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1st Poesie unentbehrlidi?

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WOZU LYRIK HEUTE. Dichtung und Lesei In dee gesteuerten Gesellschaft. Von Hild D o m i n. Verlag R. Piper & Co., München 1068. 202 Selten, DM 18.—. JOSEPH ROTH I GEORG TRAKI.. Zwei Essays von Wilhelm Grasshof. Sammlung „Die Löwengrube” Im Diogenes-Verlag Zurich 1966. 51 Selten. THOMAS MANN UND DER DEUTSCHE BIL- DUNGSROMAN. Von Jurgen Scharf- schwerdt. Studien zur Poetlk und Geschichte der Literatur Band 5. W. Kohl- hammer-Verlag, Stuttgart 1967. DM 39.—. LITERATUR UND BEKEHRUNG. Von Hans Jürgen Baden. Ernst-Klett-Verlag Stuttgart, 1968. 292 Seiten, kart. DM 20.—.

In Hilde Dornins Studie „Wozu Lyrik heute” flndet sich der Satz: „Ich bin ein Lyriker und rede als Lyriker iiber Lyrik…ich spreche von meinem Handwerk.” Sd:e tut das mit großer Sachkenntnis, verleugnet in ihrer ungemein interessanten Untersuchung aber auch nicht die Soziologin; das Verhältnis der moder- nen Gesellschaft zur Kunst, insbe- sondere zur Lyrik, nimmt einen brei- ten Raum in ihrem Buch ein. Es 1st die Rede von der Institutionalisie- rung der Literatur und vom Aufbau der „Meinungsmaschine”; vom Kunstmanager als Verteidiger der Literatur gegen die Konsumgesell- schaft („Ohne die Betriebsamkeit der Manager würde Literatur von den von der Industriegesellschaft ange- botenen Freizeitgeniissen weitgehend übertrumpft werden”), aber auch von einem Versuch, den Geschmack der Leser, im Hinblick auf den Konsum, zu programmieren.

Als einzig wirksames Gegenmittel gegen derart vorgeformte Meinun- gen nennt Hilde Dornin das bewußte Training eigenen Urteilsvermögens der Leser; in diesem Zusammenhang wagt sie sich an eine Art „Gebraučhs- anweisung” — für den Umgang mit und der Freude an der Kunst heran. Was die Titelfrage angeht, kommt die Autoriln zu dem Schluß, daß die Lyrik zur Begegnung mit uns selbst einlädt, die uns heute nötiger denn je ist. Sie stärkt den Widerstand gegen die Neutralisierung, schenkt „Mut zur Identität” und hilft dem Menschen, menschlich zu bleiben in unserer technisierten Welt: Die Dich- tung ist „eine letzte Sphäre dier Freiheit behauptenden humanitas”.

Zu ähnMehen Ergebnissen, hier im Hinblick auf den schaffenden Schrift- stelier/ kommt Wilhelm Grasshoff in seinen Essays fiber Joseph Roth und Georg Traki; zwei biographisch wichtige Beiträge zur Deutung des Charakters und Werkes dieser bei- den großein Osterreicher. Die Uberwindung der Verzweiflung am Leben, die Roth und Traki zunächst durch die kiinstlerisch vollkommene Ge- staltung gelingt, steht im Mittel- punkt der Grasshoffschen Uber- legungen. Von Roth heißt es, daß er seiner Enthiillung des „modemen gebrochenen Ich”, des Ich ohne Eigenschaften, den Ausdruck der Leichtigkeit zu geben vermochte. Die persönliche Tragik seines nomadischen Daseins — „ein fliichtiger Gast, wo immer er wetilte…stets auf der Flucht, stets ohne festes Ziel” — flndet ihren Sinn in dem Versuch, „so gut, so auf rich tig, so vollkommen zu schreiben wie er nur i eben vermochte”.

I Befreiung, Rettung, Bewältigung J des schweren Daseins also durch Ge- , staltung, die fiir Roth etwas existen- • tiell Wesentliches war. Ähnlich lie- gen die Dinge fiir Traki, der, in der . ständigen Bedrohung durch das Dämonische seines Wesens, im J Schwanken zwischen Tnieb und Geist, seine daraus resultierende Schwermut durch das Bannen im dichterischen Wort zu zähmen ver- ; sucht. „Georg Traki, der sein Leben nur im vollendeten Gedičht geborgen sah, starb, als er nicht länger im- stande war, den unablässigen An- griff des Nichts durch das zu macht- vollem Zauberspruch gebiindelte Wort zu bannen.”

Als eine „Vereinigung mit dem Nichts” deutete Hans Jürgen Baden den zum Tode fiihrenden Sinnver- lust des Daseins fiir die Schriftstel- ler Cesare Pavese, Klaus Mann und Ernest Hemingway in seiner Untersuchung „Literatur und Selbstmord”, die 1965 im Verlag Klett, Stuttgart, erschien. In seinem neuen Buch „Literatur und Bekehrung” nun zeichnet er die Konversion als die Leben erneuernde Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes.

Ausgehend von drei „Klassikem” der Bekehrung — Paulus, Augustinus und Pascal — schiidert der Autor zunächst das einschneidende Erlebnis der Bekehrung, wie es Sich in vielen Zeugnissen von „Betroffe- nen” spiegelt: als Erschütterung der Existenz, die durch „den direkten Zusammenstoß mit der Transzen- denz” einen völligen Wandel des Denkens und Handelns erfährt. Es erfolgt „die Begegnung mit einer Wirklichkeit, welche das eigene Da- sein aufhebt, es vernichtet und von Grund auf emeuert”. Das wird in den meisten Fallen die Wirklichkeit Gottes sein (religiose Konversion); außerdem gibt es, wie wir in unserer Zeit immer wieder erleben, die ideo- logische Bekehrung, und schließlich, wie Baden am Rande vermerkt, in der Begegnung mit der Wirklichkeit des Du die „erotische Konversion”, die in dieser Untersuchung unbe- rücksichtigt bleibt. Im Mittelpunkt der Uberiegungen Badens steht die religiose Bekehrung, der Gewinn des Glaubens, die Hingabe des Menschen an Gott.

Wie nun, fragt Baden weiter, wirkt sich diese umwälzende Erfahrung auf das künstlerische Werk, insbe- sondere das des Schriftstellers aus? 1st, wie so oft behauptet wird, mit der Bekehrung zwangsläuflg ein Ab- sinken der künstlerischen Aussage verbundetn? Der Autor verwahrt sich entschlieden gegen diese Auffassung und erweist an Claudel und T. S. Eliot, daß ihre nach der Konversion entstandenen Dichtungen durchaus „naht- und bruchlose Kunstwerke” waren. Ein poetischer Substanzver- lust trete nur da ein, sagt Baden, wo der Schriftsteller nach der Bekehrung die Form gegenüber dem Inhalt vernachlässige, weil ihm das : Was wichtiger als das Wie geworden ; ist. Als Beiispiel wind R. A. Schröders Geistliche Lyrik genannt, in der er das kiinstlerische Niveau häufig dem frommen Zweck geopfert hat.

Zum Schluß noch ein kurzer Hin- weis auf Jiirgen Scharf schwerdts fundierte wissenschaftliche Studie „Thomas MaWm und der deutsche Bildungsroman”, die von der Philo- sophiischen Fakultät der Universität München als Dissertation angenom- men wurde. Der Autor geht den Zu- sammenhängen zwischen dem dichterischen Werk Manns und der in diesem Werk beantworteten jeweili- gen geschichtlichen Wirklichkeit nach. In der genauen Interpretation der Romane „Die Buddenbrooks”,

„Königliche Hoheit”, „Der Zauber- berg”, „Joseph und seine Bruder 1, „Doktor Faustus” und „Die Bekennt- nisse des Hochstaplers Felix Krull” werden Vergleiche angestellt und Entwicklungen aufgezeigt, Manns Schaffen selbst betreffend, aber auch die Zusammenhänge und Wandlun- gen seiner Werke gegenüber dem traditionellen Bildungsroman.

So speziell diese umfangreiche Studie ist — Lektüre für Literatur- historfiker, Kenner und Freunde Thomas Manns — es werden in ihr, neben ästhetischen, liiteraturkriti- schen Fragen, doch immer auch jene besonderen geschichtlichen Probleme ins Blickfeld gerückt, die Mann fes- selten und die noch für unsere Gegenwart von Interesse sind.

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