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Auf der HOhe seiner Methode

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MIT VORZÜGLICHER HOCHACHTUNG. Von Karl Kraus. Briefe des Verlars der „Fackel“, 10. Band der Werke Ton Karl K r a u s, ausgewählt und herausgegeben Ton Hein* rieh Fischer. Kösel-Verlag, München. 434 Selten. Preis 19.80 DM.

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MIT VORZÜGLICHER HOCHACHTUNG. Von Karl Kraus. Briefe des Verlars der „Fackel“, 10. Band der Werke Ton Karl K r a u s, ausgewählt und herausgegeben Ton Hein* rieh Fischer. Kösel-Verlag, München. 434 Selten. Preis 19.80 DM.

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Im vorliegenden Band ist die Korrespondenz, die die „Fackel“ im Laufe ihrer 36 Jahrgänge geführt hat, in Auswahl dargeboten, und zwar ausgewählt unter der Rücksicht, wo „vom Einzelfall die Beziehung auf alle anderen Einzelfälle“ hergestellt werden kann. Und darin zeigt sich eine „verblüffende Parallelität mit der politischen und geistigen Situation unserer Tage“. Täglich erfährt man die sprachliche und geistige Verwirrung, gerade anläßlich der jüngsten Ereignisse, die Österreich bewegten. Karl Kraus weiß sie trefflich zu formulieren. Man könnte heute wahrlich aus Verzweiflung, wie Lucille am Schluß von „Dantons Tod“, rufen: Es lebe der König; wie es in der Hitler-Zeit Leute gab, die aus Protest bei Prozessionen mitgingen, obwohl sie nicht glaubten. Übung im Mißbrauch der Gnadenlosigkeit nennt Karl Kraus eine gewisse Politik. Die Grenzen des Anstandes und des Rechtes werden im gegenseitigen (Proporz-) Ubereinkommen immer weiter hinausgeschoben. Karl Kraus hat in seinen Auseinandersetzungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, jene Bestrebungen, die Gesetzgebung und Richteramt in einer Instanz vereinigen wollen, gebrandmarkt als jene Nazi-Ideologie, die nach dem Motto „Haltet, den Pjeb“ andere des Faschismus bezichtigt, der in ihren eigenen Reihen ins Kraut schießt: „Was die österreichische Sozialdemokratie aufführt, ist so ziemlich das Naturwidrigste, was es in dieser Gottesschöpfung geben kann.“ Nicht umsonst schrieb Hitler in „Mein Kampf“ (bezeichnenderweise im Kapitel über die Propaganda), daß er bei den Wiener Sozialisten in die Schule gegangen ist. Man soll hier keine falschen Beschwichtigungsversuche unternehmen; wenn man täglich eine gewisse Parteipresse liest, weiß man sehr genau, was gespielt wird, und es nützen alle gegenteiligen Beteuerungen nichts, „solange ihr nicht ausdrücklich widersprochen wird“.

Karl Kraus hat das alles am eigenen Leib erfahren. Hier geht es nicht mehr um „Meinung, sondern um Anmaßung“, wo wohl ständig vom Souverän Volk gesprochen wird man sich gleichzeitig aber, allerdings „zu Unrecht“, über es „erhaben fühlt“: „Der Händler, der so dumm ist wie der Käufer, muß sein Glück machen, weil der Betrug nicht an der feilgebotenen Meinung, sondern an der Druckerschwärze haftet und den Leser noch die eigene Dummheit fasziniert, wenn er sie schwarz auf weiß bekommt.“ Masseninstinkte werden bewußt hochgespielt, um politisches Kapital zu schlagen, um jedes Recht zu erschlagen (siehe die vom Gewerkschaftsbund organisierten „spontanen“ Streiks in Dingen, die ihn nichts angehen). Auf der anderen Seite eine Fahrlässigkeit, die bereits gemeingefährlich in ihrer Kompromißsucht wird. Man weiß nicht, wer hat heute die dickere Haut (die nach Riemerschmid oft so dick sein kann, daß man in ihr auch ohne Rückgrat aufrecht zu stehen vermag), jene, die trotz ihrer eindeutigen Entgleisungen noch im Amt bleiben, jene, die die Schuldigen nicht vor Gericht stellen, obwohl sie es als das einzig Richtige einsehen, oder jene, die von beiden alles hinnehmen: „Is alles stier, ist's einerlei, denn mir san mir und a dabei.“

Es ist alles schon einmal dagewesen! Das überfällt einen beim Lesen dieser Seiten. Man weiß zum Schluß nicht, soll man weinen oder lachen! „Vorne Sittlichkeit, hinten Kriminalität“, „Die Keuschheitskommission“, „Satirische Zeitkritik“, „Der Durchschnittsleser“, „Vorläufer des Hitlertums“, „Ich war angewidert“ usw., alles Titel, deren Aktualität :hv, die Augen springt. Wenn einem die Argumente ausgehen, versucht man die Person zu verunglimpfen, hier als „Vortrags-äffen“. Nil novi sub sole! Allerdings müssen der Objektivität halber doch auch einige kritische Bemerkungen angeführt werden. Was schon im Band „Die Sprache“, und dort stärker als im vorliegenden, aufgefallen war, meldet sich auch hier an: die eminente Sprachgewandtheit und typische Dialektik, die Karl Kraus eigen ist, verführt ihn öfter, den Boden der Sachlichkeit zu verlieren. Seine Formulierungskunst, in der ihm, was er genau weiß — kaum jemand gewachsen sein wird, genährt von einem Unfehlbarkeitsanspruch, von einem um jeden Preis Recht-behalten-Wollen, ja -Müssen, überwuchert die Sache. Manche Fehlurteile, die geschichtlich revidiert sind, wirken heute etwas peinlich. Doch trotz alledem sinkt er nie in die Niederungen einer Demagogie herab, die um des politischen oder eines anderen Vorteils willen das Verlangen nach Wahrheit und Recht verraten würde. Er bleibt immer auf der Höhe seiner „Methode, das Leben zu besorgen, damit wir zum Geist gelangen“.

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