K.u.k.-Hoffart gegenüber Provinz

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Slowenien musste im Gegensatz zu anderen Ländern zuerst einmal ein Staat werden. Dass dieser Schritt gelungen ist, davon ist Milan Kucan überzeugt.

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Slowenien musste im Gegensatz zu anderen Ländern zuerst einmal ein Staat werden. Dass dieser Schritt gelungen ist, davon ist Milan Kucan überzeugt.

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die furche: Herr Präsident, in einer Ihrer Reden im Sommer 1990 haben Sie gemeint: "Es gibt eine Zeit des Krieges und eine Zeit des Friedens." Das war damals ziemlich prophetisch. Was würden Sie heute sagen?

Milan Kucan: Das war eine Zeit großer Entscheidungen und Ideen, und die Zeit großer Taten. Das rechtfertigte auch diese großen und pathetischen Worte. Die Worte, die Sie zitieren, habe ich im Bestreben gesagt, eine gemeinsame Sicht der tragischen slowenischen Geschichte während des zweiten Weltkrieges zu suchen. Vom Gesichtspunkt der Entstehung des slowenischen Staates scheinen meine Worte zu den Feierlichkeiten der Ausrufung der Unabhängigkeit am 25. Juni 1991 bedeutungsvoller zu sein: "Heute sind Träume erlaubt, morgen ist ein neuer Tag." Ich wollte damit ausdrücken, dass auf den jungen slowenischen Staat harte Arbeit wartet. Dass die Arbeit, die davor getan wurde, sehr wichtig, aber nicht ausreichend war.

Jene Arbeit, die wir seit damals geleistet haben, zeugt von Verantwortung und immer neuer Begründung unserer Entscheidung für einen selbständigen slowenischen Staat. Wir müssen unsere Entscheidung vor der Geschichte und den Generationen, die sich den slowenischen Staat seit 1848 gewünscht haben, und vor der Zukunft und den Generationen, die nach uns kommen, immer neu begründen. Aber auch vor uns selbst und unseren Freunden in der Welt, die die Unwiderruflichkeit des Zersetzungsprozesses des damaligen Jugoslawiens verstanden und uns mit Argumenten in unserem durchgesetzten Selbstbestimmungsrecht unterstützt haben.

Aufgrund der besonderen Umstände der Staatsgründung haben wir eine sehr starke emotionale Bindung zu unserem Staat. Deshalb sind wir feinfühlig was gutgemeinte oder nicht gutgemeinte Beurteilungen von außen betrifft: Für das, was wir getan haben, was wir heute mit unserem Staat machen und in Zukunft tun werden. Besonders was Beurteilungen von jenen betrifft, die ihren Staat nicht durch einen solchen Kreuzweg wie die Slowenen bekommen haben.

die furche: Wann und warum überwog Ihre Entscheidung für die Unabhängigkeit Sloweniens von Jugoslawien?

Kucan: Historisch betrachtet war Jugoslawien ein künstliches Gebilde. Es wurde nach dem Fall der großen Imperien, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gegründet. Es hatte damals seine eigene historische Begründung und Rechtfertigung. Aber es sollte wie jedes andere ähnliche Gebilde - zum Beispiel die Tschechoslowakei - in neuen historischen Verhältnissen beweisen, dass es eine Existenzberechtigung hat.

Mit der Ideologie, auf der es nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, mit der fehlenden Bereitschaft, den demokratischen Prozessen in Europa zu folgen und sich der Welt zu öffnen, wirtschaftlich, politisch und wertmäßig, wurde Jugoslawien mehr und mehr anachronistisch. Mit dem zunehmend scharfen Widerspruch innerhalb Jugoslawiens war die Entwicklung und Existenz jeder Bevölkerungsgruppe gefährdet. Das Gefüge des Staates, zusammen mit der ideologischen Struktur totalitärer prämoderner Regime, half dem großserbischen Nationalismus, der den Vielvölkerstaat den eigenen hegemonistischen Interessen unterordnete.

Der grundsätzliche Konflikt in Jugoslawien bestand zwischen dem totalitären und dem demokratischen Konzept für die Zukunft, zwischen Autarkie und Offenheit nach außen. Die Slowenen suchten Auswege: Zuerst mit einem Vorschlag zur Reform des Bundesstaates, dann mit einem Staatenbund und schlussendlich mit der Auflösung Jugoslawiens auf friedvolle Weise. Alle diese Vorschläge wurden arrogant abgelehnt. Was für uns übrig blieb, war die Entscheidung, das Selbstbestimmungsrecht und das Prinzip des freien Willens - durch das Jugoslawien ja entstanden war - geltend zu machen.

Die später ausgebrochenen nationalen und religiösen Konflikte zwischen den Völkern, besonders die Kriege gegen Kroatien, Bosnien und die Herzegowina, die Konflikte im Kosovo und jetzt in Mazedonien, sind nur die Konsequenz und der erforderliche Weggefährte dieses grundsätzlichen Konfliktes.

die furche: Wie beurteilen Sie die Entwicklung Sloweniens in den letzten zehn Jahren? In welchen Bereichen war es erfolgreich, wo weniger?

Kucan: Bedenkt man, dass der slowenische Staat unter den Umständen des neuen europäischen Frühlings, des "Postkommunismus" und durch den großen Konsens des slowenischen Volkes und Staatsbürger mittels einer Volksabstimmung gegründet wurde, ist das Umdenken sicher der größte Erfolg, der die Entstehung des neuen Staates ermöglicht hat. Neben den praktischen Aufgaben, die mit der Errichtung der vollständigen Staatsstruktur, wie Verteidigung, Sicherheit, Diplomatischer Dienst, Zoll, Polizei, Finanzwesen, etc. verbunden sind, war dieses Umdenken von zentraler Bedeutung. Der Übergangsprozess konnte dadurch beginnen und großteils erfolgreich abgeschlossen werden. Wir konnten anspruchsvolle politische und wirtschaftliche Reformen erfolgreich zu Ende führen und was für mich das Wichtigste ist: Es begann sich das System der Werte, der positiven Überlieferung europäischer demokratischer Traditionen zu verfestigen. Das sind jene Werte, die wir uns wünschten, als wir den Weg aus der tiefen Krise suchten, in die Jugoslawien gefallen war.

Es ist schwierig, Vergleiche zu anzustellen, aber Slowenien musste neben den ehemaligen Ostblockländern einen Schritt mehr machen. Slowenien musste seinen eigenen Staat erst schaffen, ihn mit Krieg verteidigen und dessen Konsequenzen sowie den Verlust des sehr wichtigen Marktes Ex-Jugoslawiens verarbeiten. Diesen "Schritt mehr" können wir als Erfolg werten, welcher auch zu der inneren Integration und zur Stabilität der slowenischen Gesellschaft beigetragen hat.

Nicht erfolgreich waren wir bei der Entscheidung, wieviel Platz wir der Vergangenheit in unserem gegenwärtigen und zukünftigen Leben einräumen. Die Vergangenheit - der Zweite Weltkrieg und danach - wird in den aktuellen innenpolitischen Konfrontationen zu häufig benutzt. Das lähmt unser begrenztes Potenzial und unsere Kräfte. Diese braucht Slowenien aber für den anspruchsvollen Weg in die Zukunft, besonders zur Realisierung der schlüsselstrategischen Bestimmungen Sloweniens: die Einordnung in die EU und die Nato.

die furche: Internationale Finanzeinrichtungen bewerten Slowenien als das erfolgreichste aller "Übergangsländer" (transition countries). Erachten Sie den Begriff "Transition" als inhaltlich zutreffend?

Kucan: Das Wort an sich sagt so viel aus wie Postkommunismus. Das ist eine Art ideologischer Beschreibung für die Zeit nach jener Periode, in der auf destruktive Weise die sozialistische Verteilung der Güter zusammen mit hohen Prinzipien der Gerechtigkeit eingeführt wurde. Aber diese soziale Ordnung war ohne demokratische Selbsterhaltungskraft und insbesondere ohne Wettbewerbsfreiheit. Darum versäumte Slowenien entwicklungsmäßig einiges, wenn ich es etwa mit Österreich vergleiche.

Aber das ist eine Erfahrung mehr: Es waren die sozialen Utopien, die wir am eigenen Leib erfahren haben. Aus dieser Ideologie auszusteigen, ist nur mit enormer intellektueller und tatkräftiger Anstrengung möglich. Slowenien hat das erfolgreich bewältigt, ohne seine nahe Vergangenheit und dadurch sich selbst zu verleugnen. Sogar mehr noch, Slowenien hat aus dieser Zeit ein feines Gefühl für Gerechtigkeit und für Menschenwürde mitbekommen, das Recht anders zu sein, den starken Wunsch für industrielle und politische Teilnahme und einen stark entwickelten, individuellen Ideenreichtum.

die furche: Wie bewerten Sie Sloweniens Annäherung an den Prozess der europäischen Integration?

Kucan: Die erforderlichen Daten zur Erfüllung der Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft sind wirklich günstig. Ich glaube, dass Slowenien zusammen mit den ersten Aufnahmekandidaten in die EU eintreten wird. Wir bereiten auch gewissenhaft die nötigen Reformen der Staatsverwaltung vor. Tatsache ist aber, dass die schnelle Implementierung von zahlreichen neuen Vorschriften in unsere Lebensweise eingreifen wird. Abgesehen von den Vorteilen ist es sehr wahrscheinlich, dass man dadurch ein bisschen eingeengt wird, wie bei einem neuen, maßgeschneiderten Kleid. Aber das wird nicht das angenehme Gefühl beeinflussen, dass sich Slowenien im Rahmen der EU durchsetzen und seine religiöse, politische und wirtschaftliche Freiheit und Anschauung auch dort absichern wird.

die furche: Was wird Slowenien als EU-Mitglied bekommen und was verlieren?

Kucan: Slowenien wird alles bekommen, was ein Staat in einer Welt mit globalem Wettbewerb und globaler Denkweise ohne Staatsgrenzen braucht. Es wird mit allen Rechten und Pflichten ein Teil des europäischen Kontinents werden, der fähig ist zu kooperieren, und im Wettbewerb mit anderen entwickelten Zentren der modernen Zivilisation steht. Slowenien wird als Teil des europäischen Eliteklubs fähig sein, etwas zur Vornehmheit beizutragen, ohne welche Europa keine Chance hat, zu seiner früheren Bedeutung in der Welt zurückzukehren, auch wenn diese Welt nie mehr eurozentristisch sein wird.

Slowenien wird nicht viel verlieren, allerdings wird es auf die seit kurzem erlangte und schwer errungene Souveränität verzichten müssen, was schmerzvoll sein wird. Es wird auf einen Teil seiner Identität verzichten müssen. Aber sogar hier hat Slowenien Erfahrung. Kulturelle Gegenüberstellungen und auch Spannungen mit Belgrad lehrten Slowenien Selbstbewusstsein und innere Festigkeit, und dass man die Herausforderung als einen Wettbewerb annehmen soll, wenn man bestehen will.

die furche: Gemäß Meinungsumfragen sank die Zustimmung für einen EU-Beitritt in den letzten Jahren leicht. Was sind die Gründe dafür?

Kucan: Die große Befürwortung einer EU-Mitgliedschaft vor zehn Jahren drückte den allgemeinen Willen der Slowenen aus, jene Gewichte loszuwerden, die sie weg von Mitteleuropa hin zum Balkan zogen haben und sich dem modernen Europa anzuschließen. Auch alle späteren Meinungsumfragen bestätigten diese Entschiedenheit, obwohl auch die kritische Distanz wuchs, was für Slowenen sehr typisch ist. Es gibt einige konkrete Mängel, über welche Slowenen nachdenken, bevor sie - aber ich zweifle nicht daran -, für einen EU-Beitritt stimmen. Da waren zum Beispiel verschiedene Bedingungen von Nachbarländern, die viele als Druck auf Slowenien verstanden haben.

Ab und zu fühlt sich Slowenien zwischen dem stabilen Europa und den Krisenbrennpunkten auf dem Balkan wie eine Geisel. Aber das bedeutet nicht, dass man sich davon abhalten ließe, der EU beizutreten, sondern, dass die ehemalige Euphorie immer mehr durch eine rationale Haltung ersetzt wird. Dadurch wird es umso weniger Enttäuschungen geben und umso mehr aktive Kooperation durch das Formen und Geltendmachen der allgemeinen, in diesem Fall europäischen Werte. Ohne allgemeine Werte kann keine Integration erfolgreich die furche: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Slowenien und Österreich während der letzten zehn Jahre?

Kucan: Wegen einiger schwer zu verstehender politischer Handlungen ist es manchmal schwierig, den roten Faden in den letzten zehn Jahren der Beziehung zwischen Österreich und Slowenien zu finden - aber er existiert. Österreich hat Slowenien in seiner Unabhängigkeit entschlossen unterstützt und Slowenien auch geholfen. Auch derzeit beteuert Österreich seine Unterstützung für Sloweniens EU-Beitritt. Kapital aus Österreich ist heute bei uns der größte ausländische Investor, und Österreichs Bankwesen ist in der slowenischen Wirtschaft sehr einflussreich.

An diesem freundlichen roten Faden hängt aber auch Negatives: zum Beispiel das Verhältnis Österreichs zur slowenischen Minderheit - hie und da ein Fall der k.u.k.-Hoffart gegenüber der südlichen Provinz, aber auch ein überliefertes Minderwertigkeitsgefühl. Sogar von hohen österreichischen Politikern fliegen solche ungebildeten und scharfe, ideologisch veraltete Pfeile, welche den positiven roten Faden annagen könnten. Aber dieser bleibt glücklicherweise derzeit unberührt. Ich glaube, dass uns das gemeinsame Leben in der EU mehr verbinden wird und wir strategische Partner in vielen gemeinsamen Fragen werden, ohne dass einer über den anderen Vorrang hat.

die furche: Glauben Sie, dass die periodisch wiederkehrenden Statements österreichischer Politiker betreffend der Aufhebung der AVNOJ-Dekrete und die Forderungen, das Atomkraftwerk Krsko zu schließen, ein Zeichen für eine längerfristige Wende der österreichischen Politik gegenüber Slowenien sind?

Kucan: Ich glaube nicht an eine solche Wende. Das wäre nicht rational. Einige Bemerkungen, sogar Druck, interpretiere ich mehr als fehlender Wille - zusammen und nicht jeder für sich selbst - einen ehrlichen Blick in die Vergangenheit zu machen. Um auch zu messen, bis wohin wir gekommen sind und vielleicht herauszufinden, was wir in der derzeitigen Situation und gemäß den heutigen Kriterien neu aufbauen könnten, ohne alte Geister zu rufen.

Die AVNOJ-Dekrete sind Teil der Nachkriegsordnung der Alliierten. Die Beschlüsse dieses antifaschistischen Textes des Jahres 1943 sind auch in den Fundamenten der slowenischen Eigenstaatlichkeit eingebaut. Es gibt keinen Weg zurück in die Geschichte, nicht einmal zurück zum Zweiten Weltkrieg und es gibt keine neue Festlegung der Sieger. Aber es gibt einen Weg vorwärts, auch für die Rechte österreichischer Slowenen und slowenischer Staatsbürger deutscher Abstammung in Slowenien. Es ist daher ein kulturelles Abkommen zwischen Österreich und Slowenien kurz vor der Unterzeichnung.

Das Atomkraftwerk Krsko entspricht ohne Zweifel allen Sicherheitsanforderungen, nicht weniger als andere, die nahe der österreichischen Grenze im Westen stehen, aber diese stören manche österreichische Politiker um einiges weniger als das slowenische Kraftwerk. Darum denke ich, dass einige Forderungen und Vorwürfe gegenüber Slowenien keine berechtigte Grundlage haben und es mit gemeinsamen Willen möglich sein wird, diese zu überwinden, wenn wir uns gegenseitig respektieren und gegenseitige Interessen anerkennen.

Die Fragen stellte Goran Tenze. Übersetzung: Goran Tenze und Monika Kunit

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