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Im Vorfeld der abendlandischen Kultur

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Es wird sowohl in der Geschichtsschreibung, wie auch in der ganzen Publizität zu wenig davon erwähnt, was die Völker des ostmitteleuropäischen Raumes durch die Jahrhunderte zu leiden hatten und wie sie dadurch In ihrer normalen Entwicklung gehemmt wurden. Man wundere sich nicht, daß diese Grenzwächter Europas sich mit ihren größeren und glücklicheren Brüdervölkern aus dem Westen in vielen Beziehungen nicht messen können: dieser Abstand ist der Preis, um den Europa sein Kulturgut hat behalten und weiterbilden können. In einem erbitterten Kampf haben sie durch Jahrhunderte ihre eigene Unabhängigkeit, ihren christlichen Glauben und zugleich Europa selbst verteidigt. Und wenn sie dem überwältigenden Angreifer zum Opfer fielen, dann gaben sie ihm weiter viel zu schaffen. Dieser ununterbrochene Kampf und später die Auflehnung gegen die unterdrückende Herrschaft beziehungsweise Oberherrschaft, die jedesmal blutige Repressalien nach 6ich zogen, haben in den Völkern Mittelosteuropas tiefe Spuren hinterlassen.

Drei Umstände trugen besonders dazu bei, daß die Rumänen unter denjenigen Völkern waren, die am meisten unter den Brandungen der kulturfeindlichen Kräfte des Ostens zu leiden hatten. Erstens war die geographische Lage der rumänischen Länder derart, daß sie allen eroberungslüsternen Völkern Asiens den besten und natürlichsten Weg nach Rom' und nach Westeuropa boten. Nicht weniger hat eine zweite Ursache dazu beigetragen, und zwar die Üppigkeit, die in diesen von Gott so reich gesegneten — aber aus demselben Grunde auch so schwer heimgesuchten — Ländern herrschte. Ein dritter Umstand, welcher zur späteren (XVII. bis XVIII. Jhdt.) politischen und kulturellen Dekadenz des rumänischen Volkes beitrug, ist die Zugehörigkeit zur griechisch-orthodoxen Kirche. Dadurch, daß ihr die einheitliche Führung fehlte, war letztere ein nicht so bedeutender Faktor im Spiel der Kräfte wie die römische Kirche. Wenn die Rumänen römisch-katholisch gewesen wären, hätten sie sich von Seiten der katholischen Welt eines größeren Interesses sowie vielleicht eines wirksameren Beistandes In ihrem verzweifelten Kampf um die Bewahrung ihrer Unabhängigkeit und ihres Glaubens erfreut. Die Glaubensgemeinschaft mit dem Abendlande hätte außerdem zweifellos einen regeren Verkehr der europäischen Kultur mit der in den rumänischen Fürstentümern mit sich gebracht. Dieser Verkehr hätte eine frühzeitige Befruchtung der erwachenden rumänischen Kultur zur Folge gehabt, was an sich auch eine frühzeitige, starke rumänische Kultur sowie ein stärkeres Bewußtsein der Zugehörigkeit zu Europa bewirkt hätte.

Dies waren die Umstände, die den Kämpfen der Rumänen gegen den Islam von vornherein eine ungünstige Grundlage gaben und die den Keim des tragischen Ausgangs bereits in sich bargen.

Kaum waren sie staatlich gebildet, als die Rumänen die größte Gefahr, die Europa jemals bedroht hat, kennenlernen mußten. Nachdem Byzanz, das größte Bollwerk der Christenheit im Osten, gefallen war und auch die Balkanhalbinsel in den Händen der Türken war, waren nunmehr die nächsten Hindernisse im Siegeszug des Halbmondes nach Westen die rumänischen Fürstentümer. Nun war die Reihe an ihnen, Europa zu verteidigen. Und sie taten ihr Bestes. In einem über einhundertjährigen Krieg gelang es den rumänischen Fürsten, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, indem sie den Brandungen des sich in ständigem Wachstum befindenden Osmanischen Reiches Einhalt geboten.

Es ist wahr, daß die Rumänen diesen erbitterten Kampf an erster Stelle führten, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren, aber dadurch war ihr Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung Europas nicht minder groß. Sie waren sich auch ihrer Sendung in diesem gemeinsamen Kampf bewußt, was ihren Taten einen noch größeren Wert, verleiht. Ein Beweis dafür ist die Botschaft Stephan des Großen an die Könige und Fürsten Europas (25. I. 1475). Diese Botschaft, die er gleich nach seinem großen Sieg zu Vaslul sandte, verleiht dieser großen Tat einen noch größeren Sinn.

.Unser Land“ — schreibt Stephan — „Ist das Tor der Christenheit, welches Tor durch den Willen Gottes bis heute bewahrt blieb. Dennoch, wenn dieses Tor verlorenginge — Gott bewahre uns da-vorl —, wäre die ganze Christenheit von einer großen Gefahr bedroht.“ In derselben Botschaft forderte Stephan auch direkte Unterstützung. Diese kam aber nicht. Die westlichen Staaten waren zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um dafür Zeit zu haben. Die Kräfte, die Europa für seine Verteidigung hätte so dringend brauchen können, verschwendete man in Bruderkriegen und in den endlosen Fehden, die das Zeitalter charakterisieren. Leider war immer die Uneinigkeit des Westens den Ländern aus dem nahöstlichen Raum Europas zum Verhängnis, da diese sich allein schwer und nicht lange verteidigen konnten, so daß sie früher oder später den Angreifern zum Opfer fielen. Natürlich hatte das immer eine Rückwirkung auf den Westen, da er — durch den Fall der den ersten Verteidigungswall bildenden Staaten — einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt war. So geschah es auch mit den Türken: nachdem die Donaufürstentümer erledigt waren und als nach der unglückseligen Schlacht zu Mohics auch Ungarn keinen Widerstand mehr leisten konnte, begannen sie bereits das Römische Reich Deutscher Nation direkt zu bedrohen, bis sie dann schließlich bis zu den Toren Wiens kamen.

Der Westen begann nun die Gefahr aus eigener Erfahrung kennenzulernen. Die mit dieser Fühlungnahme verbundenen Leiden waren aber nur ein Schatten gegenüber den von den Völkern Ostmitteleuropas gebrachten Opfern.

Die unendliche Reihe der Leiden, die das rumänische Volk durch seinen Fall unter die osmanische Oberherrschaft zu tragen hatte, haben in jeder Hinsicht (nebst blutigen Opfern an Menschen) auch katastrophale Folgen in politischer, wirtschaftlich-sozialer und kultureller Hinsicht gehabt, die sich bis in die jüngste Zeit hinein in der Struktur des Volkes verderbend auswirken sollten.

Politisch sinken die rumänischen Fürstentümer — welche eigentlich wegen der ewigen Unsicherheit in diesem Raum nicht einmal in ihrer Blütezeit (Ende XIV. bis Mitte XVI. Jhdt.) die staatliche Reife erreichen konnten wie ihre westlichen und nördlichen Nachbarn — immer mehr herab. Parallel mit dieser politischen Dekadenz erscheint als Folge des Verfalls der Donaufürstentümer unter osmanische Oberherrschaft eine organisierte Aussaugung ihrer wirtschaftlichen Kräfte zugunsten der Pforte, wobei der Tiefpunkt der politischen Dekadenz mit dem des wirtschaftlichen Elends zeitlich zusammenfällt. Die Fürsten — Fürsten nur dem Namen nach — sind eigentlich im XVIII. Jahrhundert lediglich Finanzbeamte der Pforte, welche nur ein Ziel haben: durch untragbare Steuern möglichst viel Geld aus dem armen Volk herauszupressen. Die Folge davon: gänzliche Verarmung der unteren und Verschwinden der mittleren Schicht.

Obwohl nicht so akut spürbar wie die vorangehenden zwei Aspekte, ist die kulturelle Dekadenz des rumänischen Volkes in dieser Epoche von allen diesen drei Folgen der türkischen Oberherrschaft die weitaus verhängnisvollste. Das rumänische Volk wird immer mehr in den Bann des Orients gezogen, und in dieseT ungünstigen Atmosphäre erstickt die unter den großen Woiwoden im Aufblühen begriffene rumänische Kultur, während die Fäden, die nach Westen führten, abreißen. Besonders am Beispiele des kläglichen Zustandes dert rumänischen Städte am Ende des 18. Jahrhunderts kann man beobachten, .wie verderbenbringend für die abendländische Cultur die osmanische Herrschaft sich erwies, wie unter dem ehernen Tritte dieser Barbaren alle Blüthen eines höheren Cul-turlebens hinwelkten“, (v. Zieglauer, Geschichtliche Bilder aus der Bukowina zur Zeit der österreichischen Occupation; Dargestellt im Spiegel. der Denkschriften des commandierenden Generals Freiherr von Enzenberg, Czernowitz 1893, Seite 37 — 38; in den obigen Ausführungen bezieht sich Zieglauer auf Suczawa, dem alten Sitz der moldauischen Fürsten.) Das Zeitalter der rumänischen Wieder-erwachung (Anfang XIX. Jhdt.) findet das Rumänentum in einem Rückstand von 200 Jahren gegenüber dem Westen.

Das war der traurige Epilog jenes heldenhaften Kampfes, den die Rumänen in ihrer glorreichen Epoche geführt hatten.

Natürlich war das Rumänien nicht der einzige Verteidiger Europas und nicht derjenige, der die Gefahr endgültig beseitigte. Die Beseitigung der osmanischen Gefahr erfolgte nicht durch ein Volk und nicht in einer Schlacht. Sie erfolgte erst nach vielen Anstrengungen (darunter auch Mißerfolgen) und Opfern und jeder, der an diesen teilgenommen hatte — gleichgültig, ob er siegte oder unterlag —, trägt einen Teil des Verdienstes, die Gefahr beseitigt zu haben, einen Teil des Verdienstes, den Westen — diese Wiege unserer gemeinsamen abendländischen Kultur — gerettet und damit dieser eine ruhige Entwicklung gesichert zu haben. So trägt auch das rumänische Volk seinen gerechten Teil an der Ehre, die Kultur des Abendlandes geschützt und vor dem Untergang bewahrt zu haben.

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