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Drängt die Jugend nach rechts?

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Die klassische deutsche Jugendbewegung war der Protest aus einem bewußten „Anderssein — als die anderen“. Vor allem in ihrer „archaischen“ Epoche stand die Jugendbewegung in einem grundsätzlichen Widerspruch zum Denken und zum Verhalten der Väter, die gegenüber den Jungen ein politisches und ökonomisches Patrimonium aufgerichtet hatten. Der Widerspruch verdichtete sich in einer „Haftpsychose“ zur Gruppenbildung, die ihren Niederschlag freilich nur in einer Vielfalt kleiner und kleinster Gruppen fand, die sich nie in einem organisatorischen Ganzen zu sammeln vermochten.

Um sich gegenüber den Alten zu emanzipieren, hatte die klassische Jugendbewegung seinerzeit eine Flucht nach vorne vollzogen und im Bereich

eines gesellschaftlichen Vorfeldes eine Igelstellung eingenommen, um sich deutlich von der Monotonie des gesellschaftlichen Lebens abzuheben. In den engen Grenzen ihrer jeweiligen Kleinstgesellschaften gab sich die Jugendbewegung eine gruppeneigene Konstitution und errichtete in einem subtilen Fernweh ein „Traumland der Sehnsucht“, das sie in ihren Sprüchen und in ihrer Literatur zum Rang eines mythisch-ungegenständlichen „Jugendreiches“ erhob. Dieses „Reich“, ein Gebilde aus Gedanken, Sprüchen und Spielen, hatte seinen gedachten Standort jenseits der Agglomerationszentren einer verstädterten, versteinerten Welt. Aus diesem Grund vollzog sich die Errichtung des „Jugendreiches“ auf der „Fahrt“ und an ihren Endpunkten, in der Bewegung. Die Jugend des Wandervogels, aber auch noch die erheblich nüchterner gewordene bündische Jugend, verstanden sich als eine „grüne“ Widerstandsbewegung.

Heute ist die Jugendbewegung Geschichte, für ihre noch lebenden Altmitglieder stilbestimmendes Erlebnis. Die Sekundärwirkungen der Jugendbewegung sind aber noch bis in die Gegenwart spürbar, in den Räumen der Kultur nicht minder wie in jenen der Politik. Auch die Kirche übernahm unverkennbar da und dort bündische Gesten und Schauweisen bis hin zu Vorschlägen an das Konzil.

Von den Eichen in den Keller

Die Jugend der Gegenwart protestiert kaum noch gegen ihre Väter: sie ist weithin konformistisch. Die penetrant bis in die Intimsphären der Familie geführten Nachrichtenkanäle, Rundfunk, Fernsehen und Illustrierte, haben in einer erstaunlichen Weise die jugendlichen Verhaltensweisen im Interesse der „Väter“ diszipliniert. In Tanz und Lied wird zwar von der Jugend so etwas wie eine Eigenart demonstriert, besonders im Tanz, dessen Gestaltungsformen zuweilen derart exzessiv sind, daß sich seiner außer der Jugend nur noch kindisch gewordene Alte in grotesken Imitationen bemächtigen können. Tatsächlich ist aber der „Jugendstil“ der Gegenwart, wie immer er sich manifestiert, nicht eigenbestimmt, sondern von oben her manipuliert. Der sich oft bis zur Ekstase darstellende Enthusiasmus junger Menschen ist weitgehend eingeplant und auf das Geschäft (der Alten) hin angelegt. Den Patriarchen des Freizeitgeschäftes aber wird von den

Jungen soldatisch-willenlos Gehorsam geleistet.

Die Jugend der Gegenwart entäußert sich ihrer motorischen Antriebskräfte vor allem in den Rhythmen eines radikalen Tanzes, der zum Rang einer markanten Form der Selbstdarstellung junger Menschen erhoben wurde. Das Thing der Jugendbewegung wurde noch gleichsam „unter Eichen“ abgehalten. Das typische „Thing“ moderner Jugend, eine Kombination von Tanz und Palaver, die Party, scheut die freie Natur und weiß sich am besten in den Katakomben, in den Kellern, zu vollziehen, in einem „Kellerreich“, das als Standort neuer „Jugendbewegung“ mit dem Camping, als dem Rummelplatz automobiler Jugend, in Konkurrenz tritt.

Die alte Jugendbewegung demonstrierte ihr radikales Anderssein auch durch die besondere funktionale Gestaltung ihrer Kleidung, in der Uniform einer schmucklosen Kluft. Die moderne Jugend schwankt in ihren exzessiven und sie repräsentierenden Typen modisch zwischen einer Babymode der Mädchen und dem bewußt auf Altscheinen abgestimmten Bartschleier von Jungen, die drohend darauf verweisen, daß sie als Männer gewertet werden wollen.

Die politische Absenz

Der Politik hatte die Jugendbewegung einst als einem Unding in kühler Reserviertheit gegenüber gestanden. Der jugendbewegte Protest war vor allem ein literarischer, die Beziige des Denkens bis zum Lied- und Lebensstil waren weithin historisch restaurativ, fixiert durch das Bemühen, zu den Ursprüngen eines naturbestimmten Volksund Brauchtums zurückzufinden. Politik kann aber nur als ein Handeln i n der Gegenwart verstanden werden.

Trotzdem aber haben Wandervogel und bündische Jugend politische Geschichte wenn schon nicht gemacht, so doch mitgemacht. In ihrer Spätepoche und m deren Ablauf, mit dem faktischen Ende der Jugendbewegung als Massenerscheinung, gingen die Bündischen vielfach als einzelne wie als Gruppen ein politisches Engagement ein. Schon vorher hatte die Jugendbewegung zuweilen unbekümmert das Politische in Vokabular und Lebensform einbezogen, aber noch nicht den freien Wanderschritt durch den befohlenen Takt des Marschtrittes ersetzt. In ihren Ansätzen war jedenfalls die Hitler-Jugend, in der Art, wie sie sich im Ursprung gab, noch erheblich von den Prinzipien und Verhal-tensmodellen der Jugendbewegung bestimmt, wie es überhaupt in einzelnen Regionen des nationalsozialistischen Eigenreiches bis 1933 durchaus jugendbewegte Epochen gab.

Politische Präsenz

Auch in den Bekundungen der Jugend unserer Zeit gegenüber der Gesellschaft hat scheinbar das Politische kaum einen wesentlichen Belang. Der „lautlose Aufstand“ der Mehrheit der in ihrem Freizeitverhalten „disziplinierten“ Jugend gegen die Gesellschaft (der Alten) zeigt sich nun als eine gepflegte Absenz in den politischen Räumen. Das politische (kritische) Interesse mag größer sein denn je; das politische Engagement der Jungen ist jedenfalls unbeachtlich.

Die stillschweigende Konvention unter den Jungen, sich dem Politischen zu entziehen, wurde in den letzten Jahren durchbrochen: in den Bekundungen einer noch offenen, förmlich auf ein abstraktes „Europa“ hin orientierten Bewegung, die wir als Rechtsradikalismus zu orten versuchen, als „rechts“ von der FPÖ.

Die traditionelle Jugendbewegung vermochte sich nach 1945 in auserlesenen Kleinstgruppen, und neuerlich in ihrem Wesen apolitisch, zu rekonstituieren. Dagegen ist offenkundig an den Rändern unserer Gesellschaft eine neue Form von Jugendbewegung im Entstehen, die sich gleichzeitig an den Vätern, aber noch mehr an den Vorvätern zu orientieren scheint und radikal politisch denkt. Vatersehnsucht und Vaterabneigung sind in nurpolitische Formeln gefaßt. In Österreich provoziert der erregende faschistisch-christlichdemokratische Vorfall in Südtirol einen latent ohnedies vorhandenen Radikalismus. Südtirol aber ist offenkundig nicht das

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