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Bernadette — Soldat und König

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JEAN BAPTISTE BERNADOTTE. Biographie. Von Fritz C o r s i n g. Paul-Neff-Verlag, Wien-Berlin-Stuttgart 1960. 340 Seiten. Leinen. Preis 98 S

Lebensbeschreibungen Bernadettes, der als Karl XIV. 1818 bis 1844 Schweden und Norwegen als König regierte, sind nicht allzu zahlreich, und Corsing führt In seinem Literaturverzeichnis unter 22 Titeln bloß neun dem König direkt gewidmete Werke an, denen noch Touchard-Lafosse oder Forseil angefügt werden könnten. Da die Literatur nur bis 1929 reicht, war es gewiß angezeigt, Bernadottes einzigartige Erscheinung unter den führenden Militärs und Staatsmännern nochmals zum Gegenstand einer Lebensbeschreibung zu machen, die so viele abenteuerliche Züge trägt, ohne daß jedoch Bernadotte irgendwie als Abenteurer gesehen werden dürfte.

Das Gesamtbild, das der Autor dem Leser bietet, ist zweifellos zutreffend. Im Menschen Bernadotte herrschen artige, höfliche und noble Gesinnung, rechtliches Denken und moralische Haltung vor. Es verleitet zu falschen Vorstellungen, zu sagen, hier sei ein Sergeant zum Monarchen aufgestiegen, denn Bernadotte mußte den Weg zum Offizier über den Mannschaftsstand wählen, weil es die Zeitumstände so verlangten. Er kam aber aus bestem bürgerlichen

Hause und verdankte sehr viel in seinem Leben seiner gediegenen Kinderstube. Als Soldat trug der talentierte Gaskogner Marschallstab und Szepter im Tornister, er war tapfer und verwegen, als höherer Truppenführer sehr geschickt, ritterlich und human. Besonders ausgeprägt waren die staatsmännischen Begabungen: feinstes diplomatisches Fingerspitzengefühl mit weisem Maßhalten, das davor bewahrte, trügerischen Versuchungen zu unterliegen, sich zu vergeben oder wichtige Möglichkeiten voreilig zu verschütten. Gelegentlicher Opportunismus und Standortwechsel — man bedenke das chaotische Geschehen der Jahre von 1792 bis 1815! — haben bei Bernadotte niemals die Grenzen von Recht, Anstand und Sitte überschritten. In Karl XIV. begegnet uns schließlich ein Herrscher, dem Patriotismus, Verfassungstreue und Hilfe für die Untertanen die Leitsterne waren und der als echtet Staatsmann es verstand, mit friedlicher Politik mehr zu erreichen als mit dem Schwerte. Heute, nach mehr als einem Jahrhundert, muß die Geschichte anerkennen, daß der erste König von Schweden-Norwegen vollkommen recht hatte, Liberalität und Toleranz zu vertreten, in der Entwicklung des Verfassungslebens die Evolution zu bevorzugen und sich aus Kriegen herauszuhalten: Blüte und

Wohlstand sind sein Erbe. Was konnte an diesem ein noch zu Lebenszeiten des Monarchen im Ausland genährter, wohlfeiler Spott mindern!

Corsing nennt seine Arbeit „Biographie“, doch ist diese vielfach mit von ansprechendem Stil getragenen romanhaften Schilderungen vermengt. Die Absicht, Bernadotte und Napoleon I. als Gegenspieler zu zeigen, bringt es natürlich mit sich, vorgekommene und in bewegten Zeiten ganz unvermeidliche Meinungsverschiedenheiten bei jeder Gelegenheit mit persönlich-privaten Motiven zu unterlegen, das heißt die Phantasie über die Tatsachen obsiegen zu lassen. Es ist schade, daß die „Revue Internationale d'Histoire Militaire“ mit ihrer Nr. 17 (Gasteys „Bernadotte ä la bataille de Lübeck 1806“) und Nr. 21 (Österreichische Gesandtschaftsberichte aus Stockholm 1820 bis 1844) nicht hat benützt werden können, doch ist diese Revue kein allgemein zugängliches Druckwerk. KJeine Irrungen in Namen, Titeln und kriegsgeschichtlichen Daten wollen wir nicht aufzählen, sie bleiben unter dem jeder großen Arbeit zugestandenen Mindestmaß und beeinträchtigen nicht das Ergebnis. Eher wäre der Einwand zu erheben, weshalb nicht die 1957 in Wien erschienene Biographie „Feldmarschall Radetzky“ herangezogen worden ist, es wären dann die Militärkonferenz zu Trachenberg im Juli 1813 und die Leipziger Schlacht richtiger beschrieben worden. Trotzdem wird Corsings „Bernadotte“ unter den wertvollen Lebensbeschreibungen großer Männer einen bevorzugten Platz erhalten und für lange Zeit das Lirteil über einen wirklich hervorragenden Soldaten und König mitgestalten.

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