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Gleichgewicht der Spannungen

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Der neue Präsident von Mexiko tritt am 1. Dezember sein Amt an. Er heißt Luis Echeverria Alvarez, ist 48 Jahre alt und galt seit zwei Jahren als der aussichtsreichste Kandidat für den Präsidentenstuhl. Der mexikanische Präsident wird für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Er stellt sein Kabinett, die Minister und Staatssekretäre zusammen und ist von nun an für seine gesamte Amtsperiode höchste Autorität im Staate.

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Der neue Präsident von Mexiko tritt am 1. Dezember sein Amt an. Er heißt Luis Echeverria Alvarez, ist 48 Jahre alt und galt seit zwei Jahren als der aussichtsreichste Kandidat für den Präsidentenstuhl. Der mexikanische Präsident wird für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Er stellt sein Kabinett, die Minister und Staatssekretäre zusammen und ist von nun an für seine gesamte Amtsperiode höchste Autorität im Staate.

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Der Präsident selbst bestimmt die Außen- und die Innenpolitik des Landes. Senat und Repräsentantenhaus haben dazu ihre Zustimmung zu geben. Seine Minister haben wohl selbst auch eine gewisse Ent-scheidungswahl in ihren Ressorts, doch die großen Züge der Politik bestimmt der Präsident. Das Militär ist in Mexiko — im Gegensatz zu fast allen anderen lartemamerikafiischen Staaten — kein Machtfaktor und auch die Generäle werden vom Staatsoberhaupt ernannt. Allerdings, schließt die Verfassung ei»« Wiederwahl aus.

Die Präsidenten gehen alle aus der PRI hervor. Diese Partei. (Partido Revolucionärio Institutional) ist die staatstragende Partei. Seit mehr als vierzig Jahren zeichnet sie für die erstaunliche Stabilität und für die noch erstaunlichere Modernisierung des Landes verantwortlich. Um aber diese so sorgsam gehütete Stabilität aufrecht erhalten zu können, muß mit unglaublich unorthodoxen Methoden gearbeitet werden. So sagt der brillante Ghefökonom Mexikos, Victor Urquidi: „Wir müssen bis 1985 das Bruttosozialprodukt verdoppeln, und dies ist ein Minimalprogramm.“ Der neue Präsident wird nun dafür die nötigen Entscheidungen zu fällen haben. Industrialisierung allein wird nicht genügen. Mexikos permanente Revolution benötigt eine Verjüngungsspritze.

Luis Echeverria Alvarez wurde am 17. Jänner 1922 in Mexiko-City geboren. In dieser Stadt besuchte er die öffentlichen Schulen, später die Universität und beendete im August 1945 sein Studium als Rechtsanwalt. In Anbetracht seiner Familie und des Milieus, in dem er Kindheit und Jugend verbrachte, könnte man behaupten, er sei für eine Lehrtätigkeit wie geschaffen gewesen. In den ersten Jahren seiner Berufstätigkeit las er denn auch Allgemeine Theorie des Staates am Mexikanischen Juridischen Institut. Er wurde als Mitglied des PRI stellvertretender Sekretär des Präsidenten des Parteikomitees für den Buindesdistrikt, und kurz darauf, als sein Vorgesetzter im Dezember 1946 zum Präsidenten des Nationalen Komitees dieser Partei ernannt wurde, arbeitete er als sein Privatsekretär. Echeverria hat jedoch nicht nur rein politische, sondern auch rein administrative Tätigkeiten ausgeübt, wie die Führung des Marineministeriums und später des Unterrichtsministeriums. Jahre später gelangte er zur Führung des Innenministeriums. Echeverria ist nun der Mann, den Bauern, Arbeiterorganisationen und Volksvertreter zum Kandidaten der Institutionellen Revolutionspartei aufstellten und der am 5. Juli für die

Jahre 1970 bis 1976 vom mexikanischen Volk zum Präsidenten der Republik gewählt wurde. Er ist ein echtes Kind des Mittelstandes, der ja zu allen Zeiten und in allen Ländern das Streben des Volkes nach wirtschaftlicher Besserung vorangetragen hat. Als Sohn einer bescheidenen Lehrerfamilie ist er zugleich selbst Vater einer großen Familie. Er weiß, daß man „in der Politik die Dinge entweder wollen oder nicht wollen muß, und zwar mit allen daraus entstehenden Konsequenzen“, daß in der Wirtschaft die Ergebnisse immer zahlenmäßig bewertet werden und daß es keinen Wirtschaftsfachmann gibt, der nicht in mathematischen Begriffen denkt. Außenpolitisch wird der neue Präsident auch weiter den Integrationsgedanken der ALÄLC (Gemeinsamer Lateinamerikanischer Markt) verfolgen. Seine wirklich großen Aufgaben aber liegen heute in der Innenpolitik. Die unglaubliche Bevölkerungsexplosion fordert die Schaffung von etwa einer halben Million neuer Arbeitsplätze pro Jahr. Die Alphabetisierung muß auch in den von der Hauptstadt entfernt liegenden Gemeinden fortgeführt, werden. Die Hebung des Lebensstandards der ärmeren Schichten der Bevölkerung geht damit Hand in Hand.

Der Aufenthalt des neuen Präsidenten in Südamerika machte ihn, wie schon gesagt, zum Anhänger des lateinamerikanischen Integrationsgedankens, seine Teilnahme am UNO-Kongreß für Sozialfürsorge, der 1960 in Großbritannien stattfand, erweckten in ihm Sympathien für den englischen Lebensstil, seine Reisen in verschiedene Länder Europas machten ihn mit den vielfachen Problemen dieses Erdteils ' bekannt. Luis Echeverria gehört zu jenen Männern, für die gilt, was D. Marshall im 18. Jahrhundert in England schrieb: „Stabilität ist das Ergebnis eines Gleichgewichts der Spannungen, nicht das Ergebnis der Trägheit.“

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