6590574-1952_23_06.jpg
Digital In Arbeit

Diese unsere Angst…

Werbung
Werbung
Werbung

Um Christ in der Kirche zu sein, braucht es Mut. Mut ist durchaus nicht der Gegensatz zur Angst. Er ist ein ebenso vieldeutiges Phänomen wie die Angst; aufsteigend von primitiven und geistlosen Zuständen bis zu höchsten Verfassungen des Geistes. Wir reden hier von der christlichen Tugend der Tapferkeit, die, wie alles Christliche, eine von Gott geschenkte Gnade ist, die aber, zumal dort, wo sie den Menschen ganz ergreift und durchglüht, höchste, beste Haltungen des Menschen in sich empoinimmt.Der Mut des Geistes als natürlicher gründet auf einem ursprünglichen Wissen um das eigene Können, auf einem Sidi-fühlen als Möglichkeit, als angelegter, zu verwirklichender Entwurf und als Fähigkeit der Verwirklichung. Der Radius dieser Möglichkeit aber ist derselbe wie die im Geist in Erkenntnis und Wille sieli öffnende Spannweite oder Leere. Denn in allem Schwindel des Aufgerissenseins weiß der Geist doch: diese Leere ist er. Auch die Angst zerstört dieses Urgefühl nicht, ja sie nimmt zuletzt ihren Maßstab an ihm, sie kann nur die Angst dieses Mutes selbst sein. Zur natürlichen Tapferkeit wird dieser Mut dort, wo er, den geistigen Plan des Seins, das heißt Gesetz und Pflicht, vor Augen, nicht wankt und entschlossen zur höchsten Möglichkeit seiner selbst jede Lage, den Angiiff, auch jede Angst durchsteht. Zur christlichen Tapferkeit aber dort, wo der Plan seinen Abschluß und Ursprung in Gott selber findet, so daß vom Menschen her die hinzunehmende Indifferenz zum Allentscheidenden wird: als Mut, zu jedem Wort Gottes, das mein Leben betreffen kann, auf jeden Fall ja zu sagen. Gerade die Wehrlosigkeit und, vom natürlichen Menschen her gesehen, die Schwäche (und somit nicht zuletzt auch die Angst) wird jetzt zur wesentlichen Voraussetzung für die christliche Tapferkeit. Gerade dort, wo mit der Entblößung des Herzens und Lebens ernst gemacht wird, erstrahlt am reinsten die wirkliche Kraft, die nicht die meine ist, sondern die Gottes. Das Jemehr der Wehrlosigkeit ist das Jemehr des Offenstehens zu Gott und für Gott, und damit das Jemehr des Ein- strömens und Einwohnens seiner Kraft im Menschen. Niemand ist so waffenlos exponiert wie der Heilige zu Gott hin, niemand deshalb so bereit, auch von jeder Angst überschwemmt zu werden; und doch ist dies der Inbegriff jedes Mutes und jeder Bewaffnung — durch Gott. Es ist aber nicht so, daß der Tapfere, der zu Gott hin wehrlos ist, zur Welt hin nur als ein waffenstarrender Sankt Georg erscheinen soll. Wahr ist. daß sein ganzer Mut zur Welt hin von seiner Bewaffnung durch Gott herstammt. Aber die „Waffenrüstung Gottes“, die Paulus die Epheser anziehen heißt und in der er sie „stark im Herrn und in der Macht seiner Stärke“ wünscht, besteht ja in nichts anderem als in „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“, „Glaube“, „Heil“ und „Wort Gottes“, die dem Christen „Harnisch“, „Gurt“, „Panzer“, „Beinschiene“, „Schild“ „Helm“ und „Schwert zu sein haben. Noch enger zusammenfassend: Seid „angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm als der Heilshoffnung“ (I. Test. 5, 8), also mit jenen Dreien, die zusammen die eine Offenheit der Seele zum Heil hin bedeuten. In dieser Offenheit, die der Christ hat und zeigt und wie ein Licht von sich ausstrahlen läßt, besiegt er die in sich geschlossene, verpanzerte Welt. In dieser ist er aber nicht ausgesetzt, sondern in die Kirche gestellt. Und sofern die Kirche — konkret im Amt und in der Liebe dieser Menschen — ihm Gott stellvertritt, wird seine Offenbarung zu Gott in ihm zur Offenheit der Kirche; sie wird kirchlicher Gehorsam. Das ist die entscheidende Probe, ob sein Mut christlich sei, denn „Mut zeiget auch der Mameluk“. Sofern aber Kirche die Gemeinschaft seinesgleichen ist, wirken sich in ihr und an ihr die Waffen Gottes bereits aus, wie sie nachher der Welt gegenüber sich stählen und schärfen. Als das Gegenteil lakaienhafter, subalterner Willfährigkeit, als Mut zur Unterscheidung der Geister, zum offenen Wort, zur Tat, die nicht „jedermann“ tut, zum blitzenden Schwertstreich, der immer wieder, wie am Anfang, das Chaos scheidet. Die „Herde Christi“ ist nie und nimmer die „Herde“ Nietzsches; Sein in der Kirche beruht auf Auswahl und Entscheidung. In aller Sanftmut und Demut bis zum Kreuz begibt sich Gott nicht seiner Eigenschaft, Richter und verzehrendes Feuer zu sein. Nichts ist hoheitsvoller als eine Passion, sogar seine Angst. Und nie verleugnet Gott seine Eigenschaften in denen, die sein Licht in der Welt sind. Sie leuchten „lauter und ohne Befehl, wie die Sterne im All, inmitten eines verderbten, verkehrten Geschlechts“ (Phil. 2, 15), und selbst ihre Angst, wenn Gott sie gewährt, trägt die Stigmen ihrer göttlichen Bestimmung.

Aus „Der Christ und die Angst“, Johannes-Verlag, Binsiedeln

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung