwischenmenschlichen könnte man es mit dem Vertrauen probieren, das einer Beziehung auf Augenhöhe deutlich besser ansteht als eine feudale Verpflichtung. Wo das Vertrauen nämlich weg ist, bleibt nur mehr der pekuniäre Wert der Untreue im Scheidungsverfahren. Ob vielleicht auch Hunde lieber ihrem Besitzer vertrauen, als bloß aus Furcht ums Futter treu zu sein, vermag ich nicht valide zu beantworten, ich teile mein Haus mit Katzen, die sich schon immer jedweder Herrschaftsbeziehung erfolgreich widersetzt haben.

Die Autorin lehrt Religionswissenschaft an der Kath.-theol. Fakultät der Uni Graz.

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