6542875-1946_50_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Neubau des italienischen Staates

Werbung
Werbung
Werbung

Aus Südtirol, Anfang Dezember Die bisherigen Arbeiten der Verfassunggebenden Versammlung in Rom haben für den künftigen Neubau des italienischen Staatswesens zwei sehr bemerkenswerte Tendenzen hervortreten lassen:

1. Das Problem der lokalen Autonomien (unter lokalen Autonomie werden die Selbstverwaltung und zum Teil auch Selbstregierung der Regionen, Provinzen und Gemeinden verstanden) hat sich als das grundlegende Schliisselproblem für den gesamten Aufbau der italienischen Verfassung herausgestellt.

2. Die hervorragendsten italienischen Staatsrechtslehrer, die in den Kommissionen und Unterkommissionen der Verfassunggebenden Versammlung in erster Linie aktiv mitarbeiten, haben gerade in der österreichischen Verfassungsentwicklung die besten Vorbilder für die neue italienische Verfassung zu finden geglaubt. In der Einrichtung der „autonomen Region“ soll in Italien etwas Ähnliches geschaffen werden, was in Österreich die ehemaligen Kronländer und jetzigen Bundesländer darstellen. Diese beiden Tendenzen verdienen es, auch in Österreich mit Aufmerksamkeit verfolgt zu werden.

Italien, das viel später als die westlichen Nationen zur staatlichen Einheit gelangte, ist durch die Übernahme des straffen französischen Präfektursystems von dem Extrem der staatlichen Zersplitterung (Partikularismus) in das andere Extrem des bürokratischen Zentralismus gefallen. Durch den Faschismus wurde diese Entwicklung nur noch gesteigert. Zwei politische Strömungen, die diese Gefahren schon frühzeitig erkannt haben, haben dieser Entwicklung entgegengearbeitet. Zunächst die Republikanische Partei des Jahres 1848, aus der bekanntlich später die italienischen Sozialisten hervorgingen. Ihr geistiger Führer war Cattaneo, der schon damals einen föderalistischen Aufbau Italiens in möglichst selbständigen Regionen verlangte. Für die Gegenwart bedeutsamer waren aber die Gedanken, die der Führer der italienischen Volkspartei (Popolari), Don Sturzo, 1923 veröffentlichte. Auch er forderte den Aufbau Italiens nach Regionen, die eine weitgehende Selbstverwaltung und auch eine eigene Gesetzgebung besitzen sollten. Die Idee der Regionalautonomie als Grundlage für den Neuaufbau des italienischen Staates findet heute vor allem in der Nachfolgepartei der Popolari. der Christlich-demokratischen Partei, ihre stärksten und zahlreichsten Verfechter. Auch die kleine Republikanische Partei ist in diesem Punkte ihrer alten Tradition treu geblieben. Beide Parteien finden weiter auch eine gewisse Unterstützung bei einzelnen Vertretern der Sozialistischen Partei Italiens, in denen das Erbe der alten föderalistischen Republikaner gleichfalls weiter wirkt. Die extremen Parteien der Linken und der Rechten hingegen, also die Kommunisten, Linkssozialisten, der Nationaldemokratische Verband (Unione demo-cratica nazionale), auch zahlreiche Qualun-quisten lehnen den Gedanken regionaler ' Autonomien ab. Sie sind höchstens geneigt, der auch von ihnen zugegebenen Überorganisierung der Staatsverwaltung dadurch abzuhelfen, daß die Befugnisse der Gemeinden und Provinzen, also der Präfekten, verstärkt werden. Sie erhoffen dann eine Entlastung der staatlichen Zentralstellen (Ministerien) und eine größere Aktionskraft der Verwaltung.

Alle italienischen Parteien, ob sie nun für oder wider die Aufgliederung Italiens in autonome Regionen sind- haben im Grunde dasselbe Ziel: sie wollen die Staatsgewalt elastischer, wirksamer gestalten. Die ihrer Natur nach an einer wirklichen Demokratie interessierten Parteien der Mitte glauben dies durch eine Auflockerung der Staatsverwaltung und Gewährung größerer Freiheiten an historisch und wirtschaftlich einheitliche Landschaften zu erreichen. Sie glauben, daß dadurch die Selbstverantwortlichkeit und die Staatsfreiidigkeit der Staatsbürger nur gesteigert werden kann. Die extremen, mehr zum Totalitarismus neigenden Parteien der äußeren Linken und Rechten dagegen fürchten, daß durch Einführung regionaler Autonomien das Staats-gefüge und die Staatsgewalt geschwächt werden könnten. So hat der kommunistische Abgeordnete General Nobile als erster gegen den von ihm als unzeitgemäß und veraltet hingestellten Gedanken der Regionalautonomie in der römischen Zeitung ,.L'Indipendente“ vom 22. November 1946 bereits Sturm gelaufen. Auch der durch den Aktionspakt in Abhängigkeit von den Kommunisten geratene Führer der italienischen Sozialisten, N e n n i, hat sich gegen den Autonomiegedanken ausgesprochen. Dagegen dürfte der „autonomistische“ Flügel der Sozialistischen Partei, der sich um die „Reformisten“ S a r a g a t und S i 1 o n e und die traditionsreiche Zeitschrift „Critica sociale“ schart, nicht nur die Autonomie der Partei gegenüber der äußersten Linken, sondern auch den Gedanken der regionalen Autonomie unterstützen.

Die zweite Unterkommission der Verfassungskommission der „Costituente“ hat nun nach zahlreichen Sitzungen die Fragen der lokalen Autonomien geprüft und einen Gcsetzesvorschlag für die allgemeine Gliederung Italiens in autonome Regionen mit eigener Gesetzgebung und Verwaltung angenommen. Dieser Entwurf, der vor allem der Arbeit des christlich-demokratischen Abgeordneten Professor A m b r o s i n i seine Entstehung verdankt, muß noch der Plenarsitzung der Verf assungskommission und schließlich der Plenarsitzung der Verfassunggebenden Versammlung vorgelegt werden. Er wird wohl noch mancher. Änderung unterliegen. Offene Fragen sind vor allem die, ob die Konstituierung der autonomen Regionen obligatorisch oder nur fakultativ sein soll, ob die Provinzen weiterbestehen sollen oder nicht, die Abschaffung der Präfekturen und selbstverständlich der größere oder kleinere Umfang der regio-

nalen Gesetzgebungsbefugnis, schließlich die Frage, ob die zweite Kammer (Senat) aus den Regionalparlamenten hervorgehen soll.

Der Entwurf Ambrosini der sich gegenüber dem Regierungsentwurf für das Autonomiestatut für Südtirol und das T.entino (dem sogenannten Projekt Inno-c - nt i) durch eine vorbildliche sprachliche um' juristische Klarheit vorteilhaft auszeichnet, ist für die Lösung der Südtiroler Autonomiefrage formell zwar nicht maßgebend, denn in seinem Artikel zwei wurden für die vier Grenz-, beziehungsweise Inselgebiete Aostatal, Südtirol-Tren-tino, Sizi'lien, Sardinien ausdrücklich Sonderregelungen vorbehalten. Diese Sonderstatute sollen ähnlich wie die österreichischen Landesverfassungen einen Anhang zur Verfassung bilden. Aus den Verhandlungen der Unterkommission geht aber klar hervor, daß das Projekt Ambrosini eine Minimalgrenze für die den erwähnten vier Gebieten zu gewährenden Autonomien darstellt. Es ist anzunehmen, daß Inhalt und Form des Südtiroler Autonomiestatutes durch das Projekt Ambrosini, beziehungsweise die endgültigen Bestimmungen der italienischen Verfassung über die lokalen Autonomien beeinflußt werden wird. Vor allem ist klar, daß das Problem der Regional-Autonomie, das heißt Zusammenfassung mehrerer Provinzen zu einer autonomen Region, nicht nur eine Einzelfrage Südtirols und d-s Trentino ist, sondern ein allgemeines Problem für ganz Italien.

Die Südtiroler werden ihre Einstellung zur regionalen Autonomie davon abhängig machen, wie weit ihnen in dieser der Schutz und die Entfaltung ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Existenz als ethnischer Mehrheit in ihrem Heimatland gewährleistet wird. Ist dies der Fall, dann wird auch bei ihnen, wie in den übrigen italienischsprachigen Regionen“ Italiens Verantwortungsgefühl und Staatsfreudigkeit steigen. Einem wahrhaft demokratischen ItaBen werden die Südtiroler ihren konstruktiven Beitrag nicht verweigern, um so weniger, als das Vorbild zum Neuaufbau des italienischen Staatsgebäudes. Geschichte . und Geist aus österreichischer Verfassungsent-widdung, ihnen vertraut ist. Leider ist die zwischen Österreich und Italien vereinbarte Revision des O p t i o n s v e r t r a g e s Mussolini-Hitler bisher noch hinausgeschoben und dadurch Südtirol derzeit tatsächlich von einer aktiven Mitarbeit an dem italienischen Staate abgehalten. Leider ist Südtirol in der Verfassunggebenden Versammlung, der „Costituente“ nicht vertreten. Die Frage der Staatsbürgerschaft der großen Mehrheit der Deutsch-Südtiroler, -“ie 1939 nach ihrem leidvollen Kampfe gegen ihre Entnationalisierung auf Grund des Optionsvertrages Mussolini-Hitler für Deutschland optiert hatten, ist noch offen, weil die Revision dieses Vertrages gemäß dem letzten Abkommen zwischen Österreich und Italien noch nicht erfolgt ist. Es ist zu wünschen, daß dieses Hindernis für die aktive Mitarbeit Südtirols am italienischen Staatsaufbau bald beseitigt werde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung