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Das Gedicht

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JUNGER BAUM

Zogen dich der Vogelflüge

weites Schwingen, leichtes Steigen,

Linie der Sternenzüge,

W'indesbahnen, Wolkenreigen?

Deine Aeste, deine Zweige, kreisend oder haus entfaltet, frühlings eine süße Geige, winternachts zum Bild erkaltet —

Flüge, schwindende Verzierung, Zeichen, Künste, schwanke Bahnen! Oh, dein Bild ist nicht Verwirrung, sondern Spur geschwenkter Fahnen.

Herrlich, wie dich hochgeweitet ogelflügel sanft umschwingen, in dein Wachsen eingebreitet, alle Winde Jubel singen,

junge Winde dich befahren, prüfend deine Zweige drehen, bis sie, ach, die wandelbaren, wie ein Flügelschlag verwehen.

VERBORGENE SONNE

Wo immer du wandelst, ich höre

auf der gespannten Saite den Ton,

immer ein Rauschen, entzückt

aus wiegenden Gängen,

wie wenn im Chore der Bäume

e i n Wipfel höher sich reckte,

sausend und schnellend

die anderen schlüge.

So schlägst du das Herz

mit Ahnung der Einfalt,

wie den wachsenden Mond

dein Licht mit freudigem Glänze

behängt. Aber von dort nicht

kommt mir die Weisung,

nicht aus dem narrenden Wiudlied,

nicht vom Absturz der Sterne,

aber tief in mir selber

bin ich dir, Herrliche, lieb.

Wie auch die Nacht mich umschweige,

kein Merkliches mehr dem Auge

gegönnt ist, innen, auf anderem Himmel, kommst du herauf, Geliebte, die mich zurückließ.

SCHMELZE

Der feurige Strahl langt nach mir, wie Flammen brennen die Wangen. Kein Nordwind streift durch die Bläue, vom Dache tropft der Schnee.

O rinne, fröhlicher Fluß,

du wirst wieder Schiffe tragen;

du magst viele Brüder locken,

mein Ohr vernimmt dich nicht mehr.

Was seid ihr, Bäche und Strom, dem Wanderer unter der Sonne? Da blinken die großen Städte, ich kenne die Namen nicht.

Die heiße Hand ist so stark, sie wird mich ins Blaue heben. Nicht nach dem Meere zu rinnen, nein, aufzusteigen ist Glück.

ANRUF AM BACH

Hier, im tiefsten Grund, wo wie ein Schoß

der gütige Himmel zur Erde mündet und die Kinder Gestalt haben in gelben Blumen am Wasser — hier laß mich Dich suchen.

Die Bäume rauschen nicht und die Gräser schweigen, demütige Beter, die Amsel lockt nicht mehr und der Lauf des Wassers stockt. Hier laß mich Dich rufen.

Der Berg ist kühl,

wie von den Sternen berührt,

und die Liebe, gewaltig

entfaltet in grünen Kronen,

feiert die Nacht.

Hier lasse mich beten.

UNTER DEM GLOCKENTURM Rasseln und Beben, Schlag um Schlag fallen die sinkenden Stunden ein. Unter den Toren versickert der Tag, über der Turmuhr schimmert der Stein.

Schimmert im Mondltcht, schattenumstellt,

Himmel und Erde halten sich fest. Ueber dem Dach ist das Kreuz erhellt, obenhin leuchtet das sternige Nest.

Sinnendes Herz, dem der Himmel nicht wehrt,

nistet darin, wenn die Nacht erscheint, und, zu den ewigen Uhren gekehrt, weiß sich das Herz ihrem Gange vereint.

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