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Ein osterreichischer Gesandter in Madrid?

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Wie man einst das Ottomanische Reich den „kranken Mann“ am Bosporus bezeichnete, so galt das Spanien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts als der „kranke Mann“ der lateinischen Völker.

Bas alte Spanien starb an seinem Imperium, das viel zu groß für die Kräfte des kleinen Mutterlandes, aber in vielen Dingen viel besser war, als man ihm später nachsagte. Nur ein spärlicher und trauriger Ersatz für die einstige Größe sind die Besitzungen in Afrika. Von dem einst größten Kolonialreich der Welt wurde Spanien das kleinste.

Der Tiefpunkt scheint mit dem Bürgerkrieg vor bald zwanzig Jahren erreicht worden zu sein. Seit damals steigt die Bedeutung Spaniens langsam, aber beständig. Die entscheidende Probe für das Regime war der zweite Weltkrieg. Gleich der Türkei hat es die spanische Diplomatie geschickt verstanden, sich bis zum letzten Augenblick aus dem Konflikt herauszuhalten. Dadurch rettete Spanien nicht nur seine Wirtschaft und seine innere Ruhe, sondern auch seine internationale Bedeutung. Heute ist es ein militärischer Verbündeter der NATO. Sem Ansehen in den mohammedanischen Ländern ist größer als jemals seit den großen Königen der beginnenden Neuzeit. Die kulturelle Verflechtung mit Lateinamerika ist im ' Wachsen. So rangiert heute Spanien, wenn schon nicht unter den großen, so doch unter den bedeutenden Mächten des atlantischen Raumes.

Die ursprüngliche internationale Aechtung des Regimes konnte nicht aufrechterhalten werden. Heute haben praktisch alle Staaten der westlichen Hemisphäre diplomatische Beziehungen mit Madrid aufgenommen. Dies ist auch durchaus logisch, da es einem souveränen Staat freistehen muß, welche Regjerungsform er sich wählt. Da Spanien nicht in den Fehler des nationalsozialistischen Deutschrands und des faschistischen Italiens verfiel, seine Regierungsform in den Dienst imperialistischer Machtausweitung zu stellen, besteht für die Umwelt, kein Grund, sich in spanische Angelegenheiten zu mischen.

Oesterreich gehört zu der kleinen Gruppe von Staaten, die mit Madrid keine Beziehungen unterhalten. Dieser Zustand ist in mannigfacher Hinsicht unverständlich und nachteilig. Unverständlich deshalb, weil die österreichische und spanische Geschichte jahrhundertelang engste Beziehungen aufwies. Das Haus Oesterreich ist ein integrierender Bestandteil hispanischer Geschichte. Es gibt nur wenige Länder in Europa, die, trotz räumlicher Entfernung, so enge geschichtliche Bindungen haben wie Spanien und Oesterreich. Nachteilig ist dieses Abseitsstehen aber, weil uns dadurch ein ständig an Wichtigkeit zunehmendes Medium zur iberoamerikanischen Welt verlorengeht. Aber auch deshalb, weil die Wirtschaft Spaniens im Aufbau begriffen ist und Oesterreich in mannigfacher Form sich diesem Aufbau als nützlich erweisen könnte.

Nun gibt es eine Reihe gewichtiger Einwände gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Spanien ist eine Diktatur. Die demokratischen Parteien verschiedener Richtung wurden und werden unterdrückt. Diesem Argument muß man aber entgegenhalten, daß Oesterreich mit einer Reihe von Diktaturen Beziehungen besitzt. Dazu gehören die Oststaaten, gewisse orientalische Staaten, aber auch einige von,Diktatoren regierte Länder in Mittel- und Südamerika. Nun könnte man aber den Standpunkt vertreten daß diplomatische Beziehungen mit Linksdiktaturen zum Teil unvermeidlich, zum Teil erträglicher seien als mit einem sogenannten faschistischen Land. Ganz abgesehen davon, daß alle diese Begriffe sehr verschwommen, juristisch unklar und meistens nur gefühlsmäßig sind, muß man daran erinnern, daß Oesterreich mit einem dem heutigen Spanien verwandten Regime, nämlich mit dem Argentinien des Generals Peron, seit langem Beziehungen aufgenommen hat. Ein anderef Argument verweist auf das Fehlen diplomatischer Beziehungen zwischen Amerika und einer so mächtigen Diktatur wie das heutige kommunistische China. Also sollen auch wir uns nicht um Beziehungen mit undemokratischen Staaten drängen. Dem ist jedoch wieder entgegenzuhalten, daß das Fehlen diplomatischer Beziehungen mit Peking nicht auf das dortige Regime, sondern auf die Klassifizierung Chinas als Aggressor seit dem Koreakonflikt zurückzuführen ist. Spanien hat sich aber keine Aggressionshandlungen zuschulden kommen lassen. Und schließlich wird auf den Alliierten-Rat verwiesen: gemäß Artikel 7 des Zweiten Kontrollabkommens dürfen wir Beziehungen zu Nichtmitgliedstaaten der Vereinten Nationen nur* mit einstimmiger Zustimmung des Alliierten-Rates aufnehmen. Das Veto nur einer der vier Mächte würde einen solchen Antrag der Bundesregierung zu Fall bringen. Nun ist aber ein solches Veto keineswegs sicher, es wurde weder bei Argentinien noch beim Nachbarland Spaniens, dem ebenfalls autoritär regierten Portugal, eingelegt. Aber auch wenn es eingelegt würde, bedeutet es doch einen großen Unterschied, ob Oesterreich darauf verweisen kann, daß es von sich aus alles getan hat, um diplomatische Beziehungen mit Spanien aufzunehmen, oder oh es nichts getan hat. Spanien gehört nun einmal zu dem, was wir unter Europa verstehen. Man kann das Regime ablehnen, man kann aber Spanien nicht übersehen. Das haben andere,, mächtigere Staaten bereits erkannt. Je früher wir es erkennen, desto besser.

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