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Die groben Meister der Zeichnung

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P i s a n e 11 o. Text von Gian Alberto dell'A c q u a.

Wenn dieser vorzüglich ausgestattete Band eine sehr glückliche Auswahl von Handzeichnungen des keineswegs allbekannten Antonio Pisano bringt, so ist dies in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt: einmal mit dem rein artistischen Reiz dieser zarten, mit Feder, Pinsel oder Silberstift hingehauchten Blätter, in denen sich das vorwiegend graphische Interesse des Meisters dokumentiert; anderseits mit der unvergleichlichen Vielfalt der Darstellungsinhalte, bei deren Aufsuchen der Zeichner die ganze Weite der Schöpfung durchmessen zu haben scheint. Die ungeheure geistige Regsamkeit und Feinfühligkeit der Kunst des weichen Stils Europas — jener kaum erkannten Vorform der Renaissance — wird in diesen Zeichnungen schaubar; überdies sind sie entwicklungsgeschichtlich von höchster Bedeutung: Einerseits hat Pisanello in allen Epochen seiner Tätigkeit Zeichnungen ohne direkte Bezugnahme auf Gemälde oder Plastiken rein als Notizen im Sinne der mittelalterlichen Musterbücher „auf Vorrat“ geschaffen; anderseits schuf er manche seiner Blätter schon als Studien zu Freiken, Tafelgemälden und vor allem zu seinen herrlichen Bildnismedaillen, jener Kunstgattung, die aus Pisanellos formendem Geist wiedergeboren wurde.

Wenn man, in dem Buche blätternd, an der erstgenannten Gattung von Zeichnungen die verfeinerte Beobachtung und Wiedergabe der Natur bewundert, die Vitalität edler Tiere, die arabeskenhafte Schönheit von Pflanzen und Bäumen, so wird man an den Kompositionsskizzen zu längst zerstörten Freskenzyklen in Pavia, Venedig und Rom die straffe geistige Sammlung restlos bewundern, mit welcher der Zeichner komplizierte Figurengruppen und Raum-gefüge in wenigen sicheren Strichen suggestiv anschaulich machte. Unser historisches Interesse aber wird in besonderem Maße von den herrlichen Bildnisköpfen gefesselt, die Pisanello von Kaiser Sigismund und seinem bunten, prunkenden Gefolge während dessen Romfahrt gezeichnet hat; hier atmen wir die kühle Höhenluft der Weltgeschichte, stehen wir auf großer Bühne — und ahnen nicht, daß einige Jahre vorher schon ein deutscher Maler dieselben Persönlichkeiten mit vergleichbarer Kunst an den Wänden einer Südtiroler Kapelle wiedergegeben hat. — Pisancllos Zeichnungen führen aber auch in die geheimsten Schluchten der Seele: Frauenköpfe, die er als Studien zu Madonnenbildem hinzauberte, nehmen die psychologischen Deutungen Leonardos vorweg.

Der ausgezeichnete Text besitzt das große Verdienst, nachdrücklich auf geschichtliche Bindungen aufmerksam zu machen, die zwischen den „naturalistischen“ Zeichnungen Pisanellos und denen Iorri-bärdischer Meister bestehen, die eine Generation vor ihm am Werke waren.

Leonardo. Text von Giorgio Castelfranco.

Die hier vorgelegte Auswahl von Zeichnungen des großen Florentiners besticht vor allem deshalb, weil es sich durchwegs um Blätter handelt, die über den Charakter, das Innenleben Leonardos Wesentliches aussagen und nicht bloß zeichnerische Notizen darstellen. Der Maler nie vollendeter Madonnenbilder, des Abendmahls und der Felsgrottenmadonna zeigt sich hier ebenso wie der Meister der strudelnd wilden Anghiarischlacht und der ehrgeizige Bildner, der sich um die Gestaltung eines frei, fast schon barock bewegten Reiterdenkmals mühte, wie der Naturforscher und letzhin der Seher, der das Ende aller Zeiten mit einer dämonischen Größe ahnte und schilderte, die dem Atomzeitalter alle Ehre machen würde. Von wilder Leidenschaft bis zu stillstem Seelenfrieden geht die Skala der Empfindungen, die dieser Große teilte und darstellte; wir stehen vor der künstlerischen Vollendung seiner Zeichnungen, als sei zwischen ihnen und uns nicht der zeitliche Abstand durchkämpfter und durchgrübelter Jahrhunderte, sondern als offenbare sich uns in ihnen der menschliche Genius in seiner vollen, allen Zeitbindungen entwachsenen Größe.

Wollte man jemandem die Weltweite des Fühlens und Daikens der italienischen Renaissance, die Vollkommenheit ihrer künstlerischen Leistungen in äußerster Verdichtung vor Augen führen, so müßte man ihm diese beiden Bände in die Hand geben.

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