6737935-1966_29_06.jpg
Digital In Arbeit

„Westwind“ über Norwegen

Werbung
Werbung
Werbung

Während Schwedens sozialdemokratische Regierung davon überzeugt ist, daß sie noch mindestens 28 Monate fest im Sattel sitzen wird, während Krags Sozialdemokraten in Dänemark ihre führende Position im Staat verteidigen und die sozialdemokratische Partei in Finnland ihre größte parlamentarische Stärke der Nachkriegszeit erobert hat, rückt heute Norwegen unter der Führung einer bürgerlichen Koalitionsregierung deutlich erkennbar nach rechts. Mit der Machtübernahme der Regierung Borten sind viele allskandinavische Träume zu Ende geträumt, viele Illusionen von einem sozialistischen Norden untergegangen!

Per Bortens Regierung in Norwegen hat bisher keine großen Überraschungen gebracht; da sie sich im Rahmen eines Staatshaushaltsvorschlages bewegen muß, der noch von der Arbeiterpartei ausgearbeitet worden ist, kannten solche Überraschungen auch nicht erwartet werden. Doch auch wenn man diesen

Umstand in Rechnung stellt, muß die Vorsicht auffallen, mit der sich diese Regierung auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet bewegt, so etwa, als balanciere sie auf einer dünnen Eisdecke mit zögernd vorfühlenden Schritten: Der Übergang von vielen

Jahren der Opposition zur verantwortlichen Regierungsstellung fällt der Vierparteienkoalition offenbar doch schwerer, als man früher geglaubt hat; so sind die Stellungnahmen, zu denen man sich aüfraffi, eben auch nur Entscheidungen der kleinen Schritte! Auf wirtschaftlichem Gebiet führte diese Vorsicht zu beachtenswerten Teilerfolgen.

Den Beobachtern in den nordischen Nachbarländern konnte allerdings eine gewisse Abkühlung in den ¡interskandinavischen Beziehungen nicht entgehen. Wenige Wochen nach Übernahme der Regierung haben die Norweger ein sogenanntes Planpaket der nordischen Zusammenarbeit abgelehnt; auch eine Erweiterung der nordischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde von Oslo kühl beurteilt, obwohl eine Gruppe von Fachleuten mehrere Monate darauf verwandt batte, diesen Plan auszufeilen. Etwa gleichzeitig wurde durch die norwegische Regierung der Plan für ein gesamtnordisches Patentgesetz zu Fall gebracht; kurze Zeit darauf lehnte Oslo den Vorschlag Präsident Kekkonens auf eine Entmilitarisierung im Hohen Norden ata; die schwachen Versuche von schwedischer Seite, die Diskussion über eine gesamtskandinavische Verteidigung wieder in Gang zu bringen, fanden ebenfalls eine kühle Ablehnung, und im März und April unterstrichen die großen NATO-Manöver in Nordnorwegen, daß Oslo fester zur NATO stand als jemals zuvor und alle in eine andere Richtung gehenden Hoffnungen jeder realen Grundlage entbehrten. Dieser stärkere Zug nach dem Westen hat natürlich schon unter der Regierung Gerhardsen eingesetzt, doch unter Per Borten ist er nun unverkennbar geworden!

Nimmt man noch dazu die Absage John Lyngs — des Außenministers! — an den Plan Gerhards s.is, eine Volksabstimmung über die NATO- Zugehörigkeit Norwegens abzuhal- ten, die norwegische Ablehnung eines neuerlichen visumfreien kleinen Grenzverkehrs an der norwegischsowjetischen Übergangsstelle bei Boris Gleb und die außerordentlich freundliche Aufnahme des amerikanischen Außenministers Dean Rusk in Oslo, dann erscheinen die Konturen einer neuen, mehr betont westfreundlichen Außenpolitik Norwegens unverkennbar. Die von John Lyng an Dean Rusk gerichtete

Begrüßungsrede dürfte die längste sein, die der vielbeschäftigte Amerikaner im letzten Jahr hat über sich ergehen lassen müssen und das Einstimmen in den amerikanischen Tofi war unverkennbar. Neben dieser vollinhaltlich abgedruckten Rede aber stand am nächsten Tag in den Morgenzeitungen der Polizeibericht, der trocken und sachlich über die Zahl der antiamerikanischen Demonstranten und die Zahl der Festnahmen bei ihren verschiedenen Auftritten berichtete, ohne daß man zu diesen Vorfällen irgendeinen Kommentar lesen konnte.

Der starke Mann

Daß diese außenpolitischen Momente zuerst auffallen, mag in der Hauptsache auf die starke politische Persönlichkeit des Außenministers Lyng zurückzuführen sein, während der Regierungschef selbst meist im Schatten bleibt; man ist geneigt, eher von einer Regierung Lyng — wie sie vorerst auch geplant war! — als von einer Regierung Borten zu sprechen!

Auf wirtschaftlichem Gebiet ist eine bemerkenswerte Stabilität des Preisniveaus zu verzeichnen und eine recht günstige Entwicklung der Produktion:

• Der Preisindex erreichte am 15. April die Zahl 125,4, gegen 122,4 im April 1965! Das ist eine Erhöhung von drei Punkten oder um nur 2,4 Prozent im Jahr! Die vier vorhergehenden Jahre hatten eine Preissteigerung von zusammen 20 Prozent oder fünf Prozent pro Jahr gebracht.

• Der Schiffsexport Norwegens konnte in einem Jahr von 50.000 auf

103.0 Bruttotonnen erhöht werden; die Schiffsproduktion stieg von

358.0 auf 474.000 Bruttotonnen.

• Der Gesamtexport lag im ersten Quartal 1966 11 Prozent über dem Stand des Vorjahres, im März allein lag er 16 Prozent höher als im Vergleichsmonat. Das Bruttonational produkt dürfte heuer um sechs Prozent ansteigen. Das ist eine unvergleichlich bessere Entwicklung als im benachbarten Schweden!

• Norwegens größter chemischer Konzern, Norsk Hydro, plant, in Zusammenarbeit mit einem englischen Unternehmen seine Produktion von PVC zu verdoppeln. Die „Elektrokemisk AS“ bereitet, zusammen mit der Aluminium Company of America, ebenfalls eine Verdoppelung der Aluminiumerzeugung vor. Das größte Holzveredlungsuntemehmen des Landes, AS Borregaard, plant den Bau eines Papierwerkes im Werte von 200 Millionen Kronen, das 240.000 Tonnen Papier jährlich produzieren soll. Borregaard hat in den letzten Jahren auch Tochterunternehmen in Österreich und Schweden errichtet und beschäftigt bereits 11.000 Personen; für das kleine Land ist das Industrieunternehmen von größter Bedeutung.

Die hier notierten wirtschaftlichen Erfolge bedeuten natürlich nicht, daß es in Norwegen keine Probleme mehr gibt, doch der Aufstieg ist unverkennbar, und das Erschließen neuer Produktionszweige (so die Montagehausproduktion) verspricht weitere Erfolge. Auch der steigende Einfluß des Westens in vielen Bereichen kann nicht übersehen werden; es scheint, als ob Norwegen — zu- mindestens wirtschaftlich! — dabei nicht schlecht fahren würde!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung