Lehrreiche Betrachtungen eines Preußen, der Kakanien findet: Peter Meier-Bergfelds vielfältige Annäherungen an Österreich.
Einen Preußen verschlägt es nach Österreich. Er begibt sich tief hinein in das Vorgefundene und nimmt das traditionsreiche Land in all seiner Vielschichtigkeit in sich auf. Er vergewissert sich dessen Geschichte und Gegenwart und durchmisst dieses wie für ihn geschaffene Dasein mit allen Fasern seiner neu gewonnenen Existenz. Nicht dass er sich seines Preußentums entledigt hätte, aber er wächst, je mehr er danach sucht, in die Daseinsform des Kakanischen hinein, geht beinahe gänzlich darin auf. Peter Meier-Bergfeld, langjähriger Österreich-Korrespondent des Rheinischen Merkur, hat in seinem neuen Buch diesen beschrittenen Weg vor unser aller Auge festgehalten. Er tut dies in kleinen Geschichten, in 131 aus einem reichen Fundus "ausgesiebten“ und "aufgefetteten“ Artikeln seines journalistisch-publizistischen Schaffens.
Cis- und Transleithanisches
Dies umfasst Geschichte, Politik und Zeitgeschehen ebenso wie die einlässliche Betrachtung von Bildungswesen, Kirche und Gesellschaft seines ihm zweite Heimat gewordenen Gastlandes. Dabei fehlen keineswegs Seitenblicke nach Deutschland und die derhalben nahe liegenden buchtitulatorischen Vergleiche zwischen Ösis und Piefke (Singular- entspricht Pluralendung!), zwischen Gesellschaft, Bildungswesen und Kirche. Reiseschilderungen aus dem alten, dem "k. u. k.“ und also "kakanischen“ Österreich, aus Gebieten diesseits und jenseits des Flüsschens Leitha, runden dieses informative und instruktive Opus magnum ab.
Was der pointensichere PMB - so sein einstiges Journalisten-Kürzel - in einer stilistisch vorzüglichen Sprache darbietet, ist mal ein Capriccio, mal eine Melange, manchmal ein großes Feuerwerk und nicht selten eine Tiefensonde, jedenfalls stets "ein bunter Raritätenkasten“, wie der Dichterfürst Goethe derlei Kompendien zu charakterisieren pflegte. Dabei ließ sich der Autor von der Maxime leiten "Wer vielen vieles bringt, wird manchem etwas bringen“: Politisch markierte für PMB der Tod der Ausnahmeerscheinung Jörg Haider eine Zäsur auf dem Felde der Massenwirksamkeit, eine Ausprägung des Populistischen, die es in Deutschland nicht gibt. Wir erfahren, dass in Österreich die political correctness bei weitem nicht jenen Rang einnimmt, den sie in Deutschland erreicht hat. Auch dass ein "Österreich verrecke!“ auf Demonstrationsschildern undenkbar wäre. Und Hunderte von "Demonstranten“ verletzte Polizisten wie alljährlich zum 1. Mai in Berlin in Wien auszuschließen sind. Wirtschaftlich und sozial ist Austria mit Germania ungefähr gleichauf, mitunter sogar ein wenig besser - dies alles naturgemäß im Verhältnis 1:10; das Institut der deutschen Wirtschaft nannte Österreich "das gerechteste Land Mitteleuropas“.
Wertschätzung für das Beiläufige
Und doch, dem Betrachter kommen die Porträts in diesem Buch am spannendsten vor: über den Salzburger Unternehmer Dietrich Mateschitz, den austro-kanadischen Milliardär Frank Stronach; auch über den Künstler Alfred Hrdlicka, den man "Stalino“ nannte, sodann jene über den preußischen Militärkapellmeister Gottfried Piefke und den Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer; ebenso das über Christoph Kardinal (von) Schönborn, schließlich jene über Chopin und Mahler. Einmal noch lebt das k. u. k. Österreich auf in Meier-Bergfelds großartigen Reportagen über die Begräbnisse der Kaiserin Zita und ihres Sohnes Otto (von) Habsburg. Insgesamt bietet der Autor, der "Kakanien mit der Seele sucht“ und es gefunden hat, ein farbiges Kaleidoskop mit Licht und Schatten. Man lernt das Beiläufige schätzen, das der begnadete Erzähler immer wieder einfließen lässt. Und langweilig wird einem bei der Lektüre seiner 500 Seiten nicht eine Minute.
* Der Autor, ehemaliger langjähriger FAZ-Korrespondent in Wien, lehrt seit 2012 als Gastprofessor an der Fakultät für mitteleuropäische Studien der deutschsprachigen Andrássy-Universität in Budapest
Ösis und Piefke
Kakanien mit der Seele suchend
Essays, Reportagen, Interviews, Kommentare aus Austria
Von Peter Meier-Bergfeld
Norderstedt (Verlag Books on Demand) 2013, 500 Seiten, kart., e 29,90
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