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Ausdruck und Gestaltung

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„Fest des Tanzes” war wohl ein etwas zu prätentiöser Titel für die beiden Veranstab tungen, die man in die letzte Woche des Musikfestes eingefügt hatte. Denn sie gewährten eher einen Einblick als einen Überblick, boten eher Kostproben als einen Querschnitt durch den zeitgenössischen Kunsttanz. Daher soll an Stelle der Besprechung der einzelnen Stücke und der Charakteristik aller ihrer Schöpfer versucht werden, am Beispiel der drei markantesten Vertreter dieser Kunst einige Grundlinien aufzuzeigen.

Die ganze Problematik: Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten und Grenzen des modernen „Ausdruckstanzes” zeigten sich in den Darbietungen Alexander von S w a i n e s, der nur wenigen mehr in lebendiger Erinnerung ist, da zwischen dem letzten europäischen Auftreten des Künstlers und seinem eigenen Abend im Rahmen des Musikfestes mehr als zehn Jahre vergangen sind. Wohl kommt Swaine vom klassischen Ballett her — hatte er doch als Lehrmeisterin ein Mitglied des kaiserlichrussischen Balletts. Doch davon ist in seinen neueren Tanzschöpfungen kaum mehr eine Spur zu entdecken. Swaine ist, seinem Temperament und seiner Neigung nach, der Ausdruckstänzer par excellence. Sein unbedingt-ernstes, konzessionsloses Streben läßt über gewisse technische Mängel, Übersteigerungen und Leerläufe hinwegsehen. Über die letzteren freilich am schwersten, da auch vom Ausdruckstanz eine streng durchgearbeitete und gültig-geschlossene Form verlangt werden muß. So kam es, ‘daß nicht die eigentlichen „Ausdruckstänze”, sondern zwei von der spanischen und ungarischen Folklore inspirierte Nummern (Farucca nach de Falla und Toborzo nach Kodaly) den künstlerisch befriedigendsten Eindruck hinterließen.

Auch wenn man — infolge der Verschiedenheit des Temperaments und der Künstlerpersönlichkeit sowie wegen des Altersunterschiedes — Swaines Tänze nicht mit denen von Harald Kreutzberg vergleichen sollte, so drängt sich doch eine Gegenüberstellung unter dem gemeinsamen Begriff „Ausdruckstanz” auf. — In den fünf Tänzen ICreutzbergs war alles, auch das unscheinbarste Detail, geformt und organischer Teil der Gesamtkomposition. Selbst die fast wie klinische Studien anmutenden „Drei irren Gestalten” sind durchkomponiert, ja, gleichsam durchkonstruiert. So ist es auch zu rechtfertigen, daß Kreutzberg „immer wieder dieselben Sachen” tanzt, denn sowohl der Künstler als auch das Publikum empfinden diese Tänze als in ihrer Art klassisch-vollendet und invariabel. (So wie ja auch der Komponist und der Maler an einem einmal vollendeten Werk nicht ständig ändern und herumbessern.)

Sprechen wir vom modernen Ausdruckstanz, so fällt uns zunächst eine Reihe von Namen ein, deren Träger eher die Nutz niciJer und die Epigonen als die eigentlichen Befreier von den Fesseln des in einigen wenigen Schritten und Figuren erstarrten klassischen Balletts gewesen sind. Wohl steht Grete Wiesenthal heute — wenn nicht im konservativen, so doch nicht im revolutionären Lager, der Tanzkunst. Aber sie war es, die die Tanzkunst einst „revolutionierte”. Freilich aitf wienerische Art: maßvoll und ohne die Schönheit dem „Ausdrude” zu opfern. Wie elastisch, fort- bildungsfähig und zugleich ausdrucksmächtig diese Technik ist, zeigte die Dreierstudie ihrer Schülerinnen „Die Fahne” nach Chopins Revolutionsetüde. (Also dodr. Revolution!) Hier wie in der dekorativen und formschönen „Kleinen Nachtmusik” und im freundlich-bunten „Weinlesefest” war vom ersten bis zum letzten Takt alles überlegt und geformt, und zwar nicht nur im Hinblick auf die viel leichter zu erzielende bildhafte, sondern vor allem auch auf die plastische Wirkung: analog, nur auf einer ganz anderen Ebene wie bei Kreutzberg. Daß dann die Darbietung selbst einen improvisatorisch-gelösten Eindruck macht, ist vielleicht der allergrößte Vorzug, die entscheidende Qualität dieses Stils.

Betrachtet man die Thematik der Tänze von Kreutzberg und Swaine, so wird — wie im Expressionismus und modernen Surrealismus — deren gemeinsame Wurzel in der Kunst- und Geistesbewegung der zwanziger Jahre deutlich. Es ist durchaus die Welt des Dämonischen, des Magischen, des Vorkulturellen oder des Pathologischen, die beschworen wird: die Nachtseiten der menschlichen Natur. Auf diesem Gebiet („Der Verworfene”, „Der Geist der Lüge und der Gemeinheit”) erzwingt Swaine seine eindrucksvollsten Wirkungen; hier wehrt Kreutzberg durch den Damm einer strengen Form den Einbruch des Chaotisch-Expressionistischen ab („Teufelsbeschwörung”, „Drei irre Gestalten” und das eher magische als naturfromme „Ster- nenlied”). Doch bleibt diese Grundtendenz bei beiden Künstlern im höchsten Maße bedenklich. — Bezeichnend für die reifere Meisterschaft ist, daß Kreutzberg in den vier kleinen Jahreszeitenbildern „Aus einem alten Kalender” ein heiter-graziöses Gegenstück zu seinen hinter- und untergründigen Gestalten zu schaffen vermag. Auch Swaine versucht das „Leichte” etwa in „Werbung” und „Kavalier ä la mode”). Aber es will nicht recht gelingen, denn das Leichte erweist sich als das Allerschwerste. Dieser ganzen Art und Richtung hält, auf ihre besondere Weise, nur die Wiesenthal-Schule die Waage.

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