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Die getrennten Nachbarn

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Es war diesen Sommer, daß Princess Margaret mit Dr. Geoffrey Fisher, dem Haupt der anglikanischen Kirche, über die Domfreiheit von Canter-bury schritt. Neben der jugendlichen, mondän überhauchten Frische der Königstochter schienen alle dem Erzbischof eigenen Charakterzüge sehr klar hervorzutreten. In dem bis zu den Knien fließenden Rock, den wollenen Knöpfelgamaschen und dem breiten Tuchgürtel, in den er das goldene Kreuz zu stecken pflegt, wirkte er gleichzeitig zerbrechlich und robust, ätherisch und doch diesseitskundig, ehrwürdig und ein wenig vogelhaft. Dieser kleine Mann mit dem birnenförmigen, von einer kräftigen Nase dominierten Kopf, dessen Linien von einem schmalen Mund zusammengezogen werden, ist der Doyen der protestantischen Kirchenfürsten: hätten die evangelischen Konfessionen ein Oberhaupt, er wäre es. Dieses Gefühl weltweiter Verantwortung dürfte Dr. Fisher November 1945 veranlaßt haben, sich in einer Ansprache an das deutsche Volk zu wenden.

„Seien Sie überzeugt, daß wir den Tag herbeiwünschen, da Deutschland wieder in die Gemeinschaft der Völker aufgenommen werden kann“, war der Kernsatz der Rede, die kurz und versöhnlich war. Es war vielleicht um so mehr am Platz gewesen, sie zu halten, als Fishers Amtsvorgänger, William Tempi e, vielleicht der größere Kirchenfürst und ein Mann imponierender Tatkraft, manchmal Äußerungen getan hatte, die, an sich von der Kriegsstimmung beeinflußt, dann in Deutschland sehr vergröbert und entstellt worden waren.

Auf diese Ansprache des Erzbischofs hat nun Hans Grimm geantwortet und seine Entgegnung „Die Erzbischofschrift“ ist äußerst umfangreich ausgefallen, sie beträgt über 200 Druckseiten. Nun ist aber das hier behandelte Thema deutsch-britischer Beziehungen ein so bedeutungsvolles, daß man an der augenfälligen Diskrepanz zwischen Rede und Gegenrede keinen Anstoß nehmen sollte. Auch wäre es unrichtig, gegen den Verfasser geltend zu machen, daß er („V o 1 k ohne Raum!“) einer der Schlagwortschmiede des Dritten Reiches war. Wir wissen von der Gestalt Haushofers her, daß es damit seine dunkle und tragische Bewandtnis haben kor.nle, und man wird fragen, was das heute zählt, was es beweist?

An der deutsch-englischen Verständigung hängt all unser Schicksal; vergessen wir Vergangenes, um dem unvoreingenommen entgegenzutreten, der etwas Neues, Erhellendes zu dem Thema zu sagen hat. Allerdings wird einem diese Tugend von Grimm nicht ganz leicht gemacht. Er haftet schon rein sprachlich mit erstaunlicher Zähigkeit an der hinter uns liegenden Epoche, er operiert mit Worten, die einfach verbraucht und totgeredet wurden, er offeriert uns selbst „Blut und Boden“ als keinesfalls nationalsozialistischer Prägung“. Daj eigentlich Fatale aber scheint darin zu liegen, daß Grimm weder in den englischen Sozialisten, noch in den Konservativen vernünftige Gesprächspartner erblickt, während er die Mitarbeiter Adenauers gleichsam als Kollaborateure diffamiert. Dagegen hat sich in W e stdeUlsch-1 a n d sehr nachhaltiger Widerspruch erhoben, so daß wir uns mehr den englischen Mißverständnissen zuwenden wollen. Wieso kommt es, daß Grimm auch den Konservativen mit soviel Mißtrauen gegenübersteht? Merkwürdigerweise scheint er der Ansicht zu sein, daß ihr Führer, genauer: ihr gegenwärtiger Führer Winston Churchill, an der Katastrophe des zweiten Weltkrieges mitverantwortlich war, obwohl er — wie heute alle Welt weiß —fie in seiner politischen Isolierung kassandrahaft warnend heraufziehen sah. Grimm aber deutet Gegensätzliches an:

.Ich frage hier nicht die schwere Frage, die da lauten müßte: Wieviel hat Churchill und seine Politik mit jenem ,Abermals“ zu tun, das den zweiten Weltkrieg bedeutete.“

Worauf hofft aber Grimm? Ein einziges Mal scheint an dem dunklen Horizont seiner Darstellung so etwas wie ein Lichtschimmer auf, aber es ist nur das Irrlicht einer kaum eingestandenen und doch deutlich fühlbaren Hoffnung. Es ist die Stelle, da er von der Bewegung Sir Oswald Mösleys spricht, die, um wieder wörtlich zu zitieren: anstatt des anscheinenden Willens beschwätzter Massen den echten Volkswillen wiederherzustellen trachtete;“ und ein wenig später über Mosley selbst, dessen faschistische Bewegung heute den Namen „Union-Movement“ angenommen hat:

„Wir wissen nur, der Mann an der Spitze dieser Union hatte wahrend des Krieges ohne Anklage und Urteil In einem Gefängnis seiner Heimat sitzen müssen, wie unsere politischen KZler im Hitlerstaat.

Hier will es uns scheinen, als könnte man die Tugend des Vergessens auch übertreiben. Wir halten nichts von der morbiden Gewohnheit, dauernd in vergangenen Schrecknissen zu schwelgen, hier aber muß denn doch die Ereignisqualität gegeneinander abgewogen. werden: Mosley wurde während des Krieges, auf Grund einer vom Parlament auf Kriegszeiten ausgestellten Regierungsvollmacht, als potentieller Quisling interniert; er hatte später Gelegenheit gehabt, über alle erlittene Unbill in einem Buch Klage zu führen. Als besonderer Roheitsakt blieb ihm in Erinnerung, daß er Rotwein aus einem Blechbecher trinken mußte. Das ist gewiß eine unangenehme Erfahrung, und nichts liegt uns ferner, als die Verantwortlichen des „Home Office“ da in Schutz zu nehmen. Aber es weiß schließlich heute jedermann, daß einem in Hitlers KZ ganz andere Dinge zustoßen konnten, als Rotweintrinken aus einem Blechbecher.

Das eigentlich Rätselhafte aber ist, daß Grimm nicht weiß, und trotz seines Wohnsitzes in der britischen Zone nicht erfahren hat, daß Mosley ein völlig unbedeutender Außenseiter ist, dem die Duldung nicht zu versagen, vielleicht die bisher schwierigste Etüde britischer Toleranz gewesen ist. Unwillkürlich spürt man, daß all diese Mißverständnisse nur die äußeren Ringe eines inneren Kerns von Verkennen sein müssen. Wo hat Grimms tiefes Unvermögen, die britische Art zu deuten, seine letzten Ursachen? Nun, es ist seine Ansicht, daß alle gesunden Gesellschaften eine hochwertige Herrenschichte entwickeln müssen, die, zugleich Macht- und Kulturträger, von einer minderwertigen Schichte komplementiert werden, die ruhig etwas hart angefaßt werden darf („Im KZ waren anfangs nur die ,unheilbaren' Gegner“, sagt er an einer Stelle)!.

Das, was Grimm letzten Endes an England anzog und auch viele Dignilare des Dritten Reiches faszinierte, war die Tatsache, daß sich die Briten auf der ganzen Welt eine so imponierende „Herrenstellung“ geschaffen haben. Dabei wurde das Haltungsideal „Herr“ (im Dritten Reich zu „Herrenmensch“ vergröbert) mit dem englischen „gentleman“ gleichgestellt. Hier aber läßt sich der tragisch verworrene Knäuel vom Sprachlichen her auflösen. „Herr“ kennzeichnet die Relation zu einem Ungleichen, man muß letzten Endes jemandes Herr sein. „Gentleman“ aber charakterisiert die Relation Gleichgestellter, man kann niemandes „gentleman“ sein. Mehr noch: das Wort „gentle“ heißt sanft, milde, rücksichtsvoll. In dem Haltungsideal des „Milden“ und „Rücksichtsvollen“ aber drückt sich tiefe geschichtliche Erfahrung aus.

Die bisher größte Katastrophe des britischen Volkes, die Zerschlagung des atlantischen Imperiums (dem das indische folgen sollte), wurde nicht dadurch ausgelöst, daß Georg III. zu wenig „herrenmäßig“ war, sondern daß er es an „gentleness“, an Milde, Verständnis, Zuvorkommenheit den amerikanischen Sett-lern gegenüber hatte fehlen lassen. Man darf annehmen, daß Grimm den Verlust des indischen Imperiums als einen schweren, plötzlichen Verlust deuten würde. Wenn man sich aber die Mühe macht, die Schriften der frühesten Verwalter und Vizekönige in Indien nachzulesen, so wird man entdecken, daß dieser Verlust immer vorausgesehen war. Denn seit dem Verlust Nordamerikas hatte sich der

Glaube an die Selbstverwaltung als letztes Ziel in der britischen Völkerfamilie entwickelt; dieser Glaube war zum tragenden Staatsethos geworden, das von all dem kolonialen Glanz nur zeilv/eise überblendet wurde. Das britischeReich betreibt ständig seine eigene Auflösung und schafft dabei, fast ohne es zu wissen, stets neue Staats- und Reichsverbände. Aus diesem Zustand ständigen Ver-wesens und ständiger Neuschöpfung läßt sich erklären, warum so viele europäische Beobachter, von Napoleon bis Hans Grimm, es schwierig fanden, die britische Macht richtig ins Kalkül zu setzen. Alle deutschen Angebote aber enthielten als unsichtbare „Draufgabe“ die Bereitschaft, die britische Herrenstellung auf der ganzen Welt zu verewigen. Man konnte nicht begreifen, daß die Briten, hätten sie, auf äußere Gewalt gestützt, die innere Wandlung ihres Reiches hintangehalten, eine Degeneration ihres Staatsethos einleitet hätten, an der sie zweifelsohne zugrunde gegangen wären. Konnte es um so weniger begreifen, als auch unter den konservativen Regierungen Baldwin-Chamberlain der Sinn dafür abhanden gekommen war; der Instinkt des Volkes allerdings war wach geblieben. Der Instinkt eines Volkes, das dem deutschen, trotz aller Mißgriffe der englischen Administration, die mit dem besprochenen Traktat vor die erzbischöfliche Schwelle gelegt wurden, keinesfalls feindselig gegenübersteht, aber nichts so wenig leiden mag wie das Augurenlächeln und Vetterngehaben, in dem Grimm sich spezialisiert hat.

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