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Gespräch mit Dr. Stomma

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FRAGE: Herr Abgeordneter, die Absage der polnischen Regierung an Papst Paul VI. hat große Erregung in der Welt hervorgerufen. Auch die Freunde Polens waren sehr enttäuscht. Noch nie seit 1956 wurde der heutige polnische Staat so negativ beurteilt. Wie denken Sie, Herr Professor, als Vorsitzender der katholischen Abgeordnetengruppe „Znak“ darüber?

ANTWORT: Die Absage hat auch in Polen in den Kreisen der katholischen Bevölkerung große Erbitterung ausgelöst. Ich bedauere, daß die Entscheidung der Regierung negativ war. Von seiten der polnischen Regierung wurde behauptet, daß die Lage für so einen neuen und kühnen Schritt noch nicht reif sei, daß man vorher die wichtigsten Probleme lösen solle, und man sagte, der Besuch des Papstes solle nicht am Anfang stehen. Natürlich kann ich nicht bestreiten, daß ein Besuch des Papstes in einem sozialistischen

Land sehr schwierige Fragen auf die Tagesordnung bringt. Wir sind und wir waren aber immer überzeugt, daß dieser Besuch einen

Durchbruch in der heutigen Lage bringen werde, und eben deshalb haben wir ihn so sehr gewünscht.

FRAGE: Herr Abgeordneter, wie sehen Sie die gegenwärtige Situation zwischen Kirche und Staat in Polen?

ANTWORT: Die Situation ist absolut unbefriedigend. Seit Herbst 1965 kann man von einer dauernden Krise in dieser Hinsicht sprechen.

FRAGE: Herr Abgeordneter, die Sejm-Abgeordneten der Gruppe „Znak", der ja Sie vorstehen, haben im Sejm eine Interpellation an die Regierung bezüglich des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat gerichtet. Wie ist diese Interpellation zu beurteilen?

ANTWORT: Bitte, betrachten Sie das als ein Zeichen unserer Ungeduld. Wir wollten dadurch der Regierung zur Kenntnis bringen, daß die heutige Lage in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat von der polnischen katholischen Bevölkerung als unerträglich betrachtet wird. Natürlich handelt es sich um eine zweiseitige Frage. Ein positiver Entschluß müßte auf beiden Seiten gefaßt werden.

FRAGE: Wie sehen Sie die Zukunft in dieser Frage?

ANTWORT: Ich habe schon gesagt, daß die Beziehungen Kirche-Staat in Polen jetzt vielleicht ihren Tiefstand erreicht haben. Niemals war die Lage so schlimm wie jetzt.

FRAGE: Seit 1956?

ANTWORT: Ja, seit 1956. Unter diesen Umständen würde es als Wagnis erscheinen, sich zum Optimismus zu bekennen. Dennoch wage ich es.

FRAGE: Herr Abgeordneter, wie können Sie diese Ihre optimistische Überzeugung begründen?

ANTWORT: Ich muß an die

Logik der geschichtlichen Entwicklung glauben. Ich kann nicht annehmen, daß die Welt überhaupt sinnlos geworden ist. Die heutige Spannung in Polen zwischen Kirche und Staat ist ein Anachronismus geworden. Dasselbe würde ich auch allgemein über den Konflikt zwischen dem christlichen Lager und den friedlichen Kräften im Marxismus sagen. Ein solcher Anachronismus kann doch nicht andauem, er muß bald ein Ende haben.

FRAGE: Herr Abgeordneter, können Sie das näher begründen?

ANTWORT: Sehen Sie, in einem Interview darf man nicht zuviel sprechen. Ich kann hier keinen Vortrag halten. Deshalb werde ich kurz manche Tatsachen nennen, die einen sehr bedeutenden Sinn haben, die einen symbolischen Sinn haben, aber auch eine sehr große Bedeutung in der realen Politik. Ich will hier den Besuch des Papstes bei den Vereinten Nationen in Erinnerung bringen und dann den Besuch von Außenminister Gromyko im Vatikan. Man kann diese Ereignisse als Symbol betrachten, aber sie besitzen auch ihre tatsächliche und konkrete Bedeutung und auch konkrete Folgen.

Überlegen Sie, bitte: Auf der einen Waagschale liegen so wichtige Probleme wie zum Beispiel der Weltfrieden und die Errichtung der neuen Welt ohne Kriege. Das ist schon an sich ein sehr großes und wichtiges Problem. Wie soll die Welt ohne Kriege aussehen? Dazu zählt auch die Überwindung des Hasses unter den Völkern und Rassen, dann Förderung der rückständigen Länder und Kontinente. Das sind alles wichtige Fragen der ganzen Menschheit, die die Mitarbeit aller vernünftigen und verantwortlichen Kräfte verlangen. Und was liegt auf der anderen Waagschale? Die veralteten „Dogmen“ und Vorurteile, zum Beispiel die Behauptung, daß Religion Opium des Volkes sei und daß die Religion zum Beispiel die zivilisatorische Aktivität der Menschen hemme und störe. Man braucht solche Überzeugungen nicht mehr zu widerlegen, sie sind einfach lächerlich geworden. Deshalb meine ich, daß man hier von einem Anachronismus sprechen soll.

FRAGE: Meinen Sie, daß eine Änderung im derzeit so gespannten Verhältnis Kirche—Staat in Polen in der nächsten Zukunft möglich wäre?

ANTWORT: Der Anachronismus ist so evident geworden, daß man schon die Geduld verliert. Dennoch: Große geschichtliche Umwandlungen brauchen viel Zeit. Eines ist für mich sehr wichtig: Man muß das verstehen und klarsehen. Diesmal handelt es sich nicht um einen taktisch vorübergehenden Kompromiß, sondern um eine tiefe historische Wandlung. Solche grundsätzliche Wandlungen können natürlich nicht von einem Tag auf den anderen geschehen. Das braucht Zeit. Ich möchte aber hier unterstreichen: Ich glaube, daß es sich diesmal nicht um taktische vorübergehende Kompromisse handeln darf, sondern um eine einer tiefen Wandlung entspringende Veränderung. Und deshalb ist die Geburt einer neuen Periode in den gegenseitigen Beziehungen so schwierig.

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