Neue Proteste - Nachdem das iranische Regime den versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Jets zugab, kochten im Land wütende nächtliche Proteste hoch, die an jene im vergangenen November erinnerten. - © Foto: APA / AFP / STR

Revolutionäres Rückzugsgefecht

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Nach dem Flugzeug-Abschuss im Iran rücken die Revolutionsgarden ins Zentrum der Kritik: Ein Staat im Staat als Stütze der mächtigen Hardliner.

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Nach dem Flugzeug-Abschuss im Iran rücken die Revolutionsgarden ins Zentrum der Kritik: Ein Staat im Staat als Stütze der mächtigen Hardliner.

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Es dauerte nicht lange, bis aus einer vagen Vermutung ein Verdacht, und aus einem begründeten Verdacht eine konkrete Theorie wurde. Und letztlich war es dann weniger der Ablauf der Tat, der überraschte, als die Art und Weise, wie diese eingestanden wurde: Es war ein eindrucksvolles Eingeständnis, dass der Luftwaffen-General der iranischen Revolutionsgarden Amir Ali Hajizadeh da vor laufenden Kameras am vergangenen Samstag abgab. Die volle Verantwortung übernahm er für den Abschuss eines ukrainischen Passagierjets. Er werde jedes Urteil annehmen, sagte er. Als er herausgefunden habe, was da passiert sei, habe er sterben wollen. Eine gestörte Kommunikation zwischen ziviler Flugsicherung und Revolutionsgarden habe zu dem Abschuss mit einer Boden-Luft-Rakete russischer Bauart geführt. Tragische Bilanz: 176 Tote. Ein führender General stand da also, ein mächtiger Mann innerhalb einer der mächtigsten Strukturen des Iran; einer, der jeden Versuch aufgegeben hatte, eine Tragödie, einen irrwitzigen Fehler mit internationaler Strahlkraft inmitten eines brandheißen Konfliktes kleinzureden. Und die Worte Hajizadehs verfehlten ihre Wirkung keineswegs: auf internationaler Ebene, genauer im so knapp vor der Explosion stehenden Konflikt mit den USA, brachte das umfassende und ehrlich anmutende Eingeständnis des hohen Paramilitärs leise Entspannung – oder zumindest eine Abkühlpause.

Begräbnis als Staatsakt

Nicht so im Iran, wo der ständig schwelende Machtkampf zwischen Hardlinern und moderateren Kräften mit einem Mal wieder sehr sichtbar hochkochte: Hatte sich das Land gerade noch in demonstrativer Einheit auf einen Krieg mit dem „großen Satan“ USA vorbereitet, so war in Folge des Hajizadeh-Geständnisses nicht mehr so klar, wer denn der große Satan ist. Tausende zogen in Teheran und anderen Städten des Iran durch die Straßen, um nach dem Abschuss Gerechtigkeit für die Opfer zu fordern – die allermeisten Passagiere an Bord waren iranische Staatsbürger oder iranischer Abstammung. Es waren zuweilen wütende Proteste. Solche, die an jene im November erinnerten, als es in Folge von Treibstoffpreiserhöhungen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in vielen Städten des Landes gekommen war. 300 Menschen starben damals bei der Niederschlagung. Auf Videos im Internet war jetzt zu sehen, wie Demonstranten den Rücktritt der Ajatollahs, die lückenlose Aufklärung des Abschusses, Gerechtigkeit und Sühne forderten. Das Feindbild auf den Straßen: die Revolutionsgarden, die religiöse Elite des Landes, die Hardliner. Auf Videos war sogar zu sehen, wie Demonstranten Bilder von Qasem Soleimani in der Luft zerrissen.

Qasem Soleimani, das war jener General der Revolutionsgarden, der die Quds-Einheit kommandierte, die für die Auslandseinsätze dieser iranischen Elite-Schatten-Armee verantwortlich zeichnet. Also für das militärische Engagement des Iran vor allem im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen. Die Einheit ist das militärische Rückgrat der iranischen Außenpolitik in der Region und Soleimani war ihr Architekt. Seine Ermordung am 3. Jänner durch eine von einer US-Drohne abgefeuerte Rakete in Bagdad hatte die USA und den Iran an den Rand eines Krieges gebracht.

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