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Mit dem Kakao fing es an

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Wenn man von Akkra nach Norden, ins Innere des jungen Negerstaates Ghana, fährt, gelangt man bald in das Land der Kakaobäume, in die Heimat des stolzen Volkes der Aschanti; eine Nation mit ruhmreicher, kriegerischer Vergangenheit, die Jahrhunderte hindurch weite Gebiete an den Gestaden des Golfs von Guinea beherrschte und andere Völker erzittern machte. Heute ist aus dem Kriegervolk ein Volk der Kakaopflanzer geworden, das durch das Schwanken der Kakaopreise auf dem Weltmarkt am eigenen Leibe verspürt, wie sehr es von außen abhängig ist. Trotz dieses Verknüpftseins mit der modernen Welt und des merklichen Einflusses europäischer Zivilisation haben es die Aschanti verstanden, ihre altehrwürdigen Stammestraditionen mit in das 20. Jahrhundert herüberzuretten. Noch immer verfügen die Stammesfürsten und -könige über große Macht und gewaltigen Einfluß, noch immer sind alte Sitten und Bräuche nicht vergessen, noch immer gilt der oberste König der Aschanti, der Asantahene, als sakrosanktes Oberhaupt aller Stammesfürsten. Das Symbol seiner königlichen Macht, der „Goldene Stuhl“, wird an einem streng geheimgehaltenen Ort aufbewahrt und nur selten öffentlich gezeigt.

Die den Aschanti heiligen Traditionen werden heute durch die Politik der Regierung des jungen Staates Ghana gefährdet, die sich in erster Linie auf die verproletarisierten Negermassen der großen Städte im Süden des Landes stützt. Die Aschanti stellen etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung von Ghana dar und sehen sich durch eine Mehrheit, deren Vertreter keinen Respekt vor Minderheiten zu zeigen scheinen, um das Mitspracherecht im Staate gebracht. Dr. Nkrumah weiß genau, daß er die Autorität der Aschantifürsten zerstören muß, will er seine gefährlichste Opposition eliminieren und die Macht ganz an sich reißen. Das Stammessystem wird daher als rückständig bezeichnet, da es angeblich verhindere, daß dem Volk der Aschanti die Segnungen des Fortschrittes zuteil werden! Wie sieht es nun tatsächlich aus?

Die Interessen der Aschanti werden im Parlament zu Akkra durch die NLM-Bewegung (National Liberation Movement) vertreten, die aber gegen die Mehrheit der CPP (Conventional People's Party) — das ist die Regierungspartei — praktisch wenig ausrichten kann. Der Rat der Aschantifürsten steht mit seiner ganzen Macht hinter der NLM und versucht, durch sie die autoritären Maßnahmen von Ministerpräsident Dr. Nkrumah aufzuhalten. Bisher haben die heftigen Angriffe der Opposition im Parlament gegen die Regierungspolitik nur zur Verschlimmerung einer ohnehin schon heiklen Lage geführt. Obwohl sich die NLM mit den wenigen mohammedanischen Abgeordneten aus dem Norden Ghanas verbunden hat, scheint sich Dr. Nkrumah stark genug zu fühlen — er verfügt ja über eine absolute Mehrheit im Parla-

ment —, um zu schärfsten Maßnahmen zu schreiten. Ausweisung und Inhaftierung von Personen, die sich „regierungsfeindlich“ zeigen, sind bereits an der Tagesordnung. Nkrumah ernannte den 41jährigen Krobo Edusei zum Innenminister, der für die Polizei und den staatlichen Geheimdienst verantwortlich ist. .Edusei hat sich durch seine Forderung, rücksichtsloser gegen die Aschantis und überhaupt gegen jede Opposition vorzugehen, bereits berüchtigt gemacht. Er hat schon angekündigt, er werde ein Gesetz im Parlament einbringen, das die Auflösung von Parteien vorsieht, die nicht auf gesamtnationaler Grundlage stehen. Der NLM, die ja gewissermaßen eine regionale Partei ist, wäre damit das Rückgrat gebrochen, und mit der Eliminierung der einzigen wirklich starken Oppositionspartei wäre der Weg zu einem Einparteienstaat geebnet. Die Ironie des Schicksals will es, daß hinter all diesen, sehr nach Diktatur riechenden Maßnahmen ein Mann aus England steht — aus der Heimat der Demokratie —, nämlich der ehemalige extrem linke Abgeordnete der Labour Party, Geoffrey Bing, der als engster Vertrauter von Nkrumah gilt und vor kurzem von diesem zum Justizminister von Ghana ernannt wurde.

Die Aschantis, allen voran der an der Universität Oxford ausgebildete Führer der NLM, Professor K. A. B u s i a, machen verzweifelte Anstrengungen, die aus dem Süden drohende Gefahr abzuwenden. Im Gebiet der Aschanti und im Norden Ghanas konnte Dr. Nkrumahs Partei nicht die Mehrheit der Stimmen gewinnen; und deshalb, behauptet die NLM, habe der Süden kein Recht, die Macht über diese Gebiete an sich zu reißen und das in der Verfassung verankerte Recht auf regionale Selbständigkeit zu mißachten.

Ghana hat mehr als sechs Millionen Einwohner; davon leben fast vier Millionen in und um die Städte des Südens, die wirtschaftlich von den weiter nördlich gelegenen Gebieten abhängig sind.

Begonnen hat alles mit dem Kakao, der zum größten Teil von den Aschanti gepflanzt wird. Vielleicht gäbe es heute gar kein unabhängiges Ghana, wenn der Weltbedarf an Kakao nicht so ungeheuer groß wäre und dem Land an der Goldküste die Chance gäbe, wirtschaftlich existieren zu können. Nkrumah benötigte Geld für seine ehrgeizigen Pläne und sah einen einfachen Weg dazu: die Kakaobauern werden gezwungen, ihre Produkte zu einem festgesetzten niedrigen Preis an die Regierung abzuliefern, die dann versucht, den Kakao so günstig wie möglich zu verkaufen. Die Gewinnspanne dabei ist sehr groß, und die enormen Profite füllen die Kassen der Regierung in Akkra. Die Aschanti fühlen sich natürlich betrogen; sie wenden sich um Hilfe

an die NLM, an ihre Fürsten und Könige und an ihren obersten Herrscher, den Asantahene, Nana Osei Agyeman Prempeh II. in Kumasi. Noch schlummern die Kriegstrommeln in den Versammlungshäusern, aber in letzter Zeit häufen sich immer mehr die Anzeichen dafür, daß die Aschanti und einige andere verbündete Völker im Norden Ghanas im äußersten Fall vor einem Bürgerkrieg nicht zurückscheuen würden, um die ihnen heiligen Traditionen, aber auch ihren Kakaogewinn gegen die Emporkömmlinge aus dem Süden zu verteidigen.

*

Im Norden, gegen die waldlose, dünn besiedelte Steppe zu, haben die Aschanti bei den islamisierten Nomadenstämmen Unterstützung gefunden, denn auch diese begannen zu fürchten, daß ihre patriarchalische Lebensweise vom Süden bedroht wird. Die Herrscher im hohen Norden Ghanas werden noch als theokratische Oberhäupter angesehen und von den Untertanen hoch verehrt. Negerafrika und Islam sind hier eine harmonische Ehe eingegangen. Kunst und Musik muten eher afrikanisch an, während Gesellschaftsordnung und Religion ihre Prägung von der Lehre des Propheten empfangen zu haben scheinen. 20 bis 30 Frauen sind für einen Herrscher keine Seltenheit, denn

er betrachtet es gewissermaßen als Standespflicht, mehr Frauen zu haben als irgendeiner seiner Untertanen. Die Ehe ist nicht wie bei uns ein Vertrag zwischen zwei Einzelpersonen, sondern gilt als eine symbolische Vereinigung zweier Familien. Der Preis für die Braut wird nicht nur vom Bräutigam oder dessen Vater gezahlt, sondern von der ganzen Familie des Mannes. Im Falle einer Scheidung aber muß die Frau bzw. ihre Familie den Brautpreis und alle Brautgeschenke wieder zurückerstatten. Da für junge Mädchen relativ hohe Brautpreise gezahlt werden müssen — zwischen 100 und 500 Dollar — gönnen sich junge Männer den Brautkauf oft nicht leisten, und es liegt in der Natur dieses Ehesystems, daß nicht selten bejahrte Männer ganz junge Mädchen heiraten. So verschieden auch die Stellung der Frau bei diesen patriarchalischen Völkern ist, so weist doch dieses Ehesystem auf den Wunsch hin, in eine höhere soziale Klasse aufzusteigen.

Das Leben in den Nordgebieten wird noch wenig gestört durch die zentralistischen Maßnahmen Akkras, aber die führenden Leute im Norden wissen genau, was in Ghana und der Welt vorgeht und nicht selten bringen sie auch ihren Protest zum Ausdruck.

Wie wenig man im Norden von Dr. Nkrumah wissen will und wie sehr die Bewohner bereit sind, ihre Rechte zu verteidigen, geht aus den Sätzen hervor, die der Herrscher von Tampiong an mich richtete, als ich mit ihm in Tamale, der Hauptstadt der Nordgebiete Ghanas, Pito (afrikanisches Hirsebier) schlürfte: „Warum habt ihr Engländer euch mit Nkrumah verbündet und uns an ihn ausgeliefert? Er wird euch fallen lassen, sobald er sich stark genug fühlt — dann werdet ihr wahrscheinlich zu spät erkennen, auf welcher Seite eure wirklichen Freunde stehen.“

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