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Pakistan im Zwielicht

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Das am 10. Jänner abgeschlossene sogenannte „Taschkent-Abkommen“, in dem sich Pakistan und Indien verpflichten, den Kaschmirkonflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen und ihre gegenseitigen Beziehungen zu verbessern, wird von Pakistan korrekt durchgeführt. Die antiindische Propaganda ist längst eingestellt worden. Aber die erste Begegnung der beiden Außenminister, zwar freundlich in der Form, ist ohne ein praktisches Ergebnis geblieben. Es darf auch vorläufig nicht erwartet werden. Die pakistanische Regierung kann es sich, selbst wenn sie wollte, angesichts der offenen Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber dem Abkommen, die von der Opposition genutzt wird, nicht erlauben, an eine Verwirklichung der positiveren Klauseln des Abkommens, wie die Aufnahme freundschaftlicher Beziehungen oder einen kulturellen Austausch, auch nur ernstlich zu denken.

Die Erklärungen Ayub Khane über die Bedeutung und die Bedingungen des Abkommens haben nicht vermocht, die allgemeine Enttäuschung und Bitterkeit aus der Welt zu schaffen. Das ist begreiflich, denn die Illusionen sind noch immer le

bendig, mit denen die Bevölkerung bis zum Vorabend des Taschkent- Abkommens von der amtlichen Propaganda und der Presse geradezu gefüttert wurde. Zu ihnen zu zählen sind ebenso die übertriebenen Geschichten über die chinesische Hilfe, in denen sogar die Möglichkeit der Aufnahme eines totalen Krieges gegen Indien durch China behauptet wurde, wie die täglichen Hinweise auf die voraussichtlichen politischen Gewinne, die durch die kriegerische Auseinandersetzung zu erzielen seien. Der Ruf zum „Dschihad“, zum Heiligen Krieg, war die dominierende Note der amtlichen

Propaganda, die den bewaffneten Konflikt nicht als einen Krieg zwischen zwei Staaten, sondern als eine Fortsetzung der alten Auseinandersetzung zwischen dem Islam und den Ungläubigen hinstellte.

Vergessen ist schwer

Unter diesen Umständen fällt es heute sehr schwer, derselben Bevölkerung die Tatsachen verständlich zu machen: die Entschlossenheit der indischen Regierung, über Kaschmir nicht zu verhandeln, und die der Großmächte, das leidige Problem auf sich beruhen zu lassen; die materielle Unmöglichkeit, den Krieg weiterzuführen, und schließlich die Grundlosigkeit der Hoffnungen auf eine aktive militärische Unterstützung Chinas, ohne die eine Entscheidung unmöglich war und keine andere Alternative als die Rücknahme der pakistanischen Streitkräfte auf die Ausgangsstellungen blieb.

Die Hinweise des Präsidenten auf die Unveränderlichkeit der pakistanischen Haltung, die Rechtmäßigkeit der pakistanischen Ansprüche, die Schwierigkeit, verwickelte Probleme zu lösen, und die Notwendigkeit, das Vorgehen und die Mittel den jeweiligen Erfordernissen anzupeesen,

sind zwar von jenen wenigen Leuten verstanden worden, die keine Propaganda von ihrer Skepsis abzubringen vermocht hatte, aber bei der Masse der Bevölkerung auf taube Ohren gestoßen. Ja, es wird sogar behauptet, le hätten eigentlich ehe Unruhen ausgelöst, die zur vorübergehenden Schließung der Schulen und Universitäten in Westpakistan führten. Jedenfalls hat sich die Bevölkerung bis heute noch nicht mit dem Abkommen von Taschkent abgefunden und es der Regierung noch nicht verziehen, daß sie seit dem Jänner ständig alles tut, um Hoffnungen vergessen zu machen, die sie

vorher mit demselben großen Aufwand förderte.

Eine solche Unzufriedenheit ist zwar höchst unerfreulich, aber jede Regierung kann darauf hoffen, daß sie mit der Zeit abflauen wird. In Pakistan hat sich jedoch die Opposition ihrer als Waffe bedient und sorgt dafür, daß sie nicht einschläft und in den Basaren und den Büros immer wieder die Frage gestellt wird: „War alles umsonst?" Noch nie ist die Kritik an Ayub Khan so stark und so ausgesprochen gewesen wie seit dem Abkommen, und Fatima Jlnnah, die überaus angesehene Schwester des verstorbenen Staatsgründers und unterlegene Kandidation der Opposition bei den

vorjährigen Präsidentschaftswahlen, warf der Regierung öffentlich unter dem allgemeinen Beifall der Bevölkerung vor, die Erfolge der Armee am Konferenztisch weggeworfen und einen beklagenswerten Mangel von Geschick und politischer Umsicht gezeigt zu haben. Aber das war nur ein Anfang. Seitdem ist deutlich geworden, daß die Opposition entschlossen ist, diese Gelegenheit für eine Diskreditierung der Regierung mit allen Mitteln zu nutzen. Daß dabei gleichzeitig auch alle anderen strittigen Probleme des Landes vor der Öffentlichkeit aufgerollt werden, versteht sich von selbst.

Die Opposition erwacht

Die Opposition macht der Regierung zu schaffen. Sie ist ziemlich heftig und verfügt über mehr Zulauf, als die amtlichen Stellen zugeben. Aber sie ist innerlich zerrissen. Die größte Gefahr geht zweifellos von einer oatpakistanischen Bewegung aus, die eine weitgehende Autonomie für diesen von Westpakistan räumlich weit getrennten Landesteil fordert und trotz einer kürzlichen Warnung Ayub Khans, die Regierung werde nicht zögern, notfalls mit Waffengewalt einzuschreiten, falls die Opposition ihren Feldzug für eine ostpakistanische Autonomie nicht einstelle, auf ihren Forderungen beharrt und ihre öffentlichen Kundgebungen fortsetzt. Das wirkliche Ziel dieser Bewegung läßt sich schwer ausmachen, aber in Rawalpindi ist zu hören, es handle sich um eine separatistische Bewegung, die die Gründung eines großbengali-

sehen Staates anstrebe.

Binnenswist

Erschwerend für die Regierung ist, daß es offenbar auch in der Regierungspartei selbst erhebliche Meinungsverschiedenheiten über das Taschkenter Abkommen und Über die pakistanische Außenpolitik gibt. Immerhin ist man schon gezwungen gewesen, eine einflußreiche Persönlichkeit der Partei zu maßregeln, die in der Öffentlichkeit das Abkommen scharf angegriffen hatte. Gerade dieser Vorfall hat der Opposition und der Mißstimmung im Lande weiteren Auftrieb gegeben. Trotzdem würde es abwegig sein, von einer unmittelbaren Gefahr für das Regime Ayub Khan zu sprechen. Ihm kom-

men die Uneinigkeit der Opposition und die Angst vor einer Spaltung des Landes ebenso zu Nutzen wie die Verläßlichkeit der Armee, die zwar enttäuscht ist, aber nicht die geringsten Anzeichen einer Auflehnung gegen die Regierung aufzeigt. Ohne ihre Unterstützung müssen jedoch alle Versuche der Opposition, die Regierung mit Hilfe der Gefühlswelle der Bevölkerung gegen das Abkommen und den Westen au stürzen, aussichtslos bleiben.

Der ernüchterte Flirt

Über den tatsächlichen Wert der chinesischen Freundschaft geben sich ernsthafte pakistanische Politiker keinen Illusionen mehr hin. Darüber kann auch der überwältigende Empfang des chinesischen Staatschefs Liu Shao-tschi und seines Außenministers Shen Yi nicht hinwegtäuschen. Auch die paar chinesischen Panzer und MIG-Jäger chinesischer Herstellung, die bei der Unabhängigkeitsparade gezeigt wurden, bleiben unerheblich. Die Beurteilung des Flirts mit Peking ist nüchterner geworden, seit die erwartete große chinesische Hilfe ausgeblieben ist. Gewiß hat die wenig aufgeschlossene Haltung Indiens seit dem Jänner dazu beigetragen, daß die Abkühlung nicht Weiter fortgeschritten ist und die pakistanische Regierung weiter darauf bedacht bleibt, sich die chinesische Rückendeckung zu erhalten, aber Ayub Khan hat es bis jetzt doch ängstlich vermieden, sich Amerika und seiner anderen westlichen Partner zu entfremden. Und sogar während des chinesischen Staatsbesuches machte der pakistanische Außenminister Bhutto darauf aufmerksam, die Freundschaft zu China gehe nicht auf Kosten der Beziehungen zu Amerika; ehe Chinesen seien zwar die Freunde Pakistans, aber ie müßten verstehen, daß die Amerikaner die Verbündeten des Landes seien.

Die Erklärung zeigt den Zwiespalt auf, in dem sich die pakistanische Außenpolitik heute befindet. Er wird mit allen Ihm anhaftenden Risiken für das Land und die westlichen Belange wahrscheinlich so lange bestehen bleiben, wie Indien auf seiner Weigerung, über Kaschmir zu verhandeln, beharrt.

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