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Der Snobismus der Anspruchslosen…

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… entsteht, wenn an Paperbacks geschulte Viertelintellektuelle ein Universum an Themen tagtäglich in irgend einer Form an ein noch weniger geschultes Publikum verabreichen. Im Fernsehen. Zum Beispiel beim 3 0. Todestag Sigmund Freuds. Zwei Teile, einer in Österreich, einer in England von der BBC hergestellt. Der erstere brachte außer viel zu theoretischen Erklärungen einiger braver Fachleute eine sehr oberflächliche und lückenhafte Darstellung dessen, was man sich hier als „Hintergrund” vorstellte. Nichts von der Tiefe des Konflikts, in dem sich Freud mit seiner Lehre hierzulande von Anbeginn bis zu seiner Austreibung befunden hat. Nichts von den Anfeindungen ringsumher, vom Hohn, den etwa ein Karl Kraus über ihn ausgoß. Und nun die nachträgliche Ehrenrettung, inszeniert von Wichtigmachern und dem nolens-volens zum Mittun verpflichteten Häufchen der hier am Rande vegetierenden Analytiker. Alldas könnte allein schon genug Stoff für eine saty- rische Komödie abgeben, eine österreichische Komödie. Für Qualtinger. Wenn der nicht bereits lebenden Leibes — ebenfalls im Fernsehen gezeigt — „Gegenstand von Ehrungen” wäre.

Ein anderes Beispiel: „Augen auf — Architektur.” Hier wurde zunächst sehr gut durch Befragungen die ganze Ahnungs-, ja Instinktlosigkeit des österreichischen Menschen vor dem Thema demonstriert. Leider blieben dįe bmen tA Jiit ß ihn eines Besseren hätten belehren sollen, ihm dieses schuldig. Sie definierten Gestaltung von Architektur als die von Environment, was sie unverständlich mit Umraum übersetzten. Es ist Umgebung, aber das eben nur zum Geringsten. Geht es doch dabei um die Gestaltung unseres gesamten Lebensraumes, ein leider arg mißbrauchtes Wort. Sagen wir also: die Gestaltung des materiellstatischen Teils unseres Lebens, der jedoch unsere gesamten übrigen nichtstatischen Lebensregungen entweder überhaupt bestimmt und regiert oder in jedem Fall zutiefst beeinflußt. So geriet denn auch die ganze Argumentation — und damit auch die Gestaltung der Sendung — ins uferlos Pragmatisch-Rationale und beschränkte sich auf die Vorrechnung der ökonomischen Vorteile der Planung von Terrassenreihenhäusern. Nicht berührt wurde das Hauptproblem des heutigen Wohnens in den Bienenwaben-Wohn- fabriken, in denen doch neun Zehntel aller Städter untergebracht werden. Der von Architekt Kitt mit Recht angegriffene anarchische Pfuschbau von Einfamilienhäusern ist doch nur eine Reaktion auf den Zwang zum Leben im Massenbau. Hoffentlich wird etwas in den weiteren Sendungen der Serie nachgeholt. Snobismus der Humorlosigkeit: eine Sendung über Jacques Offenbach, in der jedoch weniger von diesem als von Theo Lingen zu bemerken war. Wie so oft in Fernsehsendungen versuchte man hier durch eine völlig unnötige Rahmenhandlung sozusagen „konzeptionell” die Illusion nicht aufkommen zu lassen, die hervorzurufen man sich nicht fähig fühlt. Ein modernes Publikum mußte zu den schalen Bonmots des Herrn Lingen pflichtschuldig applaudieren, indes er uns immer wieder beim Umziehen und Umschminken gezeigt wurde. Unfähig, ein Thema zu gestalten, erhoffen sich Regisseure und Autoren etwas vom (in früheren Zeiten mit Recht verpönten) „Blick hinter die Kulissen”. Ähnliches geschieht derzeit auch durch Auslüftung des Privatlebens von Künstlern, etwa in der Sendung über Curd Jürgens und Gattin (an deren schönem Gesicht man sich allerdings nicht sattsehen kann). Dennoch enthüllt auch dieser Blick hinter d\e Kulissen so gut wie gar nichts außer einigem beseelt Dreinschauen der Betreffenden. Ein Künstler ist nur durch eines interessant: durch seine Kunst, und zwar vor der Kulisse, auch nicht bei der Probe. Ein Taschenkünstler, der uns seine Tricks vor oder auch nach der Vorstellung |figL hįrtjįuf ein Magier zu sein, er ist nur noch ein Trickster.

So genügt denn auch anscheinend nicht, was uns die Aznavour, Udo Jürgens und anderen vorschluchzen. Also müssen sie uns dabei mit einer Yacht das Mittelmeer durchfahrend oder durch menschenleere Gassen wie Köter streunend und am Horizont verschwindend gezeigt werden.

Dem entgegen genügen einer Könnerin wie der Schweizer Kabarettistin Elfi Althofen ein Schreibtisch und drei Telephone, um die ganze Weltpolitik in heitere Bewegung zu bringen. Allerdings stehen ihr als Hauptrequisiten Witz und Geist zur Verfügung.

Hanns Johst und die Nazis griffen zur Pistole, wenn sie das Wort „Kultur” hörten. Unsere heutigen Programmgestalter greifen zum Wörterbuch.

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