Der Glanz des Wahren

Der Urs-Graf-Verlag brachte nun in der hervorragenden Reihe „Stätten des Geistes“, in der bereits Siena, Athos, Sinai, Fes und Irland behandelt wurden, einen prachtvollen Band über Chartres heraus. Er soll keine kunstgeschichtliche Untersuchung dieses berühmten und bewegenden Bauwerkes darstellen, sondern an Hand der Vorbilder und Koordinaten, aus denen es wuchs, seiner Baugeschichte und der Bedingungen der Zeit, in denen es entstand, die lebendige Sinndeutung seiner Existenz geben. Das ist dem Autor Titus Burckhardt mustergültig gelungen. Er zeigt Chartres als den Angelpunkt, aus dem sich der Frühling der Gotik erhellt und in dem sich der Mensch des Mittelalters im Aufbruch zu einem neu erwachenden geistigen Bewußtsein manifestiert. In dankenswerter Weise hat der Verfasser die Dokumente der Zeit selbst herangezogen und läßt sie zu uns sprechen: die Chroniken, Lehrschriften und Briefe, die mit dem Werden Chartres verbunden sind. Sie bereichern die behutsam deutende, kenntnisreiche und plastische Darstellung um die Erregung der Augenzeugen. Die Ausstattung des Buches ist über jedes Lob erhaben. Die Farbabbildungen sind hervorragend ausgewählt und gedruckt und fangen in einzigartiger Weise den Genius loci dieser einmaligen Stätte ein. Ebenso vorbildlich sind die Typographie und Ausstattung dieses wertvollen und schönen Bandes.

Eine glückliche Ergänzung dazu bietet das Piper-Bändchen, das dem Königsportal von Chartres gewidmet ist und vor allem seine Plastiken in Detailaufnahmen zeigt. Die Architektur dieser steinernen Leiber, in denen sich gegenüber der romanischen Skulptur bereits ein neuer und entscheidender Geist ankündigt, der in manchem geradezu an die Antike erinnert, wird indringlich sichtbar gemacht.

Als Auftakt einer Buchreihe über die kostbaren Kunstschätze des Stiftes Klosterneuburg, die der Allgemeinheit noch immer zuwenig bekannt sind, ist die Veröffentlichung der Miniaturen zum Evangelium des Heinrich Aurhaym sehr vielversprechend. Aurhayms Miniaturen, zu dem Evangelienkommentar von Heinrich von Mügeln um 1400 entstanden, stehen unter dem Einfluß der böhmischen Hofkunst, zeigen aber durchaus persönliche Formulierungen. In der Unmittelbarkeit ihrer Auffassung und farbigen Sensibilität sind sie Meisterwerke der Illuminationskunst dieser Zeit, in denen noch gotisches Empfinden nachwirkt. Die Einführung von Floridus Röhrig ist wesentlich, knapp und klar, die Farbabbildungen sind sehr gut.

Es ist äußerst begrüßenswert, daß der Piper-Verlag in Übereinkunft mit der UNESCO nun die Serie über die wenig zugänglichen Kunstschätze der Welt als Taschenbücher veröffentlicht. Hervorragend gedruckt und ausgestattet, liegen bisher vier Bändchen vor, welche die „Ägyptische Tempel- und Grabmalerei“, „Romanische Malerei in Spanien“, „Frühe persische Miniaturen“ und „Frühe russische Ikonen“ behandeln. Die von ausgezeichneten Fachleuten geschriebenen Einführungen sind kurz und treffend, der in Anbetracht der Qualität sehr billige Preis macht die Serie zu einer der bemerkenswertesten Neuerscheinungen auf dem Kunstbüchermarkt. In der wertvollen Reihe des „Bilderkreises“, die von Heinrich Lützeler bei Herder herausgegeben wird, ist das Bändchen über „Das Bild des Menschen“ besonders glücklich gelungen. Seine Abbildungen erfassen über die Zeiten und Völker hinweg den Menschen des Abendlandes in eindringlichen Manifestationen, vom Apostel und Heiligen bis zum Kind und Höfling.

Ein besonders schöner Band über die ravennatische Basilika Sant' Apollinare Nuovo ist bei Fretz & Wasmuth erschienen. Diese Kirche, von Theoderich um 500 erbaut und nach der Eroberung Ra-vennas durch Byzanz und der Überwindung der Arianer dem katholischen Kultus zugeführt, zeichnet sich durch ihren einzigartigen Mosaikschmuck aus. Ihrem Besucher bleiben die Darstellungen der „Schau der Jungfrauen und der Heiligen“, der geheimnisvolle Glanz des musivischen Materials unvergeßlich. In der leicht lesbaren kunsthistorischen Einführung von Giuseppe Bovini und den zahl- ; reichen Abbildungen — besonders der Details — wird das wechselvolle Schicksal der Basilika, ihre geistige und künstlerische Bedeutung lebendig.