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Land am Strome...

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Wohl ist die Literatur über die Wienerstadt schon unübersehbar, wohl gibt es Gesamtdarstellungen und Einzeldarstellungen in Menge. Doch ist es bekannt, daß noch immer Lücken vorhanden sind; und es ist evident, daß die neuen Interessen der heutigen Leserschaft, die neuen Ergebnisse der fortlaufenden Archivforschung es möglich und nötig machen, auch das schon Bearbeitete neu zu bearbeiten. Da ist denn der Plan entstanden, in 30 handlichen Bänden die Entwicklungsgeschichte Wiens und einzelner, besonders wichtigen Bauwerke und Orte darzustellen. Kein Freund österreichischer Geschichte kann anders, als diesen Plan mit Freuden und mit besten Wünschen für die gänzliche Durchführung zu begleiten. Die ersten zwei Bände sind freilich auch von kompetentesten Autoren geschrieben. Die Geschichte der Universität ist vom Archivar derselben; die Geschichte des Schwarzspanier-hauses vom Herausgeber der Reihe, dem Wiener Landeskonservator. Wir sagten: Die Geschichte der Universität. Es handelt sich nämlich nicht um rein baugeschichtliche Arbeiten, sondern dem Titel der Reihe entsprechend um Wiener Geschichtsbücher. Die politische Geschichte, die Sozial-und Ideengeschichte kommt bestens zur Geltung. Dies ist Heimatkunde im vollsten Sinn des Wortes. Aber nachdem Wien ja eine Reichshauptstadt war, hängt diese Heimatkunde auch mit der Weltgeschichte zusammen, und die Reihe dieser Wiener Geschichtsbücher wird zumal den Geschichtsforschern der übrigen Sukzessionsstaaten Österreichs viel zu bieten haben.

Natürlich ist gerade darin ein großer Unterschied zwischen den zwei Bänden. Die Universität, der Ort des offiziellen Geisteslebens, hat unvergleichlich mehr auswärtige Beziehungen als das Vorstadtkloster. Der Band von Gall ist folglich eine wahre Fundgrube geschichtlichen Materials aller Art; das komplizierte Rechtsleben einer mittelalterlichen Universität, die Religionskämpfe Österreichs, die Theresianische Epoche, die Kampfzeit der „Aula“ im Jahre 1848 — wobei die Haar- und Barttracht der Akademischen Legionäre täuschend an unsere Hohoho-Hotschimin-Koprophilen erinnert: Di omen avertant! —, der Aufstieg der liberal-bourgeoisen Intelligenz aus der Schale des Bach'schen Absolutismus ... der Weltrekord an Schlamperei, der die alte Aula mitten im Frieden in Brand steckte, das alles führt endlich zu den gegenwärtigen Plänen, den Gravamina und Pia desideria der heutigen Hochschule. Doch auch die Geschichte des Schwarzspanierhauses ist nicht reine Ortsgeschichte, wiewohl dem — etwa noch unmusikalischen — Auswärtigen die Schicksale von Beethovens Wohnung etwas sehr gründlich geschildert vorkommen mögen. Nein, auch da ist /die Weltgeschichte drin. Das Kloster vor dem Schottentor ist als Niederlassung der Mönche von Montserrat entstanden, denen Ferdinand II. das Prager Slavenklo-ster übergeben hatte. Seinen ersten Bau vernichtete der Kampf gegen die letzte türkische Offensive, seinen zweiten Bau vollendete Karl VI. als König von Aragon dieses Namens der III... Diesen Bau vernichtete die liberal-kapitalistische Stadterweiterung, und das profanierte Kirchenschiff vernichtete der Krieg Hitlers ... So abgefaßt, ist auch Ortsgeschichte ein Behelf zum Erlernen der Weltgeschichte.

Es ist daher zu wünschen, daß eine lange Friedenszeit dr>n neuen Plan davor bewahre, ein Torso unter so vielen zu bleiben; daß die Wiener, die es zunächst angeht, diese ortsgeschichtlichen Bände auch lesen; und daß die Forschung im ganzen Raum des alten Großösterreich diese Reihe zu nutzen, zu verwerten wissen möge. Das reichliche Bildmaterial ist geeignet, zur Verbreiterung des begrüßenswerten Werks beizutragen.

WIENER GESCHICHTSBÜCHER Hrsg. von Peter Pötschner. Paul Zsolnay-Verlag. Band 1: DIE ALTE UNIVERSITÄT. Von Franz Gall. 136 Seiten mit 21 Kunstdruckbildern und 4 Textabbildungen. Band 2: DAS SCHWARZSPANIERHAUS, Beethovens letzte Wohnstätte. Von Peter Pötschner. 104 Seiten mit 20 Kunstdruckbildern und 6 Plänen. Pro Band S 120.—, Suskription S 96.—

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