Israel - © Foto: APA / AFP / Jack Guez

Justizumbau in Israel: „Mit den Gerichten fängt alles an“

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Wochenlange Massenproteste konnten die Justizreform Benjamin Netanjahus in Israel vorerst stoppen. Warum sie so gefährlich ist, erklärt Rechtsstaatsexperte Amir Fuchs im Interview.

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Wochenlange Massenproteste konnten die Justizreform Benjamin Netanjahus in Israel vorerst stoppen. Warum sie so gefährlich ist, erklärt Rechtsstaatsexperte Amir Fuchs im Interview.

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Demokratie ist kein Selbstläufer: Das weiß Amir Fuchs nur zu gut. Bis 2011 hat er für das israelische Justizministerium gearbeitet, nun forscht und lehrt er am Zentrum für Demokratische Werte und Institutionen des unabhängigen Israel-Demokratie-Instituts (IDI) in Jerusalem. Wie schätzt er die Gefährdung der Demokratie durch den von der rechtsreligiösen Regierung geplanten Justizumbau ein? DIE FURCHE hat mit ihm gesprochen.

DIE FURCHE: Premierminister Benjamin Netanjahu hat zwar sein Gesetzesvorhaben zum umstrittenen Justizumbau ausgesetzt, doch bereits im April könnte es wieder auf die Tagesordnung kommen. Zudem hat Netanjahu dem rechtsextremen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir die Einrichtung einer Nationalgarde zugestanden. Hunderttausende Demonstranten gehen in Israel wegen beidem weiter auf die Straßen. Sie fürchten, dass unter anderem das Oberste Gericht marginalisiert oder entmachtet wird. Warum steht dieses Gericht im Zentrum der Aufmerksamkeit?
Amir Fuchs: Das Oberste Gericht ist zentral wegen seiner Bedeutung für das politisch-juristische System Israels. Wir Israelis verfügen zum einen über Grundgesetze, die das Oberste Gericht als Quasi-Verfassung begreift. Sie dienen seit 1995 als Grundlage der gerichtlichen Prüfung der Knesset, des Parlaments, durch das Oberste Gericht. Wichtig ist, dass die Grundgesetze relativ einfach zu verändern sind. Das ist keine bloße Theorie. Sie wurden bereits mehrfach angepasst oder erweitert. Zum anderen ist da die gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane, das, was man Checks and Balances nennt. Im parlamentarischen System Israels gibt es keine klare Trennung zwischen Exekutive und Legislative. Die Regierung verfügt immer über eine Mehrheit in der Knesset. Tut sie es nicht, kommt es zu Neuwahlen. Das Parlament untersteht sozusagen der Regierung. Nur die Judikative, an erster Stelle das Oberste Gericht, kann die Regierung unabhängig kontrollieren. Was die Exekutive überproportional mächtig macht, ist aber auch, dass wir es in Israel nicht mit einem föderalen System zu tun haben. Es gibt de facto nur einen großen Wahlkreis: Zwar ist Israel ein kleines Land, doch die Bevölkerung ist mit neun Millionen Einwohnern recht groß. So vereint die Zentralregierung enorm viel Macht auf sich. Und dann ist da noch die Tatsache, dass supranationale Organisationen und internationale Gerichte wie der Internationale Strafgerichtshof oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keinen oder kaum Einfluss auf die israelische Regierung haben. Es bleibt also nur das Oberste Gericht.

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